Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung
des Deutschtums

as germanische, insbesondre das deutsche Volkstum hat den
zweifelhaften Vorzug, der beste Völkerdünger, das Kultursalz
tiefer stehender Stämme zu sein -- wie es einst in der Völker¬
wanderung die zersetzten Säfte der alten Welt mit seinem kraft¬
vollen Blut auffrischte --, dafür aber seine Sprache und zum Teil
die eingebornen Eigenschaften aufzugeben. Unabänderliche Thatsachen der Ver¬
gangenheit, die gleichwohl den wahren Vaterlandsfreund tief bekümmern, zumal
da sich auch in der Gegenwart das alte Spiel erneuert, als ob das neue Reich
gar nicht vorhanden wäre. Als Ausdruck dieses Kleinmuth und dieser Selbst¬
beschränkung, die an Selbstvernichtung grenzt, kann auch die Fassung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes angesehen werden, worin noch kein Hauch des
größern Deutschlands weht. Dieses Gesetz, das freilich nur den Inhalt der
vielfachen Bestimmungen der Einzelstaaten einheitlich zusammenfaßte, hat den
weitern Verlust des Deutschtums in unsern Hauptauswanderungsländern ver¬
ursacht, ja durch den sogenannten Bcmcroftvertrag ist sogar die kurze Frist von
zehn Jahren für den Verlust der Reichsangehörigkeit durch den Aufenthalt im
Auslande noch um fünf weitere Jahre vermindert worden, und gerade den
Vereinigten Staaten von Nordamerika gegenüber, die unsre schlimmsten Volks¬
und Wirtschaftsfeinde sind, obschon ein Drittel der Bevölkerung deutschen
Blutes ist; freilich sind darunter die verächtlichsten Renegaten vom Mil¬
liardär Astor bis zum elendesten Newyorker Lumpensammler hinab. Sowie
der Deutsche den heimischen Boden verläßt, es sei denn in amtlicher Eigenschaft
als Beamter oder Offizier, muß er gewärtig sein, nach zehn Jahren vater¬
landslos zu sein, falls er sich nicht gegen ziemlich hohe Gebühr in eine Kon¬
sulatsmatrikel eintragen läßt. Der Neichskonsul läuft ihm natürlich nicht nach,
und der Auswandrer reist wohl kaum mit einem Verzeichnis der amtlichen
Vertretungen des Reichs im Auslande, noch kümmert er sich ohne Not viel
um das alte Vaterland. Das Reich hat aber ein großes Interesse daran, sich
seine Söhne und deren Abkömmlinge, sowie deren Vermögen dauernd zu er¬
halten, will es nicht alljährlich gute Kräfte des Volkslebens und der Volks-




Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung
des Deutschtums

as germanische, insbesondre das deutsche Volkstum hat den
zweifelhaften Vorzug, der beste Völkerdünger, das Kultursalz
tiefer stehender Stämme zu sein — wie es einst in der Völker¬
wanderung die zersetzten Säfte der alten Welt mit seinem kraft¬
vollen Blut auffrischte —, dafür aber seine Sprache und zum Teil
die eingebornen Eigenschaften aufzugeben. Unabänderliche Thatsachen der Ver¬
gangenheit, die gleichwohl den wahren Vaterlandsfreund tief bekümmern, zumal
da sich auch in der Gegenwart das alte Spiel erneuert, als ob das neue Reich
gar nicht vorhanden wäre. Als Ausdruck dieses Kleinmuth und dieser Selbst¬
beschränkung, die an Selbstvernichtung grenzt, kann auch die Fassung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes angesehen werden, worin noch kein Hauch des
größern Deutschlands weht. Dieses Gesetz, das freilich nur den Inhalt der
vielfachen Bestimmungen der Einzelstaaten einheitlich zusammenfaßte, hat den
weitern Verlust des Deutschtums in unsern Hauptauswanderungsländern ver¬
ursacht, ja durch den sogenannten Bcmcroftvertrag ist sogar die kurze Frist von
zehn Jahren für den Verlust der Reichsangehörigkeit durch den Aufenthalt im
Auslande noch um fünf weitere Jahre vermindert worden, und gerade den
Vereinigten Staaten von Nordamerika gegenüber, die unsre schlimmsten Volks¬
und Wirtschaftsfeinde sind, obschon ein Drittel der Bevölkerung deutschen
Blutes ist; freilich sind darunter die verächtlichsten Renegaten vom Mil¬
liardär Astor bis zum elendesten Newyorker Lumpensammler hinab. Sowie
der Deutsche den heimischen Boden verläßt, es sei denn in amtlicher Eigenschaft
als Beamter oder Offizier, muß er gewärtig sein, nach zehn Jahren vater¬
landslos zu sein, falls er sich nicht gegen ziemlich hohe Gebühr in eine Kon¬
sulatsmatrikel eintragen läßt. Der Neichskonsul läuft ihm natürlich nicht nach,
und der Auswandrer reist wohl kaum mit einem Verzeichnis der amtlichen
Vertretungen des Reichs im Auslande, noch kümmert er sich ohne Not viel
um das alte Vaterland. Das Reich hat aber ein großes Interesse daran, sich
seine Söhne und deren Abkömmlinge, sowie deren Vermögen dauernd zu er¬
halten, will es nicht alljährlich gute Kräfte des Volkslebens und der Volks-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228704"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_228301/figures/grenzboten_341867_228301_228704_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung<lb/>
des Deutschtums</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1419" next="#ID_1420"> as germanische, insbesondre das deutsche Volkstum hat den<lb/>
zweifelhaften Vorzug, der beste Völkerdünger, das Kultursalz<lb/>
tiefer stehender Stämme zu sein &#x2014; wie es einst in der Völker¬<lb/>
wanderung die zersetzten Säfte der alten Welt mit seinem kraft¬<lb/>
vollen Blut auffrischte &#x2014;, dafür aber seine Sprache und zum Teil<lb/>
die eingebornen Eigenschaften aufzugeben. Unabänderliche Thatsachen der Ver¬<lb/>
gangenheit, die gleichwohl den wahren Vaterlandsfreund tief bekümmern, zumal<lb/>
da sich auch in der Gegenwart das alte Spiel erneuert, als ob das neue Reich<lb/>
gar nicht vorhanden wäre. Als Ausdruck dieses Kleinmuth und dieser Selbst¬<lb/>
beschränkung, die an Selbstvernichtung grenzt, kann auch die Fassung des<lb/>
Staatsangehörigkeitsgesetzes angesehen werden, worin noch kein Hauch des<lb/>
größern Deutschlands weht. Dieses Gesetz, das freilich nur den Inhalt der<lb/>
vielfachen Bestimmungen der Einzelstaaten einheitlich zusammenfaßte, hat den<lb/>
weitern Verlust des Deutschtums in unsern Hauptauswanderungsländern ver¬<lb/>
ursacht, ja durch den sogenannten Bcmcroftvertrag ist sogar die kurze Frist von<lb/>
zehn Jahren für den Verlust der Reichsangehörigkeit durch den Aufenthalt im<lb/>
Auslande noch um fünf weitere Jahre vermindert worden, und gerade den<lb/>
Vereinigten Staaten von Nordamerika gegenüber, die unsre schlimmsten Volks¬<lb/>
und Wirtschaftsfeinde sind, obschon ein Drittel der Bevölkerung deutschen<lb/>
Blutes ist; freilich sind darunter die verächtlichsten Renegaten vom Mil¬<lb/>
liardär Astor bis zum elendesten Newyorker Lumpensammler hinab. Sowie<lb/>
der Deutsche den heimischen Boden verläßt, es sei denn in amtlicher Eigenschaft<lb/>
als Beamter oder Offizier, muß er gewärtig sein, nach zehn Jahren vater¬<lb/>
landslos zu sein, falls er sich nicht gegen ziemlich hohe Gebühr in eine Kon¬<lb/>
sulatsmatrikel eintragen läßt. Der Neichskonsul läuft ihm natürlich nicht nach,<lb/>
und der Auswandrer reist wohl kaum mit einem Verzeichnis der amtlichen<lb/>
Vertretungen des Reichs im Auslande, noch kümmert er sich ohne Not viel<lb/>
um das alte Vaterland. Das Reich hat aber ein großes Interesse daran, sich<lb/>
seine Söhne und deren Abkömmlinge, sowie deren Vermögen dauernd zu er¬<lb/>
halten, will es nicht alljährlich gute Kräfte des Volkslebens und der Volks-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] [Abbildung] Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums as germanische, insbesondre das deutsche Volkstum hat den zweifelhaften Vorzug, der beste Völkerdünger, das Kultursalz tiefer stehender Stämme zu sein — wie es einst in der Völker¬ wanderung die zersetzten Säfte der alten Welt mit seinem kraft¬ vollen Blut auffrischte —, dafür aber seine Sprache und zum Teil die eingebornen Eigenschaften aufzugeben. Unabänderliche Thatsachen der Ver¬ gangenheit, die gleichwohl den wahren Vaterlandsfreund tief bekümmern, zumal da sich auch in der Gegenwart das alte Spiel erneuert, als ob das neue Reich gar nicht vorhanden wäre. Als Ausdruck dieses Kleinmuth und dieser Selbst¬ beschränkung, die an Selbstvernichtung grenzt, kann auch die Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes angesehen werden, worin noch kein Hauch des größern Deutschlands weht. Dieses Gesetz, das freilich nur den Inhalt der vielfachen Bestimmungen der Einzelstaaten einheitlich zusammenfaßte, hat den weitern Verlust des Deutschtums in unsern Hauptauswanderungsländern ver¬ ursacht, ja durch den sogenannten Bcmcroftvertrag ist sogar die kurze Frist von zehn Jahren für den Verlust der Reichsangehörigkeit durch den Aufenthalt im Auslande noch um fünf weitere Jahre vermindert worden, und gerade den Vereinigten Staaten von Nordamerika gegenüber, die unsre schlimmsten Volks¬ und Wirtschaftsfeinde sind, obschon ein Drittel der Bevölkerung deutschen Blutes ist; freilich sind darunter die verächtlichsten Renegaten vom Mil¬ liardär Astor bis zum elendesten Newyorker Lumpensammler hinab. Sowie der Deutsche den heimischen Boden verläßt, es sei denn in amtlicher Eigenschaft als Beamter oder Offizier, muß er gewärtig sein, nach zehn Jahren vater¬ landslos zu sein, falls er sich nicht gegen ziemlich hohe Gebühr in eine Kon¬ sulatsmatrikel eintragen läßt. Der Neichskonsul läuft ihm natürlich nicht nach, und der Auswandrer reist wohl kaum mit einem Verzeichnis der amtlichen Vertretungen des Reichs im Auslande, noch kümmert er sich ohne Not viel um das alte Vaterland. Das Reich hat aber ein großes Interesse daran, sich seine Söhne und deren Abkömmlinge, sowie deren Vermögen dauernd zu er¬ halten, will es nicht alljährlich gute Kräfte des Volkslebens und der Volks-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/402>, abgerufen am 29.04.2024.