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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

Die angeführten Beobachtungen zeigen uns eine Entwicklung des Klein¬
handels, die ebenso auf natürlichen Gesetzen beruht, wie der Umbildungsprozeß
in der Lage des Handwerks. Ebenso wie die Handwerker gern ihre schlechte
Lage allein auf die außer ihnen liegenden Ursachen schieben und die Gewerbe¬
freiheit unter anderm dafür verantwortlich machen, ebenso finden wir, daß der
Kleinhändler den Konsumvereinen, Bazaren, unlautern Wettbewerb usw. die
Schuld für den am eignen Leibe deutlich gering verspürten Rückgang des Ge¬
schäfts beilegt. Diese Umstände spielen zum Teil als reine Konkurrenz¬
wirkungen wohl eine Rolle; aber auf die grundsätzliche Änderung der Lage
des Kleinhandels üben sie keinen oder doch keinen entscheidenden Einfluß aus.
Das muß man erkennen, wenn man die Lage des Kleinhandels untersucht
und nach Mitteln forscht, üble Einwirkungen zu beseitigen. Vielleicht behalten
die Mitarbeiter an den Untersuchungen, die man jetzt über die Lage des Klein¬
handels anzustellen beabsichtigt, diese Erwägung im Auge, sodaß sich später
feststellen läßt, ob unsern Beobachtungen, was wir vermuten, auch eine all¬
gemeine Richtigkeit zukommt.


L. O. Brandt


Frühlingstage am Garigliano

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UMin Süden der italienischen Abruzzen, weitab von der großen Heer¬
straße, auf der alljährlich im Frühlinge ein internationales
Frcmdengewimmel gen Mittag zieht, liegt die Wiege des herr¬
lichen Stromes, den die Alten Liris nannten. Schon dieser
Name tönt dem nordischen Wandrer wie Musik in das Ohr;
Gregorovius erklärte ihn, der "das Gemüt mit lyrischem Wohllaut füllt," für
den schönsten unter den italienischen Flnßnamcn. In der neuern Zeit kam
dafür der Name Garigliano auf. Auch dieser Name ist sehr schön. Er
hängt wohl mit dem lateinischen Mirirs zusammen. Cieero freut sich nach
langer Trennung von seinem Freunde Atticus wieder auf das Zarrirs auio-
<Me1 in ouczÄiQ vsnsrit. Er meint damit das lebhafte Wechselgespräch mit einem
geliebten Menschen ohne einen lästigen Lauscher, das feiner und unmittelbarer,
als es ein Brief vermag, die geheimsten Regungen der Seele zum Ausdruck
bringt. Der Vergleich ist von zwei "girrenden" Tauben hergenommen, die
sich ihre Herzensangelegenheiten zuraunen. So bedeutet also Garigliano den
girrenden, mit dem Wandrer süß plaudernden Fluß.

In neuster Zeit versucht man in Italien die antiken Namen statt der


Frühlingstage am Garigliano

Die angeführten Beobachtungen zeigen uns eine Entwicklung des Klein¬
handels, die ebenso auf natürlichen Gesetzen beruht, wie der Umbildungsprozeß
in der Lage des Handwerks. Ebenso wie die Handwerker gern ihre schlechte
Lage allein auf die außer ihnen liegenden Ursachen schieben und die Gewerbe¬
freiheit unter anderm dafür verantwortlich machen, ebenso finden wir, daß der
Kleinhändler den Konsumvereinen, Bazaren, unlautern Wettbewerb usw. die
Schuld für den am eignen Leibe deutlich gering verspürten Rückgang des Ge¬
schäfts beilegt. Diese Umstände spielen zum Teil als reine Konkurrenz¬
wirkungen wohl eine Rolle; aber auf die grundsätzliche Änderung der Lage
des Kleinhandels üben sie keinen oder doch keinen entscheidenden Einfluß aus.
Das muß man erkennen, wenn man die Lage des Kleinhandels untersucht
und nach Mitteln forscht, üble Einwirkungen zu beseitigen. Vielleicht behalten
die Mitarbeiter an den Untersuchungen, die man jetzt über die Lage des Klein¬
handels anzustellen beabsichtigt, diese Erwägung im Auge, sodaß sich später
feststellen läßt, ob unsern Beobachtungen, was wir vermuten, auch eine all¬
gemeine Richtigkeit zukommt.


