Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frühlingstage am Garigliano

als titanische Hybris über alles scheuten.*) Einen solchen Titanen hat Goethe
im Faust gezeichnet (daß er ihn dem verdienten Fegefeuer entwischen läßt, ist
durch Gretchens Fürbitte schlecht genug motivirt), aber er selbst ist, wie Nietzsche
einmal ganz richtig sagt, kein Faust gewesen; er hat wohl faustische Anwand¬
lungen und Stimmungen durchgemacht und sich daher ganz gut in die Seele
eines solchen Übermenschen zu versetzen vermocht, aber daß er diese Anwand¬
lungen überwunden, kein Übermensch geworden ist, das mindert seine Größe
nicht; im Gegenteil, das echte Genie bewährt sich eben dadurch, daß es nicht
überschnappt. VI, 124 läßt Nietzsche seinen Zarathustra sagen: "wenn es
Götter gäbe, wie hielte ichs aus, kein Gott zu sein!" Dieses frevle Wort
wird er ihm wohl bloß in den Mund gelegt haben, wie Goethe dem Faust
den großen Fluch. Sollte es ihm aber Ernst damit gewesen sein, dann, ja
dann wäre er schon wahnsinnig gewesen, als er das schrieb.**)




Frühlingstage am Garigliano
(Fortsetzung"

as Liristhal von Sora abwärts hat schon vor vierzig Jahren
in Ferdinand Gregorovius einen begeisterten Schilderer gefunden
(Wanderjahre in Italien, 2. Band). Wir waren gespannt, ob wir
noch dieselben Verhältnisse antreffen würden, die der Geschicht¬
schreiber des mittelalterlichen Roms mit klassischer Anmut dar¬
gestellt hat.***) Der Charakter der Landschaft war zu unsrer Freude derselbe





*) Wie wunderbar fromm sind Sokrates und Xenophon! Und noch Paulus findet die
Athener ö-^-Sa/^o^ors^o^s als die übrigen Menschen. Man thut den Griechen sehr unrecht,
wenn man das mit "abergläubischer" übersetzt! ihre aufrichtige Scheu vor der Verletzung der
göttlichen Mächte durch Frevel und Eidbruch hat über der Frömmigkeit unsrer heutigen Durch-
schnittschristcn gestanden.
Von der Nietzschelitteratur habe ich wenig gelesen. Von diesem wenigen ist das be¬
deutendste: Friedrich Nietzsche. Ein Lebensbild von Hans Gallwitz. Dresden und Leipzig,
Carl Reißner, 1898. Ein sehr empfehlenswertes Büchlein! Der Verfasser verehrt Nietzsche,
würdigt und kritisirt ihn aber von einem Standpunkt aus, der dem meinen benachbart ist.
Über Gregorovius habe ich seinerzeit in den Preußischen Jahrbüchern (1897, Oktober-
Heft S. 10) ein Urteil von F. Gothein gelesen, das mich frappirte. Er sagt: "Ich habe es oft
mit Bedauern gesehen, wie selbst Hochgebildete Burckhardts Werk "Die Kultur der Nenaissance-
als zur Einführung zu schwer erklärten und sich an das gleichmäßig schwungvolle Pathos von
Gregorovius, das doch im Grunde ein schlechter Stil ist, hielten." Ich bedaure, daß dieses
Urteil aus der Feder des feinsinnigen Kulturhistorikcrs geflossen ist, denn es ist ungerecht und
Frühlingstage am Garigliano

als titanische Hybris über alles scheuten.*) Einen solchen Titanen hat Goethe
im Faust gezeichnet (daß er ihn dem verdienten Fegefeuer entwischen läßt, ist
durch Gretchens Fürbitte schlecht genug motivirt), aber er selbst ist, wie Nietzsche
einmal ganz richtig sagt, kein Faust gewesen; er hat wohl faustische Anwand¬
lungen und Stimmungen durchgemacht und sich daher ganz gut in die Seele
eines solchen Übermenschen zu versetzen vermocht, aber daß er diese Anwand¬
lungen überwunden, kein Übermensch geworden ist, das mindert seine Größe
nicht; im Gegenteil, das echte Genie bewährt sich eben dadurch, daß es nicht
überschnappt. VI, 124 läßt Nietzsche seinen Zarathustra sagen: „wenn es
Götter gäbe, wie hielte ichs aus, kein Gott zu sein!" Dieses frevle Wort
wird er ihm wohl bloß in den Mund gelegt haben, wie Goethe dem Faust
den großen Fluch. Sollte es ihm aber Ernst damit gewesen sein, dann, ja
dann wäre er schon wahnsinnig gewesen, als er das schrieb.**)




