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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Verhandlungen des neunten Evangelisch-sozialen Kongresses

nennt. Sie ist es wert, unsrer heutigen evangelischen Geistlichkeit recht nach¬
drücklich in die Erinnerung gerufen zu werden. Das übermäßige Hervorkehren
der Bekenntnis- und Kultusfragen in der orthodoxen Kirche, ebenso wie das
der Rechts- und Gesetzgebungsfragen durch die "politischen Pastoren" macht
das dringend wünschenswert.

Auch folgende Gedanken Luthers könnten ohne Schaden bei den evange¬
lisch-sozialen Bestrebungen von heute etwas mehr Beachtung finden: Daß es
arme und reiche Leute gäbe -- ich zitire nach dem Vortrag --, sei Gottes
Ordnung. Weder Reiche noch Arme seien vom Reiche Gottes auszuschließen,
sie sollten sich nur als Diener Gottes sühlen und die Sünde des Hochmuts
und des Neith abthun. Jeder Stand habe sein Ungemach und sein Glück,
man müsse nur das eine zu finden und das andre zu ertragen verstehen.
Auch der Fürst könne sür seine Arbeit nicht hinlänglich bezahlt werden. Das
Regieren bestehe nicht im Tragen goldner Ketten und marderner Schanden
und im Essen von Rebhühnern, wie die Bauern glaubten. Der Hausvater
habe den mühseligern Stand als das Gesinde, denn er sei lÄroulus oomwunis.
Der Herr im Hause solle mehr Güter haben denn sein Knecht, und doch müsse
der Knecht mehr arbeiten denn der Herr. Solche Ungleichheit müsse in der
Welt Reich sein und bleiben. Jage man das Ungemach zu einer Ecke hinaus,
so komme es zur andern wieder herein. . . . Reichtum und Armut seien von
Gott. Wer reich sein wolle, der arbeite und warte, ob ihn Gott segnen
wolle. -- Die Sehnsucht nach sozialer Gleichheit, die Gleichmachung der
Stände verdammt Luther als naturwidrig. Solche Ideale weist er in ihren
Bereich, d. h. in die Kirche zurück. Der Prediger sei "weder Hofdiener noch
Bauernknecht," er dürfe nicht "den Pöbel kitzeln und den Bauern Hofiren,"
aber ebenso wenig "den Herrn heucheln und wohldienen."

Gegen die Vodenverschulduug durch den Zinskanf vertrat bekanntlich
Luther die Meinung, daß der verschuldete Vetriebsinhaber, der Zinsmann, das
Risiko nicht allein tragen, sondern auch der Gläubiger, der Zinsherr, daran
teilnehmen sollte: "Also, wo ihm nach gethanen Fleiß sein Arbeit nit gelingt,
soll er -- der Zinsmann -- und mag er sagen zu seinem Zinsherrn: Dies
Jahr bin ich dir nichts schuldig, denn ich hab dir mein Arbeit und Mühe
Zins zu bringen auf dem und dem Gute verkaufet, das ist mir nit geraten,
der Schad ist dein und nicht mein. Denn willst du ein Interesse mit haben
zu gewinnen, mußt du auch ein Interesse mit haben zu verlieren, wie das
fordert die Art jeglichen Kaufs. Und welche Zinsherren das nit leiden wollen,
die sein also frumm als Räuber und Mörder und reißen aus dem Armen sein
Gut und Nahrung. Weh ihnen." -- Das könnte sich der moderne Staat als
Domänenverpächter heute auch manchmal gesagt sein lassen, wie der Kaiser es
thut, der ausdrücklich befohlen hat, daß kein ordentlicher Landwirt, der auf
seinen Gütern zu hoch in der Pacht sitze, wegen Nichtzahlung des Pacht-


Die Verhandlungen des neunten Evangelisch-sozialen Kongresses

nennt. Sie ist es wert, unsrer heutigen evangelischen Geistlichkeit recht nach¬
drücklich in die Erinnerung gerufen zu werden. Das übermäßige Hervorkehren
der Bekenntnis- und Kultusfragen in der orthodoxen Kirche, ebenso wie das
der Rechts- und Gesetzgebungsfragen durch die „politischen Pastoren" macht
das dringend wünschenswert.

Auch folgende Gedanken Luthers könnten ohne Schaden bei den evange¬
lisch-sozialen Bestrebungen von heute etwas mehr Beachtung finden: Daß es
arme und reiche Leute gäbe — ich zitire nach dem Vortrag —, sei Gottes
Ordnung. Weder Reiche noch Arme seien vom Reiche Gottes auszuschließen,
sie sollten sich nur als Diener Gottes sühlen und die Sünde des Hochmuts
und des Neith abthun. Jeder Stand habe sein Ungemach und sein Glück,
man müsse nur das eine zu finden und das andre zu ertragen verstehen.
Auch der Fürst könne sür seine Arbeit nicht hinlänglich bezahlt werden. Das
Regieren bestehe nicht im Tragen goldner Ketten und marderner Schanden
und im Essen von Rebhühnern, wie die Bauern glaubten. Der Hausvater
habe den mühseligern Stand als das Gesinde, denn er sei lÄroulus oomwunis.
Der Herr im Hause solle mehr Güter haben denn sein Knecht, und doch müsse
der Knecht mehr arbeiten denn der Herr. Solche Ungleichheit müsse in der
Welt Reich sein und bleiben. Jage man das Ungemach zu einer Ecke hinaus,
so komme es zur andern wieder herein. . . . Reichtum und Armut seien von
Gott. Wer reich sein wolle, der arbeite und warte, ob ihn Gott segnen
wolle. — Die Sehnsucht nach sozialer Gleichheit, die Gleichmachung der
Stände verdammt Luther als naturwidrig. Solche Ideale weist er in ihren
Bereich, d. h. in die Kirche zurück. Der Prediger sei „weder Hofdiener noch
Bauernknecht," er dürfe nicht „den Pöbel kitzeln und den Bauern Hofiren,"
aber ebenso wenig „den Herrn heucheln und wohldienen."

