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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

Notars nicht selbständig; vielmehr war z. V. in Altpreußen bis zum 1. Oktober
1879 die Ernennung der Notare aus der Zahl der Rechtsanwülte vorgeschrieben,
und dieser Rechtszustand besteht thatsächlich noch jetzt. Der Staat gewähr¬
leistet daher den Notaren, obwohl sie Beamte sind, keinerlei Einkommen; ihre
Gebührenforderungcn aus der Ausübung des Notariats regeln sich also nach
ähnlichen Grundsätzen wie aus der Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Die
Verbindung der beiden Berufe erscheint der altpreußischen Bevölkerung derartig
selbstverständlich, daß sie für die begriffliche Verschiedenheit überhaupt kein
Verständnis hat: der Geschäftsmann übergiebt den Wechsel dem Rechtsanwalt
zur Protesterhebung und zugleich zur Ausklagung, und der Bauer wendet sich
sowohl in Prozessen, als auch wenn er sein Grundstück "verschreiben lassen"
will, an den Rechtsanwalt.

Auf ganz entgegengesetztem Grundsatz beruht die andre große Gruppe,
nämlich die der französischen Notariatsverfassung (Rheinprovinz, Bayern, Baden,
Elsaß-Lothringen). Nach dem aus der französischen Gesetzgebung übernommnen
Grundsatz der "Reinhaltung des Richteramts" liegt in diesen Gebieten den Gerichten
grundsätzlich nur die Handhabung der streitigen Gerichtsbarkeit ob; für das
gesamte Nachlaß- und Beurkundungswesen -- daneben aber auch für die Abhal¬
tung der Versteigerungs- und Kaufgeldverteilungstermine bei Subhastationen --
sind ausschließlich die Notare zuständig. In Einzelheiten bestehen auch in den
Gebieten dieser Gruppen große Verschiedenheiten, auf deren Erörterung jedoch
hier nicht eingegangen zu werden braucht. Es soll daher nur das Verhältnis
in Baden, wo das Charakteristische dieser Gruppe am schärfsten ausgebildet ist,
kurz besprochen werden. In Baden wird die freiwillige Gerichtsbarkeit in Vor-
wundschaftssachen von den Gerichten, in Grundbuchsachen von den Gemeinden,
das Nachlaß- und Beurkundungsivesen von den Notaren ausgeübt. Wo das
amtliche Einschreiten des Nachlaßgerichts geboten ist (vgl. § 1960 des bürger¬
lichen Gesetzbuchs und Artikel 147 des Einführungsgesetzes, ferner im Fall des
8 1640 des bürgerlichen Gesetzbuchs), hat in Baden nicht das Gericht, sondern
der Notar einzuschreiten. Erbteilungen und Auseinandersetzungen, mögen auch
Minderjährige beteiligt sein, gehören nicht zur Zuständigkeit der Gerichte, sondern
der Notare; diese haben auch das gesamte Beurkundungswesen, ebenso aber auch
die Abhaltung der Subhastativnstcrminc zu besorgen. Das Gericht ist für diese
Angelegenheiten nicht zuständig. Dem entsprechend besteht in Baden das Notariat
als selbständiges Staatsamt, das mit der Nechtsanwaltschaft unvereinbar ist.
Der Notar ist geradezu eine "Staatsbehörde," und jedes "Notariatsamt" hat
etwas von seinem jeweiligen Träger unabhängiges, ist mit einer trotz des per¬
sönlichen Ausscheidens des Notars weiter bestehenden Zuständigkeit ausgerüstet,
dergestalt, daß der Staat den Notaren Mietentschüdigung für ihre Dienst¬
raume zahlt, und die Notare die ihnen zustehenden Gebühren nicht von den
Beteiligten einziehen; diese Gebühren zieht vielmehr der Staat für die Staats-


Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

Notars nicht selbständig; vielmehr war z. V. in Altpreußen bis zum 1. Oktober
1879 die Ernennung der Notare aus der Zahl der Rechtsanwülte vorgeschrieben,
und dieser Rechtszustand besteht thatsächlich noch jetzt. Der Staat gewähr¬
leistet daher den Notaren, obwohl sie Beamte sind, keinerlei Einkommen; ihre
Gebührenforderungcn aus der Ausübung des Notariats regeln sich also nach
ähnlichen Grundsätzen wie aus der Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Die
Verbindung der beiden Berufe erscheint der altpreußischen Bevölkerung derartig
selbstverständlich, daß sie für die begriffliche Verschiedenheit überhaupt kein
Verständnis hat: der Geschäftsmann übergiebt den Wechsel dem Rechtsanwalt
zur Protesterhebung und zugleich zur Ausklagung, und der Bauer wendet sich
sowohl in Prozessen, als auch wenn er sein Grundstück „verschreiben lassen"
will, an den Rechtsanwalt.

