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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dies war der' Schluß der offiziellen Feier. Was hernach noch geschehen ist,
wo überall der Stadtsekretär mit seinen Trommlern noch herumgezogen ist, was
für Reden noch gehalten sind, wieviel Bier getrunken ist, wann man nach Hause
gekommen ist, und was die betreffenden Ehefrauen dazu gesagt haben, darüber be¬
richten meine Quellen nichts. Nur das kann noch gesagt und darf auch nicht ver¬
schwiegen werden: Der Erfolg der patriotischen Feier war "ein großartiger." Die
Befriedigung am Tage nach Königs Geburtstag war allgemein -- das heißt ver¬
mischt mit einem gelinden Kopfschmerz. Der Herr Bürgermeister war mit der
Haltung der Bürgerschaft zufrieden. Er soll sich an diesem Tage über Orden und
Ehrenzeichen weniger absprechend geäußert haben. Herr Flöte nahm die Lobsprüche
seiner Freunde mit würdevoller Bescheidenheit entgegen und kam zu der Über¬
zeugung, daß er es doch Wohl besser gemacht habe, als er es selbst gedacht hatte.
Herr Eugen Hirsch war in gehobner Stimmung, weil er unter den Herren vom
Komitee auf dem Altan des Rathauses gestanden hatte, wo ihn alle seine Leute
und das ganze Volk gesehen hatten, und der Herr Amtsgerichtsrat, weil er prnsi-
dirt hatte. Den Herren Bürgern waren die Schleie und der Rotwein in aller¬
bester Erinnerung. Herr Stackelberg freute sich, daß er sich, ohne den Einspruch
seiner lieben Frau fürchten zu müssen, einmal gründlich satt getrunken hatte. Die
Wirte strichen schmunzelnd den Verdienst ein. Und der Herr Stadtsekretär war
innigst gerührt über sich selbst und darüber, daß er der Stadt mit seinen Jungens
so schön etwas vorgetrommelt hatte. Der Festbericht im Tageblatte wurde aller¬
seits mit großer Sammlung gelesen, und alles war mit dem Berichterstatter darin
einverstanden, daß sich der Patriotismus der Bürger ini glänzendsten Lichte gezeigt
habe, lind in der That, wenn der Wert einer Sache daran gemessen werden
kann, was ihre Durchführung für Schwierigkeiten gemacht hat, so war diese Königs-
Geburtstagsfeier eine Sache von hohem Werte. Unter Patriotismus versteht man
die Hingabe ans Allgemeine. Das Vaterland wird in Zeiten, die die Opferwillig¬
keit der Bürger fordern, auf den Bürgersinn unsrer Stadt Häuser bauen können.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

^ Die oldenburgischen Heuerleute. Als wir kürzlich einmal mit einem
Mennde über die Landarbeiterfrage sprachen und das westfälische Heuerverhältnis
"is das verwirklichte Ideal bezeichneten, bemerkte jener, dieses Verhältnis sei in
der Auflösung begriffen, und soweit sich die Heuerleute noch darein fügten, sei das
der katholische" Verdummung zu verdanken -- oder sei diese daran schuld; an den
Wortlaut der Äußerung erinnern wir uns nicht mehr. Davon, daß das Heuer-
Wesen in der Auflösung begriffen sei, hat man in den Verhandlungen des Vereins
tur Sozialpolitik, die freilich schon fünf Jahre zurückliegen (vergleiche den vierten
Band der Grenzboten von 1393, Seite 349), nichts gelesen, und anderweitige
Informationsquellen stehen uns augenblicklich nicht zur Verfügung. Was aber das
u"dre anlangt, so glauben wir zwar selbst, daß die moderne Aufklärung in Wechsel¬
wirkung mit wirtschaftlichen Umwälzungen auch dieses patriarchalische Verhältnis


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dies war der' Schluß der offiziellen Feier. Was hernach noch geschehen ist,
wo überall der Stadtsekretär mit seinen Trommlern noch herumgezogen ist, was
für Reden noch gehalten sind, wieviel Bier getrunken ist, wann man nach Hause
gekommen ist, und was die betreffenden Ehefrauen dazu gesagt haben, darüber be¬
richten meine Quellen nichts. Nur das kann noch gesagt und darf auch nicht ver¬
schwiegen werden: Der Erfolg der patriotischen Feier war „ein großartiger." Die
Befriedigung am Tage nach Königs Geburtstag war allgemein — das heißt ver¬
mischt mit einem gelinden Kopfschmerz. Der Herr Bürgermeister war mit der
Haltung der Bürgerschaft zufrieden. Er soll sich an diesem Tage über Orden und
Ehrenzeichen weniger absprechend geäußert haben. Herr Flöte nahm die Lobsprüche
seiner Freunde mit würdevoller Bescheidenheit entgegen und kam zu der Über¬
zeugung, daß er es doch Wohl besser gemacht habe, als er es selbst gedacht hatte.
Herr Eugen Hirsch war in gehobner Stimmung, weil er unter den Herren vom
Komitee auf dem Altan des Rathauses gestanden hatte, wo ihn alle seine Leute
und das ganze Volk gesehen hatten, und der Herr Amtsgerichtsrat, weil er prnsi-
dirt hatte. Den Herren Bürgern waren die Schleie und der Rotwein in aller¬
bester Erinnerung. Herr Stackelberg freute sich, daß er sich, ohne den Einspruch
seiner lieben Frau fürchten zu müssen, einmal gründlich satt getrunken hatte. Die
Wirte strichen schmunzelnd den Verdienst ein. Und der Herr Stadtsekretär war
innigst gerührt über sich selbst und darüber, daß er der Stadt mit seinen Jungens
so schön etwas vorgetrommelt hatte. Der Festbericht im Tageblatte wurde aller¬
seits mit großer Sammlung gelesen, und alles war mit dem Berichterstatter darin
einverstanden, daß sich der Patriotismus der Bürger ini glänzendsten Lichte gezeigt
habe, lind in der That, wenn der Wert einer Sache daran gemessen werden
kann, was ihre Durchführung für Schwierigkeiten gemacht hat, so war diese Königs-
Geburtstagsfeier eine Sache von hohem Werte. Unter Patriotismus versteht man
die Hingabe ans Allgemeine. Das Vaterland wird in Zeiten, die die Opferwillig¬
keit der Bürger fordern, auf den Bürgersinn unsrer Stadt Häuser bauen können.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

