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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Verhandlungen dos neunten Evangelisch-sozialen Kongresses

schillings vertrieben werden solle, sondern trotz Pachtvertrag nur das leisten
solle, was billig sei. Notleidenden Gutsherren freilich, die unvorsichtig
Schulden gemacht haben, um viel zu gewinnen und größere Herren zu sein,
als sie sollten, denen würde Luther, wenn sie hinterher durch Aufschlag auf
die Kornpreise den Schaden auf andre abwälzen wollten, wahrscheinlich mit
noch gröberer Deutlichkeit die Wahrheit gesagt haben, als oben zu lesen ist.

Es ist zu bedauern, daß der Vortrag nicht neben Luthers Stellung zur
Sozialpolitik auch die Zwinglis behandelt hat, der den modernen Anschauungen
entschieden näher stand. Zwingli hat auch über die Bodenverschuldung ge¬
schrieben und für die Entschuldung neben dem Verbot der Ewigzinse auch das
Verbot des Kaufs neuer Zinse empfohlen. Er meint, der Reiche werde sich
nicht darüber beklagen können, denn er werde genug alte Zinsen von denen
kaufen können, die ihre Zinsen nicht mehr haben, sondern ihr Kapital in andrer
Weise anlegen wollten. Der Arme solle auch nicht klagen, wenn er keine
Schulden mehr machen dürfe, sondern "sich strecken nach der Decke, geziemend
und genügsam leben." Und Wenns nicht anders gehe, "soll er lieber seinen
Hof und Haus verkaufen freien Kaufs, als seine Adern im Leibe." . . . "Und
wird damit der Boden erledigt, dann mögen viel mehrere auf ihm erzogen
werden; damit wird die Arbeit leichter, das Bauen edler und werter und die
unnützen Handwerke, die man zu Hoffart und Kirchengepränge erdacht hat,
wiederum unterlassen. Es wird auch ein Vorschub zu Frieden und Tugenden;
denn von jeher ist Friede am wertesten und Tugend am meisten gewachsen bei
denen, die das Erdreich bauen und sonst Liebe zu ziemlicher Arbeit gewinnen.
Muß es aber je gewonnen sein mit andrer Menschen Arbeit, und willst du
durchaus zusehen, nicht selbst die Hände in den Teig stoßen, so kaufe eignes,
verleihe dasselbe um geziemender Teil der Früchte, so wird es den Weg ge¬
winnen: Werden viel Früchte, so wird dir auch viel; werden wenige, so wird
dir auch wenig. Man muß den Zins geben, und ob der Hagel gleich bis ins
zehnte Jahr schlüge. Darum wäre der Fruchtteil minder wider Gott, als
Zins."

Wir haben in Deutschland, von den kleinen Parzellen abgesehen, sehr
wenig bäuerliche Pächter, und die Teilbauerwirtschaft ist, was den eigentlichen
Ackerbau anbetrifft, fast ganz verschwunden. Weder eine Einschränkung der
Pachtwirtschaft, noch die Einführung des Teilbaus mag heute wünschenswert
sein, aber die berechtigte Forderung langfristiger Pachter mit einer bessern
Verteilung des Ristkos zwischen Pächter und VerPächter in Einklang zu bringen,
darüber einmal etwas nachzudenken, lohnte es sich schon.


2

Was Professor Stieda am 2. Juni über die Arbeiterorganisation
gesagt hat, zeichnet sich sehr vorteilhaft aus durch das Fernhalten alles Agi-


Die Verhandlungen dos neunten Evangelisch-sozialen Kongresses

schillings vertrieben werden solle, sondern trotz Pachtvertrag nur das leisten
solle, was billig sei. Notleidenden Gutsherren freilich, die unvorsichtig
Schulden gemacht haben, um viel zu gewinnen und größere Herren zu sein,
als sie sollten, denen würde Luther, wenn sie hinterher durch Aufschlag auf
die Kornpreise den Schaden auf andre abwälzen wollten, wahrscheinlich mit
noch gröberer Deutlichkeit die Wahrheit gesagt haben, als oben zu lesen ist.

Es ist zu bedauern, daß der Vortrag nicht neben Luthers Stellung zur
Sozialpolitik auch die Zwinglis behandelt hat, der den modernen Anschauungen
entschieden näher stand. Zwingli hat auch über die Bodenverschuldung ge¬
schrieben und für die Entschuldung neben dem Verbot der Ewigzinse auch das
Verbot des Kaufs neuer Zinse empfohlen. Er meint, der Reiche werde sich
nicht darüber beklagen können, denn er werde genug alte Zinsen von denen
kaufen können, die ihre Zinsen nicht mehr haben, sondern ihr Kapital in andrer
Weise anlegen wollten. Der Arme solle auch nicht klagen, wenn er keine
Schulden mehr machen dürfe, sondern „sich strecken nach der Decke, geziemend
und genügsam leben." Und Wenns nicht anders gehe, „soll er lieber seinen
Hof und Haus verkaufen freien Kaufs, als seine Adern im Leibe." . . . „Und
wird damit der Boden erledigt, dann mögen viel mehrere auf ihm erzogen
werden; damit wird die Arbeit leichter, das Bauen edler und werter und die
unnützen Handwerke, die man zu Hoffart und Kirchengepränge erdacht hat,
wiederum unterlassen. Es wird auch ein Vorschub zu Frieden und Tugenden;
denn von jeher ist Friede am wertesten und Tugend am meisten gewachsen bei
denen, die das Erdreich bauen und sonst Liebe zu ziemlicher Arbeit gewinnen.
Muß es aber je gewonnen sein mit andrer Menschen Arbeit, und willst du
durchaus zusehen, nicht selbst die Hände in den Teig stoßen, so kaufe eignes,
verleihe dasselbe um geziemender Teil der Früchte, so wird es den Weg ge¬
winnen: Werden viel Früchte, so wird dir auch viel; werden wenige, so wird
dir auch wenig. Man muß den Zins geben, und ob der Hagel gleich bis ins
zehnte Jahr schlüge. Darum wäre der Fruchtteil minder wider Gott, als
Zins."

