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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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eines alten Deutschen Plaudereien
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reihen und Gleichgiltigkeit, das auf libsrts se gKg.Illo gemünzte
Scherzwort, hätte zu Anfang des Jahrhunderts wohl als Motto
für das Verhältnis der Mehrzahl der Gebildeten zu den religiösen
Fragen dienen können. Wenn der Staat wieder jedem erlauben
wollte, nach seiner Fa?on selig zu werden, so ging es die ein¬
zelnen noch weniger an, wie bei andern die FaeM beschaffen
war. Daß ein Schulkamerad, vielleicht der Sohn eines aus Westpreußen oder der
Rheinprovinz gekommnen Beamten, nicht konfirmirt sondern gefirmt war, erfuhren
wir wohl beiläufig, ohne uns weiter darum zu kümmern, und die wenigen Schüler
mosaischer Religion hatten meines Erinnerns niemals Anlaß, sich über Mangel an
Rücksicht zu beklage". Was über die "Stillen im Lande" verlautete, die Alt¬
lutheraner, die von eifernden Geistlichen angestiftet werden sollten, sich gegen die
Union der beiden evangelischen Bekenntnisse, das Lieblingswerk Friedrich Wilhelms III.,
ablehnend zu Verhalten, blieb uns ziemlich unverständlich, und erst sehr spät sollte
ich erfahren, wie tief die trennenden Vorurteile wurzeln können, als nämlich ein
uiederrheinischer Fabrikant auf eine Bemerkung des Bedauerns über die Schmuck¬
losigkeit der kalvinistischen Kirchen Hollands und der Westschweiz schroff antwortete,
Bilder in den Kirchen würden sofort den Götzendienst wiederbringen! Von der
Kampflust eiues Teiles des katholischen Klerus zeugten allerdings die Streitigkeiten
über die gemischten Ehen; allein man war unbesorgt, obgleich die Verbindung des
Königs mit der katholischen Gräfin Harrach (Fürstin Liegnitz) und des Kronprinzen
mit einer bayrischen Prinzessin manche Bedenken erregt hatten, denn die Regierung
ging mit Entschiedenheit vor, indem sie die Erzbischöfe von Köln und Gnesen,
Droste-Vischering und Durm, "veranlaßte" (wie es amtlich hieß), sich auf feste
Plätze zurückzuziehen. Noch einmal ernste Kämpfe um des Glaubens willen --
das schien undenkbar. Als eines Sonntags mein Vater vor der Kirchthür von
einem Kollegen hörte, die angesägte Kirchenmusik sei verschoben worden, und er
umkehrte, weil er eine Predigt zu hören nicht beabsichtigte, bemerkte der Kollege
lächelnd: "So weit sind wir ja gottlob, daß die christliche Gesinnung nicht nach
dem Kirchenbesuch abgemessen wird."

Nicht lange jedoch, und strebsame Beamte fanden es geraten, sich nllsonn-
taglich mit dem Gesangbuch unter dem Arme zu zeigen. "Der Romantiker ans dem
Throne der Cäsaren," wie David Friedrich Strauß den König nannte, wollte den
Unglauben wieder ausrotten, und zu dem Ende mußte die wissenschaftliche Forschung
an den Hochschulen eingeschränkt werden. Mau griff auch dabei zu dem verkehrtesten
Mittel. Ernste Arbeiten, wie Bruno Bauers Kritik der Evangelien der Synoptiker,


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eines alten Deutschen Plaudereien
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reihen und Gleichgiltigkeit, das auf libsrts se gKg.Illo gemünzte
Scherzwort, hätte zu Anfang des Jahrhunderts wohl als Motto
für das Verhältnis der Mehrzahl der Gebildeten zu den religiösen
Fragen dienen können. Wenn der Staat wieder jedem erlauben
wollte, nach seiner Fa?on selig zu werden, so ging es die ein¬
zelnen noch weniger an, wie bei andern die FaeM beschaffen
war. Daß ein Schulkamerad, vielleicht der Sohn eines aus Westpreußen oder der
Rheinprovinz gekommnen Beamten, nicht konfirmirt sondern gefirmt war, erfuhren
wir wohl beiläufig, ohne uns weiter darum zu kümmern, und die wenigen Schüler
mosaischer Religion hatten meines Erinnerns niemals Anlaß, sich über Mangel an
Rücksicht zu beklage». Was über die „Stillen im Lande" verlautete, die Alt¬
lutheraner, die von eifernden Geistlichen angestiftet werden sollten, sich gegen die
Union der beiden evangelischen Bekenntnisse, das Lieblingswerk Friedrich Wilhelms III.,
ablehnend zu Verhalten, blieb uns ziemlich unverständlich, und erst sehr spät sollte
ich erfahren, wie tief die trennenden Vorurteile wurzeln können, als nämlich ein
uiederrheinischer Fabrikant auf eine Bemerkung des Bedauerns über die Schmuck¬
losigkeit der kalvinistischen Kirchen Hollands und der Westschweiz schroff antwortete,
Bilder in den Kirchen würden sofort den Götzendienst wiederbringen! Von der
Kampflust eiues Teiles des katholischen Klerus zeugten allerdings die Streitigkeiten
über die gemischten Ehen; allein man war unbesorgt, obgleich die Verbindung des
Königs mit der katholischen Gräfin Harrach (Fürstin Liegnitz) und des Kronprinzen
mit einer bayrischen Prinzessin manche Bedenken erregt hatten, denn die Regierung
ging mit Entschiedenheit vor, indem sie die Erzbischöfe von Köln und Gnesen,
Droste-Vischering und Durm, „veranlaßte" (wie es amtlich hieß), sich auf feste
Plätze zurückzuziehen. Noch einmal ernste Kämpfe um des Glaubens willen —
das schien undenkbar. Als eines Sonntags mein Vater vor der Kirchthür von
einem Kollegen hörte, die angesägte Kirchenmusik sei verschoben worden, und er
umkehrte, weil er eine Predigt zu hören nicht beabsichtigte, bemerkte der Kollege
lächelnd: „So weit sind wir ja gottlob, daß die christliche Gesinnung nicht nach
dem Kirchenbesuch abgemessen wird."