Auf ganz entgegengesetztem Grundsatz beruht die andre große Gruppe,
nämlich die der französischen Notariatsverfassung (Rheinprovinz, Bayern, Baden,
Elsaß-Lothringen). Nach dem aus der französischen Gesetzgebung übernommnen
Grundsatz der „Reinhaltung des Richteramts" liegt in diesen Gebieten den Gerichten
grundsätzlich nur die Handhabung der streitigen Gerichtsbarkeit ob; für das
gesamte Nachlaß- und Beurkundungswesen — daneben aber auch für die Abhal¬
tung der Versteigerungs- und Kaufgeldverteilungstermine bei Subhastationen —
sind ausschließlich die Notare zuständig. In Einzelheiten bestehen auch in den
Gebieten dieser Gruppen große Verschiedenheiten, auf deren Erörterung jedoch
hier nicht eingegangen zu werden braucht. Es soll daher nur das Verhältnis
in Baden, wo das Charakteristische dieser Gruppe am schärfsten ausgebildet ist,
kurz besprochen werden. In Baden wird die freiwillige Gerichtsbarkeit in Vor-
wundschaftssachen von den Gerichten, in Grundbuchsachen von den Gemeinden,
das Nachlaß- und Beurkundungsivesen von den Notaren ausgeübt. Wo das
amtliche Einschreiten des Nachlaßgerichts geboten ist (vgl. § 1960 des bürger¬
lichen Gesetzbuchs und Artikel 147 des Einführungsgesetzes, ferner im Fall des
8 1640 des bürgerlichen Gesetzbuchs), hat in Baden nicht das Gericht, sondern
der Notar einzuschreiten. Erbteilungen und Auseinandersetzungen, mögen auch
Minderjährige beteiligt sein, gehören nicht zur Zuständigkeit der Gerichte, sondern
der Notare; diese haben auch das gesamte Beurkundungswesen, ebenso aber auch
die Abhaltung der Subhastativnstcrminc zu besorgen. Das Gericht ist für diese
Angelegenheiten nicht zuständig. Dem entsprechend besteht in Baden das Notariat
als selbständiges Staatsamt, das mit der Nechtsanwaltschaft unvereinbar ist.
Der Notar ist geradezu eine „Staatsbehörde," und jedes „Notariatsamt" hat
etwas von seinem jeweiligen Träger unabhängiges, ist mit einer trotz des per¬
sönlichen Ausscheidens des Notars weiter bestehenden Zuständigkeit ausgerüstet,
dergestalt, daß der Staat den Notaren Mietentschüdigung für ihre Dienst¬
raume zahlt, und die Notare die ihnen zustehenden Gebühren nicht von den
Beteiligten einziehen; diese Gebühren zieht vielmehr der Staat für die Staats-


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[0215] Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung Notars nicht selbständig; vielmehr war z. V. in Altpreußen bis zum 1. Oktober 1879 die Ernennung der Notare aus der Zahl der Rechtsanwülte vorgeschrieben, und dieser Rechtszustand besteht thatsächlich noch jetzt. Der Staat gewähr¬ leistet daher den Notaren, obwohl sie Beamte sind, keinerlei Einkommen; ihre Gebührenforderungcn aus der Ausübung des Notariats regeln sich also nach ähnlichen Grundsätzen wie aus der Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Die Verbindung der beiden Berufe erscheint der altpreußischen Bevölkerung derartig selbstverständlich, daß sie für die begriffliche Verschiedenheit überhaupt kein Verständnis hat: der Geschäftsmann übergiebt den Wechsel dem Rechtsanwalt zur Protesterhebung und zugleich zur Ausklagung, und der Bauer wendet sich sowohl in Prozessen, als auch wenn er sein Grundstück „verschreiben lassen" will, an den Rechtsanwalt. Auf ganz entgegengesetztem Grundsatz beruht die andre große Gruppe, nämlich die der französischen Notariatsverfassung (Rheinprovinz, Bayern, Baden, Elsaß-Lothringen). Nach dem aus der französischen Gesetzgebung übernommnen Grundsatz der „Reinhaltung des Richteramts" liegt in diesen Gebieten den Gerichten grundsätzlich nur die Handhabung der streitigen Gerichtsbarkeit ob; für das gesamte Nachlaß- und Beurkundungswesen — daneben aber auch für die Abhal¬ tung der Versteigerungs- und Kaufgeldverteilungstermine bei Subhastationen — sind ausschließlich die Notare zuständig. In Einzelheiten bestehen auch in den Gebieten dieser Gruppen große Verschiedenheiten, auf deren Erörterung jedoch hier nicht eingegangen zu werden braucht. Es soll daher nur das Verhältnis in Baden, wo das Charakteristische dieser Gruppe am schärfsten ausgebildet ist, kurz besprochen werden. In Baden wird die freiwillige Gerichtsbarkeit in Vor- wundschaftssachen von den Gerichten, in Grundbuchsachen von den Gemeinden, das Nachlaß- und Beurkundungsivesen von den Notaren ausgeübt. Wo das amtliche Einschreiten des Nachlaßgerichts geboten ist (vgl. § 1960 des bürger¬ lichen Gesetzbuchs und Artikel 147 des Einführungsgesetzes, ferner im Fall des 8 1640 des bürgerlichen Gesetzbuchs), hat in Baden nicht das Gericht, sondern der Notar einzuschreiten. Erbteilungen und Auseinandersetzungen, mögen auch Minderjährige beteiligt sein, gehören nicht zur Zuständigkeit der Gerichte, sondern der Notare; diese haben auch das gesamte Beurkundungswesen, ebenso aber auch die Abhaltung der Subhastativnstcrminc zu besorgen. Das Gericht ist für diese Angelegenheiten nicht zuständig. Dem entsprechend besteht in Baden das Notariat als selbständiges Staatsamt, das mit der Nechtsanwaltschaft unvereinbar ist. Der Notar ist geradezu eine „Staatsbehörde," und jedes „Notariatsamt" hat etwas von seinem jeweiligen Träger unabhängiges, ist mit einer trotz des per¬ sönlichen Ausscheidens des Notars weiter bestehenden Zuständigkeit ausgerüstet, dergestalt, daß der Staat den Notaren Mietentschüdigung für ihre Dienst¬ raume zahlt, und die Notare die ihnen zustehenden Gebühren nicht von den Beteiligten einziehen; diese Gebühren zieht vielmehr der Staat für die Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/215>, abgerufen am 16.05.2024.