Wir haben in Deutschland, von den kleinen Parzellen abgesehen, sehr
wenig bäuerliche Pächter, und die Teilbauerwirtschaft ist, was den eigentlichen
Ackerbau anbetrifft, fast ganz verschwunden. Weder eine Einschränkung der
Pachtwirtschaft, noch die Einführung des Teilbaus mag heute wünschenswert
sein, aber die berechtigte Forderung langfristiger Pachter mit einer bessern
Verteilung des Ristkos zwischen Pächter und VerPächter in Einklang zu bringen,
darüber einmal etwas nachzudenken, lohnte es sich schon.


2

Was Professor Stieda am 2. Juni über die Arbeiterorganisation
gesagt hat, zeichnet sich sehr vorteilhaft aus durch das Fernhalten alles Agi-


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[0299] Die Verhandlungen dos neunten Evangelisch-sozialen Kongresses schillings vertrieben werden solle, sondern trotz Pachtvertrag nur das leisten solle, was billig sei. Notleidenden Gutsherren freilich, die unvorsichtig Schulden gemacht haben, um viel zu gewinnen und größere Herren zu sein, als sie sollten, denen würde Luther, wenn sie hinterher durch Aufschlag auf die Kornpreise den Schaden auf andre abwälzen wollten, wahrscheinlich mit noch gröberer Deutlichkeit die Wahrheit gesagt haben, als oben zu lesen ist. Es ist zu bedauern, daß der Vortrag nicht neben Luthers Stellung zur Sozialpolitik auch die Zwinglis behandelt hat, der den modernen Anschauungen entschieden näher stand. Zwingli hat auch über die Bodenverschuldung ge¬ schrieben und für die Entschuldung neben dem Verbot der Ewigzinse auch das Verbot des Kaufs neuer Zinse empfohlen. Er meint, der Reiche werde sich nicht darüber beklagen können, denn er werde genug alte Zinsen von denen kaufen können, die ihre Zinsen nicht mehr haben, sondern ihr Kapital in andrer Weise anlegen wollten. Der Arme solle auch nicht klagen, wenn er keine Schulden mehr machen dürfe, sondern „sich strecken nach der Decke, geziemend und genügsam leben." Und Wenns nicht anders gehe, „soll er lieber seinen Hof und Haus verkaufen freien Kaufs, als seine Adern im Leibe." . . . „Und wird damit der Boden erledigt, dann mögen viel mehrere auf ihm erzogen werden; damit wird die Arbeit leichter, das Bauen edler und werter und die unnützen Handwerke, die man zu Hoffart und Kirchengepränge erdacht hat, wiederum unterlassen. Es wird auch ein Vorschub zu Frieden und Tugenden; denn von jeher ist Friede am wertesten und Tugend am meisten gewachsen bei denen, die das Erdreich bauen und sonst Liebe zu ziemlicher Arbeit gewinnen. Muß es aber je gewonnen sein mit andrer Menschen Arbeit, und willst du durchaus zusehen, nicht selbst die Hände in den Teig stoßen, so kaufe eignes, verleihe dasselbe um geziemender Teil der Früchte, so wird es den Weg ge¬ winnen: Werden viel Früchte, so wird dir auch viel; werden wenige, so wird dir auch wenig. Man muß den Zins geben, und ob der Hagel gleich bis ins zehnte Jahr schlüge. Darum wäre der Fruchtteil minder wider Gott, als Zins." Wir haben in Deutschland, von den kleinen Parzellen abgesehen, sehr wenig bäuerliche Pächter, und die Teilbauerwirtschaft ist, was den eigentlichen Ackerbau anbetrifft, fast ganz verschwunden. Weder eine Einschränkung der Pachtwirtschaft, noch die Einführung des Teilbaus mag heute wünschenswert sein, aber die berechtigte Forderung langfristiger Pachter mit einer bessern Verteilung des Ristkos zwischen Pächter und VerPächter in Einklang zu bringen, darüber einmal etwas nachzudenken, lohnte es sich schon. 2 Was Professor Stieda am 2. Juni über die Arbeiterorganisation gesagt hat, zeichnet sich sehr vorteilhaft aus durch das Fernhalten alles Agi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/299>, abgerufen am 29.04.2024.