Gegen die Vodenverschulduug durch den Zinskanf vertrat bekanntlich
Luther die Meinung, daß der verschuldete Vetriebsinhaber, der Zinsmann, das
Risiko nicht allein tragen, sondern auch der Gläubiger, der Zinsherr, daran
teilnehmen sollte: „Also, wo ihm nach gethanen Fleiß sein Arbeit nit gelingt,
soll er — der Zinsmann — und mag er sagen zu seinem Zinsherrn: Dies
Jahr bin ich dir nichts schuldig, denn ich hab dir mein Arbeit und Mühe
Zins zu bringen auf dem und dem Gute verkaufet, das ist mir nit geraten,
der Schad ist dein und nicht mein. Denn willst du ein Interesse mit haben
zu gewinnen, mußt du auch ein Interesse mit haben zu verlieren, wie das
fordert die Art jeglichen Kaufs. Und welche Zinsherren das nit leiden wollen,
die sein also frumm als Räuber und Mörder und reißen aus dem Armen sein
Gut und Nahrung. Weh ihnen." — Das könnte sich der moderne Staat als
Domänenverpächter heute auch manchmal gesagt sein lassen, wie der Kaiser es
thut, der ausdrücklich befohlen hat, daß kein ordentlicher Landwirt, der auf
seinen Gütern zu hoch in der Pacht sitze, wegen Nichtzahlung des Pacht-


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[0298] Die Verhandlungen des neunten Evangelisch-sozialen Kongresses nennt. Sie ist es wert, unsrer heutigen evangelischen Geistlichkeit recht nach¬ drücklich in die Erinnerung gerufen zu werden. Das übermäßige Hervorkehren der Bekenntnis- und Kultusfragen in der orthodoxen Kirche, ebenso wie das der Rechts- und Gesetzgebungsfragen durch die „politischen Pastoren" macht das dringend wünschenswert. Auch folgende Gedanken Luthers könnten ohne Schaden bei den evange¬ lisch-sozialen Bestrebungen von heute etwas mehr Beachtung finden: Daß es arme und reiche Leute gäbe — ich zitire nach dem Vortrag —, sei Gottes Ordnung. Weder Reiche noch Arme seien vom Reiche Gottes auszuschließen, sie sollten sich nur als Diener Gottes sühlen und die Sünde des Hochmuts und des Neith abthun. Jeder Stand habe sein Ungemach und sein Glück, man müsse nur das eine zu finden und das andre zu ertragen verstehen. Auch der Fürst könne sür seine Arbeit nicht hinlänglich bezahlt werden. Das Regieren bestehe nicht im Tragen goldner Ketten und marderner Schanden und im Essen von Rebhühnern, wie die Bauern glaubten. Der Hausvater habe den mühseligern Stand als das Gesinde, denn er sei lÄroulus oomwunis. Der Herr im Hause solle mehr Güter haben denn sein Knecht, und doch müsse der Knecht mehr arbeiten denn der Herr. Solche Ungleichheit müsse in der Welt Reich sein und bleiben. Jage man das Ungemach zu einer Ecke hinaus, so komme es zur andern wieder herein. . . . Reichtum und Armut seien von Gott. Wer reich sein wolle, der arbeite und warte, ob ihn Gott segnen wolle. — Die Sehnsucht nach sozialer Gleichheit, die Gleichmachung der Stände verdammt Luther als naturwidrig. Solche Ideale weist er in ihren Bereich, d. h. in die Kirche zurück. Der Prediger sei „weder Hofdiener noch Bauernknecht," er dürfe nicht „den Pöbel kitzeln und den Bauern Hofiren," aber ebenso wenig „den Herrn heucheln und wohldienen." Gegen die Vodenverschulduug durch den Zinskanf vertrat bekanntlich Luther die Meinung, daß der verschuldete Vetriebsinhaber, der Zinsmann, das Risiko nicht allein tragen, sondern auch der Gläubiger, der Zinsherr, daran teilnehmen sollte: „Also, wo ihm nach gethanen Fleiß sein Arbeit nit gelingt, soll er — der Zinsmann — und mag er sagen zu seinem Zinsherrn: Dies Jahr bin ich dir nichts schuldig, denn ich hab dir mein Arbeit und Mühe Zins zu bringen auf dem und dem Gute verkaufet, das ist mir nit geraten, der Schad ist dein und nicht mein. Denn willst du ein Interesse mit haben zu gewinnen, mußt du auch ein Interesse mit haben zu verlieren, wie das fordert die Art jeglichen Kaufs. Und welche Zinsherren das nit leiden wollen, die sein also frumm als Räuber und Mörder und reißen aus dem Armen sein Gut und Nahrung. Weh ihnen." — Das könnte sich der moderne Staat als Domänenverpächter heute auch manchmal gesagt sein lassen, wie der Kaiser es thut, der ausdrücklich befohlen hat, daß kein ordentlicher Landwirt, der auf seinen Gütern zu hoch in der Pacht sitze, wegen Nichtzahlung des Pacht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/298>, abgerufen am 16.05.2024.