^ Die oldenburgischen Heuerleute. Als wir kürzlich einmal mit einem
Mennde über die Landarbeiterfrage sprachen und das westfälische Heuerverhältnis
"is das verwirklichte Ideal bezeichneten, bemerkte jener, dieses Verhältnis sei in
der Auflösung begriffen, und soweit sich die Heuerleute noch darein fügten, sei das
der katholische» Verdummung zu verdanken — oder sei diese daran schuld; an den
Wortlaut der Äußerung erinnern wir uns nicht mehr. Davon, daß das Heuer-
Wesen in der Auflösung begriffen sei, hat man in den Verhandlungen des Vereins
tur Sozialpolitik, die freilich schon fünf Jahre zurückliegen (vergleiche den vierten
Band der Grenzboten von 1393, Seite 349), nichts gelesen, und anderweitige
Informationsquellen stehen uns augenblicklich nicht zur Verfügung. Was aber das
u»dre anlangt, so glauben wir zwar selbst, daß die moderne Aufklärung in Wechsel¬
wirkung mit wirtschaftlichen Umwälzungen auch dieses patriarchalische Verhältnis


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[0390] Maßgebliches und Unmaßgebliches Dies war der' Schluß der offiziellen Feier. Was hernach noch geschehen ist, wo überall der Stadtsekretär mit seinen Trommlern noch herumgezogen ist, was für Reden noch gehalten sind, wieviel Bier getrunken ist, wann man nach Hause gekommen ist, und was die betreffenden Ehefrauen dazu gesagt haben, darüber be¬ richten meine Quellen nichts. Nur das kann noch gesagt und darf auch nicht ver¬ schwiegen werden: Der Erfolg der patriotischen Feier war „ein großartiger." Die Befriedigung am Tage nach Königs Geburtstag war allgemein — das heißt ver¬ mischt mit einem gelinden Kopfschmerz. Der Herr Bürgermeister war mit der Haltung der Bürgerschaft zufrieden. Er soll sich an diesem Tage über Orden und Ehrenzeichen weniger absprechend geäußert haben. Herr Flöte nahm die Lobsprüche seiner Freunde mit würdevoller Bescheidenheit entgegen und kam zu der Über¬ zeugung, daß er es doch Wohl besser gemacht habe, als er es selbst gedacht hatte. Herr Eugen Hirsch war in gehobner Stimmung, weil er unter den Herren vom Komitee auf dem Altan des Rathauses gestanden hatte, wo ihn alle seine Leute und das ganze Volk gesehen hatten, und der Herr Amtsgerichtsrat, weil er prnsi- dirt hatte. Den Herren Bürgern waren die Schleie und der Rotwein in aller¬ bester Erinnerung. Herr Stackelberg freute sich, daß er sich, ohne den Einspruch seiner lieben Frau fürchten zu müssen, einmal gründlich satt getrunken hatte. Die Wirte strichen schmunzelnd den Verdienst ein. Und der Herr Stadtsekretär war innigst gerührt über sich selbst und darüber, daß er der Stadt mit seinen Jungens so schön etwas vorgetrommelt hatte. Der Festbericht im Tageblatte wurde aller¬ seits mit großer Sammlung gelesen, und alles war mit dem Berichterstatter darin einverstanden, daß sich der Patriotismus der Bürger ini glänzendsten Lichte gezeigt habe, lind in der That, wenn der Wert einer Sache daran gemessen werden kann, was ihre Durchführung für Schwierigkeiten gemacht hat, so war diese Königs- Geburtstagsfeier eine Sache von hohem Werte. Unter Patriotismus versteht man die Hingabe ans Allgemeine. Das Vaterland wird in Zeiten, die die Opferwillig¬ keit der Bürger fordern, auf den Bürgersinn unsrer Stadt Häuser bauen können. Maßgebliches und Unmaßgebliches ^ Die oldenburgischen Heuerleute. Als wir kürzlich einmal mit einem Mennde über die Landarbeiterfrage sprachen und das westfälische Heuerverhältnis "is das verwirklichte Ideal bezeichneten, bemerkte jener, dieses Verhältnis sei in der Auflösung begriffen, und soweit sich die Heuerleute noch darein fügten, sei das der katholische» Verdummung zu verdanken — oder sei diese daran schuld; an den Wortlaut der Äußerung erinnern wir uns nicht mehr. Davon, daß das Heuer- Wesen in der Auflösung begriffen sei, hat man in den Verhandlungen des Vereins tur Sozialpolitik, die freilich schon fünf Jahre zurückliegen (vergleiche den vierten Band der Grenzboten von 1393, Seite 349), nichts gelesen, und anderweitige Informationsquellen stehen uns augenblicklich nicht zur Verfügung. Was aber das u»dre anlangt, so glauben wir zwar selbst, daß die moderne Aufklärung in Wechsel¬ wirkung mit wirtschaftlichen Umwälzungen auch dieses patriarchalische Verhältnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/390>, abgerufen am 01.05.2024.