Nicht lange jedoch, und strebsame Beamte fanden es geraten, sich nllsonn-
taglich mit dem Gesangbuch unter dem Arme zu zeigen. „Der Romantiker ans dem
Throne der Cäsaren," wie David Friedrich Strauß den König nannte, wollte den
Unglauben wieder ausrotten, und zu dem Ende mußte die wissenschaftliche Forschung
an den Hochschulen eingeschränkt werden. Mau griff auch dabei zu dem verkehrtesten
Mittel. Ernste Arbeiten, wie Bruno Bauers Kritik der Evangelien der Synoptiker,


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[0577] [Abbildung] Lenecw8 lon^u^x eines alten Deutschen Plaudereien 5 reihen und Gleichgiltigkeit, das auf libsrts se gKg.Illo gemünzte Scherzwort, hätte zu Anfang des Jahrhunderts wohl als Motto für das Verhältnis der Mehrzahl der Gebildeten zu den religiösen Fragen dienen können. Wenn der Staat wieder jedem erlauben wollte, nach seiner Fa?on selig zu werden, so ging es die ein¬ zelnen noch weniger an, wie bei andern die FaeM beschaffen war. Daß ein Schulkamerad, vielleicht der Sohn eines aus Westpreußen oder der Rheinprovinz gekommnen Beamten, nicht konfirmirt sondern gefirmt war, erfuhren wir wohl beiläufig, ohne uns weiter darum zu kümmern, und die wenigen Schüler mosaischer Religion hatten meines Erinnerns niemals Anlaß, sich über Mangel an Rücksicht zu beklage». Was über die „Stillen im Lande" verlautete, die Alt¬ lutheraner, die von eifernden Geistlichen angestiftet werden sollten, sich gegen die Union der beiden evangelischen Bekenntnisse, das Lieblingswerk Friedrich Wilhelms III., ablehnend zu Verhalten, blieb uns ziemlich unverständlich, und erst sehr spät sollte ich erfahren, wie tief die trennenden Vorurteile wurzeln können, als nämlich ein uiederrheinischer Fabrikant auf eine Bemerkung des Bedauerns über die Schmuck¬ losigkeit der kalvinistischen Kirchen Hollands und der Westschweiz schroff antwortete, Bilder in den Kirchen würden sofort den Götzendienst wiederbringen! Von der Kampflust eiues Teiles des katholischen Klerus zeugten allerdings die Streitigkeiten über die gemischten Ehen; allein man war unbesorgt, obgleich die Verbindung des Königs mit der katholischen Gräfin Harrach (Fürstin Liegnitz) und des Kronprinzen mit einer bayrischen Prinzessin manche Bedenken erregt hatten, denn die Regierung ging mit Entschiedenheit vor, indem sie die Erzbischöfe von Köln und Gnesen, Droste-Vischering und Durm, „veranlaßte" (wie es amtlich hieß), sich auf feste Plätze zurückzuziehen. Noch einmal ernste Kämpfe um des Glaubens willen — das schien undenkbar. Als eines Sonntags mein Vater vor der Kirchthür von einem Kollegen hörte, die angesägte Kirchenmusik sei verschoben worden, und er umkehrte, weil er eine Predigt zu hören nicht beabsichtigte, bemerkte der Kollege lächelnd: „So weit sind wir ja gottlob, daß die christliche Gesinnung nicht nach dem Kirchenbesuch abgemessen wird." Nicht lange jedoch, und strebsame Beamte fanden es geraten, sich nllsonn- taglich mit dem Gesangbuch unter dem Arme zu zeigen. „Der Romantiker ans dem Throne der Cäsaren," wie David Friedrich Strauß den König nannte, wollte den Unglauben wieder ausrotten, und zu dem Ende mußte die wissenschaftliche Forschung an den Hochschulen eingeschränkt werden. Mau griff auch dabei zu dem verkehrtesten Mittel. Ernste Arbeiten, wie Bruno Bauers Kritik der Evangelien der Synoptiker, Grenzboten III 18S8 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/577>, abgerufen am 29.04.2024.