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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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machten uns ihre Aufwartung. Das zog spaßhaft, ernsthaft, endlos vorüber.
Jeder riß vor unsrer Höhle sein Mützchen vom Kopf usw." Der Kinder-
Phantasie, die das für möglich hält, ist also die Erzählung gefolgt und setzt
es in Wirklichkeit um. Auch allmählich absterbender Sitten wird gedacht,
aber nicht in langweilender Beschreibung, z. B. der Sippengenosfenschaft des
"Plovg." Sie "vertrat in der allgemeinen Schwermut den frischen Mut zum
Leben. Auch bei den thrünenreichsten Todesfällen war sie schon, wenn noch
der Trauerzug langsam dahinschaukelte. beschäftigt, die von der Unabwendbaren
zerschnittnen Fäden neu anzuknüpfen." Das führt uns unmittelbar auf das
Verfahren des Verfassers unsers Buches. In Wirklichkeit stimmt ja unser
Gemüt die uns umgebende Natur und nimmt von ihr und aus ihr den Ton,
der zu seiner Stimmung paßt. Dem schwersten Leid nützt kein Sonnenschein,
und dem Glücklichen ist der Himmel leicht hell genug. Ob das Landleben
hente den Frieden, den wir in der Stadt vermissen, in Wirklichkeit noch hätte
""d gäbe, bleibt höchst ungewiß. Unsre Gedanken suchen etwas für das Ver¬
lorne oder vielleicht auch nur Vermißte, alles war ja überhaupt nicht Wirk¬
lichkeit, etwas that auch die vergötterte Erinnerung hinzu. Wer doch aus
solchem Gespinst festere Fäden gewinnen und mit ihnen das Verschwundne,
Vergangne oder auch nur Wünschbare und Ersehnte so an unser Leben knüpfen
könnte, daß es im glücklichsten Falle sogar zu erreichen schiene! Das thut
unser Verfasser. Er giebt uns von seinem Sonnenschein und seinem Frieden,
und wir gehen wieder an unser Tagewerk. Er ist ein Dichter, wie wir ihn
brauchen.' Seine Weltanschauung ist gesund und frisch; sie kann auch er¬
frischend und gesundmachend auf andre wirken.




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Plaudereien eines alten Deutschen
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s geschehen keine Wunder mehr, könnte heutzutage in ganz anderm
Sinne gesagt werden, als der Dichter es sagen läßt, z. B. auch
insofern, als die Gegenwart mit bewnudernsivürdigen Ergebnissen
der Forschungen dermaßen überschüttet wird, daß sie über nichts
mehr erstaunt. Namentlich Personen, die von den Mitteln und
Wegen der Untersuchungen, dem Scharfsinn und der Kühnheit, womit
?uf neue Thatsachen die wichtigsten Schlüsse gebaut werden, gar keine Vor¬
stellung haben, glauben das nil aclmii^ii zu ihrem Grundsatz machen zu müssen und
würden die Mitteilung, daß eine elektrische Bahn zum Monde möglich geworden ist.
vielleicht mit Achselzucken und einem "Endlich! Es war auch schon hohe Zeit!"
aufnehmen. So wehrte ein zum erstenmal nach Paris gekommner französischer
^auer alle Zumutungen seiner zur Pariserin gewordnen Tochter, Staunen zu
äußern, beharrlich ab, und entschloß sich endlich vor dem damals neuen Opernhause
"ur zu dem kühlen Lobe: ?as mal construit co bütimsut. Den großen wissen¬
schaftlichen und mechanischen Neuerungen, die um die Wende der beiden letzten


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machten uns ihre Aufwartung. Das zog spaßhaft, ernsthaft, endlos vorüber.
Jeder riß vor unsrer Höhle sein Mützchen vom Kopf usw." Der Kinder-
Phantasie, die das für möglich hält, ist also die Erzählung gefolgt und setzt
es in Wirklichkeit um. Auch allmählich absterbender Sitten wird gedacht,
aber nicht in langweilender Beschreibung, z. B. der Sippengenosfenschaft des
„Plovg." Sie „vertrat in der allgemeinen Schwermut den frischen Mut zum
Leben. Auch bei den thrünenreichsten Todesfällen war sie schon, wenn noch
der Trauerzug langsam dahinschaukelte. beschäftigt, die von der Unabwendbaren
zerschnittnen Fäden neu anzuknüpfen." Das führt uns unmittelbar auf das
Verfahren des Verfassers unsers Buches. In Wirklichkeit stimmt ja unser
Gemüt die uns umgebende Natur und nimmt von ihr und aus ihr den Ton,
der zu seiner Stimmung paßt. Dem schwersten Leid nützt kein Sonnenschein,
und dem Glücklichen ist der Himmel leicht hell genug. Ob das Landleben
hente den Frieden, den wir in der Stadt vermissen, in Wirklichkeit noch hätte
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lorne oder vielleicht auch nur Vermißte, alles war ja überhaupt nicht Wirk¬
lichkeit, etwas that auch die vergötterte Erinnerung hinzu. Wer doch aus
solchem Gespinst festere Fäden gewinnen und mit ihnen das Verschwundne,
Vergangne oder auch nur Wünschbare und Ersehnte so an unser Leben knüpfen
könnte, daß es im glücklichsten Falle sogar zu erreichen schiene! Das thut
unser Verfasser. Er giebt uns von seinem Sonnenschein und seinem Frieden,
und wir gehen wieder an unser Tagewerk. Er ist ein Dichter, wie wir ihn
brauchen.' Seine Weltanschauung ist gesund und frisch; sie kann auch er¬
frischend und gesundmachend auf andre wirken.




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Sinne gesagt werden, als der Dichter es sagen läßt, z. B. auch
insofern, als die Gegenwart mit bewnudernsivürdigen Ergebnissen
der Forschungen dermaßen überschüttet wird, daß sie über nichts
mehr erstaunt. Namentlich Personen, die von den Mitteln und
Wegen der Untersuchungen, dem Scharfsinn und der Kühnheit, womit
?uf neue Thatsachen die wichtigsten Schlüsse gebaut werden, gar keine Vor¬
stellung haben, glauben das nil aclmii^ii zu ihrem Grundsatz machen zu müssen und
würden die Mitteilung, daß eine elektrische Bahn zum Monde möglich geworden ist.
vielleicht mit Achselzucken und einem „Endlich! Es war auch schon hohe Zeit!"
aufnehmen. So wehrte ein zum erstenmal nach Paris gekommner französischer
^auer alle Zumutungen seiner zur Pariserin gewordnen Tochter, Staunen zu
äußern, beharrlich ab, und entschloß sich endlich vor dem damals neuen Opernhause
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schaftlichen und mechanischen Neuerungen, die um die Wende der beiden letzten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/276>, abgerufen am 01.05.2024.