Frühlingstage am Garigliano
(Fortsetzung»

as Liristhal von Sora abwärts hat schon vor vierzig Jahren
in Ferdinand Gregorovius einen begeisterten Schilderer gefunden
(Wanderjahre in Italien, 2. Band). Wir waren gespannt, ob wir
noch dieselben Verhältnisse antreffen würden, die der Geschicht¬
schreiber des mittelalterlichen Roms mit klassischer Anmut dar¬
gestellt hat.***) Der Charakter der Landschaft war zu unsrer Freude derselbe





*) Wie wunderbar fromm sind Sokrates und Xenophon! Und noch Paulus findet die
Athener ö-^-Sa/^o^ors^o^s als die übrigen Menschen. Man thut den Griechen sehr unrecht,
wenn man das mit „abergläubischer" übersetzt! ihre aufrichtige Scheu vor der Verletzung der
göttlichen Mächte durch Frevel und Eidbruch hat über der Frömmigkeit unsrer heutigen Durch-
schnittschristcn gestanden.
Von der Nietzschelitteratur habe ich wenig gelesen. Von diesem wenigen ist das be¬
deutendste: Friedrich Nietzsche. Ein Lebensbild von Hans Gallwitz. Dresden und Leipzig,
Carl Reißner, 1898. Ein sehr empfehlenswertes Büchlein! Der Verfasser verehrt Nietzsche,
würdigt und kritisirt ihn aber von einem Standpunkt aus, der dem meinen benachbart ist.
Über Gregorovius habe ich seinerzeit in den Preußischen Jahrbüchern (1897, Oktober-
Heft S. 10) ein Urteil von F. Gothein gelesen, das mich frappirte. Er sagt: „Ich habe es oft
mit Bedauern gesehen, wie selbst Hochgebildete Burckhardts Werk »Die Kultur der Nenaissance-
als zur Einführung zu schwer erklärten und sich an das gleichmäßig schwungvolle Pathos von
Gregorovius, das doch im Grunde ein schlechter Stil ist, hielten." Ich bedaure, daß dieses
Urteil aus der Feder des feinsinnigen Kulturhistorikcrs geflossen ist, denn es ist ungerecht und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228618"/>
          <fw type="header" place="top"> Frühlingstage am Garigliano</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1125" prev="#ID_1124"> als titanische Hybris über alles scheuten.*) Einen solchen Titanen hat Goethe<lb/>
im Faust gezeichnet (daß er ihn dem verdienten Fegefeuer entwischen läßt, ist<lb/>
durch Gretchens Fürbitte schlecht genug motivirt), aber er selbst ist, wie Nietzsche<lb/>
einmal ganz richtig sagt, kein Faust gewesen; er hat wohl faustische Anwand¬<lb/>
lungen und Stimmungen durchgemacht und sich daher ganz gut in die Seele<lb/>
eines solchen Übermenschen zu versetzen vermocht, aber daß er diese Anwand¬<lb/>
lungen überwunden, kein Übermensch geworden ist, das mindert seine Größe<lb/>
nicht; im Gegenteil, das echte Genie bewährt sich eben dadurch, daß es nicht<lb/>
überschnappt. VI, 124 läßt Nietzsche seinen Zarathustra sagen: &#x201E;wenn es<lb/>
Götter gäbe, wie hielte ichs aus, kein Gott zu sein!" Dieses frevle Wort<lb/>
wird er ihm wohl bloß in den Mund gelegt haben, wie Goethe dem Faust<lb/>
den großen Fluch. Sollte es ihm aber Ernst damit gewesen sein, dann, ja<lb/>
dann wäre er schon wahnsinnig gewesen, als er das schrieb.**)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Frühlingstage am Garigliano<lb/>
(Fortsetzung» </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1126" next="#ID_1127"> as Liristhal von Sora abwärts hat schon vor vierzig Jahren<lb/>
in Ferdinand Gregorovius einen begeisterten Schilderer gefunden<lb/>
(Wanderjahre in Italien, 2. Band). Wir waren gespannt, ob wir<lb/>
noch dieselben Verhältnisse antreffen würden, die der Geschicht¬<lb/>
schreiber des mittelalterlichen Roms mit klassischer Anmut dar¬<lb/>
gestellt hat.***) Der Charakter der Landschaft war zu unsrer Freude derselbe</p><lb/>
          <note xml:id="FID_68" place="foot"> *) Wie wunderbar fromm sind Sokrates und Xenophon! Und noch Paulus findet die<lb/>
Athener ö-^-Sa/^o^ors^o^s als die übrigen Menschen. Man thut den Griechen sehr unrecht,<lb/>
wenn man das mit &#x201E;abergläubischer" übersetzt! ihre aufrichtige Scheu vor der Verletzung der<lb/>
göttlichen Mächte durch Frevel und Eidbruch hat über der Frömmigkeit unsrer heutigen Durch-<lb/>
