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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Wagners Musik')
v Leon Tolstoi on

l
e Werke Richard Wagners werden seit einigen Jahren nicht nur
von den Deutschen, sondern much von den Franzosen und Engländern
mit immer wachsender Begeisterung aufgenommen als die Werke
einer Kunst und eines Künstlers ersten Ranges. Dieser Erfolg der
Wagnerschen Musik beweist, wie sehr unsre zeitgenössische Gesellschaft
alle" Sinn für die wahre Kunst verloren hat, und wie leicht sie sich
von Erzeugnissen fortreißen läßt, die nichts mit der wahren .Kunst gemein haben.

Der Hauptgrundsatz Wagners ist bekanntlich, daß in einer Oper die Musik
der Dichtkunst dienen müsse, daß sie die Dichtung bis in die kleinsten Abtönungen
zu übersetzen, zu illustriren habe. Dieser Grundsatz ist falsch, denn jede Kunst hat
ihr eignes wohlbegrcnztes Gebiet; sie berührt zwar die Nachbarkünfle, aber sie ver¬
mischt sich nicht mit ihnen. Und wenn man trotzdem in einem nud demselben
Werke zwei verschiedne Künste vereinigt, z. B. in der Oper die dramatische und
die musikalische, so verhindern die Forderungen der einen Kunst, daß man die der
andern erfüllen kann.

Die Vereinigung des Dramas mit der Musik wurde schon im fünfzehnten
Jahrhundert in Italien sür möglich gehalten, weil man damit das musikalische
Drama der Griechen wieder zu erwecken glaubte. Das Musikdramn ist eine ge¬
machte, künstliche Form, die zwar einen gewissen Erfolg gehabt hat und uoch hat,
aber nur bei deu ober" Klassen und nur, wenn sich begabte Musiker, wie Mozart,
Weber, Rossini und andre, die sich für einen dramatisch wirksamen Stoff begeisterten,
vollständig ihrer musikalischen Inspiration überließen und dabei den Text der Musik
völlig unterordneten. Daher war in ihren Opern einzig und allein die Musik die
Hauptsache für die Hörer und nicht der Text, der, selbst wenn er albern war,
wie in der Zauberflöte, durchaus uicht die künstlerische Wirkung der Musik beein¬
trächtigte.

Wagner hat die Oper reformiren wollen, indem er die Musik der Dichtung
unterordnete, und indem er beide mit einander vermischte. Aber die Musik kauu
sich auf keinen Fall der dramatischen Poesie unterordnen, ohne ihren künstlerischen
Wert zu verlieren, weil jedes wahre Kunstwerk schon für sich allein auf eine eigne,
selbständige Art die Empfindung des Meisters ausdrückt. Das musikalische wie
das dramatische Werk muß -- jedes für sich -- diesen selbständigen Charakter
haben. Nur unter ganz unmöglichen Voraussetzungen könnten die Werke zweier
verschiedner Künste ganz in einander aufgehen: die Werke müßten dann beide völlig
neu sei", sie müßten ganz und gar von allem abweichen, was bisher geschaffen
worden ist; dabei müßten sie aber doch unter einander eine solche Ähnlichkeit haben,



*) Wir drucken diesen Aufsatz, der unsre Leser amüsiren wird, der livvus as?"ris nach.


Wagners Musik')
v Leon Tolstoi on

l
e Werke Richard Wagners werden seit einigen Jahren nicht nur
von den Deutschen, sondern much von den Franzosen und Engländern
mit immer wachsender Begeisterung aufgenommen als die Werke
einer Kunst und eines Künstlers ersten Ranges. Dieser Erfolg der
Wagnerschen Musik beweist, wie sehr unsre zeitgenössische Gesellschaft
alle» Sinn für die wahre Kunst verloren hat, und wie leicht sie sich
von Erzeugnissen fortreißen läßt, die nichts mit der wahren .Kunst gemein haben.

Der Hauptgrundsatz Wagners ist bekanntlich, daß in einer Oper die Musik
der Dichtkunst dienen müsse, daß sie die Dichtung bis in die kleinsten Abtönungen
zu übersetzen, zu illustriren habe. Dieser Grundsatz ist falsch, denn jede Kunst hat
ihr eignes wohlbegrcnztes Gebiet; sie berührt zwar die Nachbarkünfle, aber sie ver¬
mischt sich nicht mit ihnen. Und wenn man trotzdem in einem nud demselben
Werke zwei verschiedne Künste vereinigt, z. B. in der Oper die dramatische und
die musikalische, so verhindern die Forderungen der einen Kunst, daß man die der
andern erfüllen kann.