L. O. Brandt


Frühlingstage am Garigliano

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UMin Süden der italienischen Abruzzen, weitab von der großen Heer¬
straße, auf der alljährlich im Frühlinge ein internationales
Frcmdengewimmel gen Mittag zieht, liegt die Wiege des herr¬
lichen Stromes, den die Alten Liris nannten. Schon dieser
Name tönt dem nordischen Wandrer wie Musik in das Ohr;
Gregorovius erklärte ihn, der „das Gemüt mit lyrischem Wohllaut füllt," für
den schönsten unter den italienischen Flnßnamcn. In der neuern Zeit kam
dafür der Name Garigliano auf. Auch dieser Name ist sehr schön. Er
hängt wohl mit dem lateinischen Mirirs zusammen. Cieero freut sich nach
langer Trennung von seinem Freunde Atticus wieder auf das Zarrirs auio-
<Me1 in ouczÄiQ vsnsrit. Er meint damit das lebhafte Wechselgespräch mit einem
geliebten Menschen ohne einen lästigen Lauscher, das feiner und unmittelbarer,
als es ein Brief vermag, die geheimsten Regungen der Seele zum Ausdruck
bringt. Der Vergleich ist von zwei „girrenden" Tauben hergenommen, die
sich ihre Herzensangelegenheiten zuraunen. So bedeutet also Garigliano den
girrenden, mit dem Wandrer süß plaudernden Fluß.

In neuster Zeit versucht man in Italien die antiken Namen statt der


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[0275] Frühlingstage am Garigliano Die angeführten Beobachtungen zeigen uns eine Entwicklung des Klein¬ handels, die ebenso auf natürlichen Gesetzen beruht, wie der Umbildungsprozeß in der Lage des Handwerks. Ebenso wie die Handwerker gern ihre schlechte Lage allein auf die außer ihnen liegenden Ursachen schieben und die Gewerbe¬ freiheit unter anderm dafür verantwortlich machen, ebenso finden wir, daß der Kleinhändler den Konsumvereinen, Bazaren, unlautern Wettbewerb usw. die Schuld für den am eignen Leibe deutlich gering verspürten Rückgang des Ge¬ schäfts beilegt. Diese Umstände spielen zum Teil als reine Konkurrenz¬ wirkungen wohl eine Rolle; aber auf die grundsätzliche Änderung der Lage des Kleinhandels üben sie keinen oder doch keinen entscheidenden Einfluß aus. Das muß man erkennen, wenn man die Lage des Kleinhandels untersucht und nach Mitteln forscht, üble Einwirkungen zu beseitigen. Vielleicht behalten die Mitarbeiter an den Untersuchungen, die man jetzt über die Lage des Klein¬ handels anzustellen beabsichtigt, diese Erwägung im Auge, sodaß sich später feststellen läßt, ob unsern Beobachtungen, was wir vermuten, auch eine all¬ gemeine Richtigkeit zukommt. L. O. Brandt Frühlingstage am Garigliano M?Ms^> UMin Süden der italienischen Abruzzen, weitab von der großen Heer¬ straße, auf der alljährlich im Frühlinge ein internationales Frcmdengewimmel gen Mittag zieht, liegt die Wiege des herr¬ lichen Stromes, den die Alten Liris nannten. Schon dieser Name tönt dem nordischen Wandrer wie Musik in das Ohr; Gregorovius erklärte ihn, der „das Gemüt mit lyrischem Wohllaut füllt," für den schönsten unter den italienischen Flnßnamcn. In der neuern Zeit kam dafür der Name Garigliano auf. Auch dieser Name ist sehr schön. Er hängt wohl mit dem lateinischen Mirirs zusammen. Cieero freut sich nach langer Trennung von seinem Freunde Atticus wieder auf das Zarrirs auio- <Me1 in ouczÄiQ vsnsrit. Er meint damit das lebhafte Wechselgespräch mit einem geliebten Menschen ohne einen lästigen Lauscher, das feiner und unmittelbarer, als es ein Brief vermag, die geheimsten Regungen der Seele zum Ausdruck bringt. Der Vergleich ist von zwei „girrenden" Tauben hergenommen, die sich ihre Herzensangelegenheiten zuraunen. So bedeutet also Garigliano den girrenden, mit dem Wandrer süß plaudernden Fluß. In neuster Zeit versucht man in Italien die antiken Namen statt der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/275>, abgerufen am 29.04.2024.