schnittschristcn gestanden.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_69" place="foot"> Von der Nietzschelitteratur habe ich wenig gelesen. Von diesem wenigen ist das be¬<lb/>
deutendste: Friedrich Nietzsche. Ein Lebensbild von Hans Gallwitz. Dresden und Leipzig,<lb/>
Carl Reißner, 1898. Ein sehr empfehlenswertes Büchlein! Der Verfasser verehrt Nietzsche,<lb/>
würdigt und kritisirt ihn aber von einem Standpunkt aus, der dem meinen benachbart ist.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_70" place="foot" next="#FID_71"> Über Gregorovius habe ich seinerzeit in den Preußischen Jahrbüchern (1897, Oktober-<lb/>
Heft S. 10) ein Urteil von F. Gothein gelesen, das mich frappirte. Er sagt: &#x201E;Ich habe es oft<lb/>
mit Bedauern gesehen, wie selbst Hochgebildete Burckhardts Werk »Die Kultur der Nenaissance-<lb/>
als zur Einführung zu schwer erklärten und sich an das gleichmäßig schwungvolle Pathos von<lb/>
Gregorovius, das doch im Grunde ein schlechter Stil ist, hielten." Ich bedaure, daß dieses<lb/>
Urteil aus der Feder des feinsinnigen Kulturhistorikcrs geflossen ist, denn es ist ungerecht und</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Frühlingstage am Garigliano als titanische Hybris über alles scheuten.*) Einen solchen Titanen hat Goethe im Faust gezeichnet (daß er ihn dem verdienten Fegefeuer entwischen läßt, ist durch Gretchens Fürbitte schlecht genug motivirt), aber er selbst ist, wie Nietzsche einmal ganz richtig sagt, kein Faust gewesen; er hat wohl faustische Anwand¬ lungen und Stimmungen durchgemacht und sich daher ganz gut in die Seele eines solchen Übermenschen zu versetzen vermocht, aber daß er diese Anwand¬ lungen überwunden, kein Übermensch geworden ist, das mindert seine Größe nicht; im Gegenteil, das echte Genie bewährt sich eben dadurch, daß es nicht überschnappt. VI, 124 läßt Nietzsche seinen Zarathustra sagen: „wenn es Götter gäbe, wie hielte ichs aus, kein Gott zu sein!" Dieses frevle Wort wird er ihm wohl bloß in den Mund gelegt haben, wie Goethe dem Faust den großen Fluch. Sollte es ihm aber Ernst damit gewesen sein, dann, ja dann wäre er schon wahnsinnig gewesen, als er das schrieb.**) Frühlingstage am Garigliano (Fortsetzung» as Liristhal von Sora abwärts hat schon vor vierzig Jahren in Ferdinand Gregorovius einen begeisterten Schilderer gefunden (Wanderjahre in Italien, 2. Band). Wir waren gespannt, ob wir noch dieselben Verhältnisse antreffen würden, die der Geschicht¬ schreiber des mittelalterlichen Roms mit klassischer Anmut dar¬ gestellt hat.***) Der Charakter der Landschaft war zu unsrer Freude derselbe *) Wie wunderbar fromm sind Sokrates und Xenophon! Und noch Paulus findet die Athener ö-^-Sa/^o^ors^o^s als die übrigen Menschen. Man thut den Griechen sehr unrecht, wenn man das mit „abergläubischer" übersetzt! ihre aufrichtige Scheu vor der Verletzung der göttlichen Mächte durch Frevel und Eidbruch hat über der Frömmigkeit unsrer heutigen Durch- schnittschristcn gestanden. Von der Nietzschelitteratur habe ich wenig gelesen. Von diesem wenigen ist das be¬ deutendste: Friedrich Nietzsche. Ein Lebensbild von Hans Gallwitz. Dresden und Leipzig, Carl Reißner, 1898. Ein sehr empfehlenswertes Büchlein! Der Verfasser verehrt Nietzsche, würdigt und kritisirt ihn aber von einem Standpunkt aus, der dem meinen benachbart ist. Über Gregorovius habe ich seinerzeit in den Preußischen Jahrbüchern (1897, Oktober- Heft S. 10) ein Urteil von F. Gothein gelesen, das mich frappirte. Er sagt: „Ich habe es oft mit Bedauern gesehen, wie selbst Hochgebildete Burckhardts Werk »Die Kultur der Nenaissance- als zur Einführung zu schwer erklärten und sich an das gleichmäßig schwungvolle Pathos von Gregorovius, das doch im Grunde ein schlechter Stil ist, hielten." Ich bedaure, daß dieses Urteil aus der Feder des feinsinnigen Kulturhistorikcrs geflossen ist, denn es ist ungerecht und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/316>, abgerufen am 29.04.2024.