Die Vereinigung des Dramas mit der Musik wurde schon im fünfzehnten
Jahrhundert in Italien sür möglich gehalten, weil man damit das musikalische
Drama der Griechen wieder zu erwecken glaubte. Das Musikdramn ist eine ge¬
machte, künstliche Form, die zwar einen gewissen Erfolg gehabt hat und uoch hat,
aber nur bei deu ober» Klassen und nur, wenn sich begabte Musiker, wie Mozart,
Weber, Rossini und andre, die sich für einen dramatisch wirksamen Stoff begeisterten,
vollständig ihrer musikalischen Inspiration überließen und dabei den Text der Musik
völlig unterordneten. Daher war in ihren Opern einzig und allein die Musik die
Hauptsache für die Hörer und nicht der Text, der, selbst wenn er albern war,
wie in der Zauberflöte, durchaus uicht die künstlerische Wirkung der Musik beein¬
trächtigte.

Wagner hat die Oper reformiren wollen, indem er die Musik der Dichtung
unterordnete, und indem er beide mit einander vermischte. Aber die Musik kauu
sich auf keinen Fall der dramatischen Poesie unterordnen, ohne ihren künstlerischen
Wert zu verlieren, weil jedes wahre Kunstwerk schon für sich allein auf eine eigne,
selbständige Art die Empfindung des Meisters ausdrückt. Das musikalische wie
das dramatische Werk muß — jedes für sich — diesen selbständigen Charakter
haben. Nur unter ganz unmöglichen Voraussetzungen könnten die Werke zweier
verschiedner Künste ganz in einander aufgehen: die Werke müßten dann beide völlig
neu sei», sie müßten ganz und gar von allem abweichen, was bisher geschaffen
worden ist; dabei müßten sie aber doch unter einander eine solche Ähnlichkeit haben,



*) Wir drucken diesen Aufsatz, der unsre Leser amüsiren wird, der livvus as?»ris nach.
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[0374] [Abbildung] Wagners Musik') v Leon Tolstoi on l e Werke Richard Wagners werden seit einigen Jahren nicht nur von den Deutschen, sondern much von den Franzosen und Engländern mit immer wachsender Begeisterung aufgenommen als die Werke einer Kunst und eines Künstlers ersten Ranges. Dieser Erfolg der Wagnerschen Musik beweist, wie sehr unsre zeitgenössische Gesellschaft alle» Sinn für die wahre Kunst verloren hat, und wie leicht sie sich von Erzeugnissen fortreißen läßt, die nichts mit der wahren .Kunst gemein haben. Der Hauptgrundsatz Wagners ist bekanntlich, daß in einer Oper die Musik der Dichtkunst dienen müsse, daß sie die Dichtung bis in die kleinsten Abtönungen zu übersetzen, zu illustriren habe. Dieser Grundsatz ist falsch, denn jede Kunst hat ihr eignes wohlbegrcnztes Gebiet; sie berührt zwar die Nachbarkünfle, aber sie ver¬ mischt sich nicht mit ihnen. Und wenn man trotzdem in einem nud demselben Werke zwei verschiedne Künste vereinigt, z. B. in der Oper die dramatische und die musikalische, so verhindern die Forderungen der einen Kunst, daß man die der andern erfüllen kann. Die Vereinigung des Dramas mit der Musik wurde schon im fünfzehnten Jahrhundert in Italien sür möglich gehalten, weil man damit das musikalische Drama der Griechen wieder zu erwecken glaubte. Das Musikdramn ist eine ge¬ machte, künstliche Form, die zwar einen gewissen Erfolg gehabt hat und uoch hat, aber nur bei deu ober» Klassen und nur, wenn sich begabte Musiker, wie Mozart, Weber, Rossini und andre, die sich für einen dramatisch wirksamen Stoff begeisterten, vollständig ihrer musikalischen Inspiration überließen und dabei den Text der Musik völlig unterordneten. Daher war in ihren Opern einzig und allein die Musik die Hauptsache für die Hörer und nicht der Text, der, selbst wenn er albern war, wie in der Zauberflöte, durchaus uicht die künstlerische Wirkung der Musik beein¬ trächtigte. Wagner hat die Oper reformiren wollen, indem er die Musik der Dichtung unterordnete, und indem er beide mit einander vermischte. Aber die Musik kauu sich auf keinen Fall der dramatischen Poesie unterordnen, ohne ihren künstlerischen Wert zu verlieren, weil jedes wahre Kunstwerk schon für sich allein auf eine eigne, selbständige Art die Empfindung des Meisters ausdrückt. Das musikalische wie das dramatische Werk muß — jedes für sich — diesen selbständigen Charakter haben. Nur unter ganz unmöglichen Voraussetzungen könnten die Werke zweier verschiedner Künste ganz in einander aufgehen: die Werke müßten dann beide völlig neu sei», sie müßten ganz und gar von allem abweichen, was bisher geschaffen worden ist; dabei müßten sie aber doch unter einander eine solche Ähnlichkeit haben, *) Wir drucken diesen Aufsatz, der unsre Leser amüsiren wird, der livvus as?»ris nach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/374>, abgerufen am 29.04.2024.