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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der goldne Lngel

eingeführt worden war, ließ sich der schlaue Mann aus Altona die gezognen Num¬
mer" telegraphisch melden und besetzte diese in Kiel, bevor die Ziehung amtlich be¬
kannt gemacht worden war. Gegen dieses Kunststück war gesetzlich nichts einzu¬
wenden, aber von da ab wurde der Wiederholung vorgebeugt.

Gewiustspiele sind bekanntlich immer mit Aberglauben verbunden, und der
gedieh beim Lotto besonders kräftig. Es gab eine ganze Litteratur von "ägyp¬
tischen Traumbüchern," in denen genau angegeben war, welche Nummer irgend ein
Traumbild bedeute; das "ägyptisch" bezog sich uatiirlich auf deu ägyptischen Joseph,
den Traumdenter und Getreidespelulauteu. Ferner wurden wichtige Staatsereignisse,
Gedenktage, Geburtstage im Herrscherhause u. a. in. in vollem Vertrauen "besetzt,"
und man wollte wissen, daß der angeblich blinde Zufall solches Vertrauen nicht
selten rechtfertige. Einen wirklich widerlichen Anblick bot es, wenn kleine Kiuder
angehalten wurden, die Hand auf irgend eine Nummernkombination vor der Kollektur
zu legen und so die dumme Mutter zum Spiel zu verlocken. Der Spiellust so¬
genannter höherer Schichten wurde durch eine große Zahl von verlosbaren Anleheu
genügt. Der Kurszettel nannte damals eine lange Reihe vornehmer Familien,
deuen erlaubt worden war, solche Auleheu auf den Markt zu bringen. Der Erlös
aus den Lösen befreite solche Familien aus vorübergehenden Verlegenheiten; Zinsen
wurden nicht gezahlt, vielmehr zu bestimmten Terminen Gewinne gezogen; als
Sicherheit diente Grundbesitz der betreffenden Familien, und der Ankauf von der¬
gleichen Lösen schien daher eine ganz sichere Kapitalanlage zu sein, sodaß nament¬
lich in bürgerliche" Häusern oft das ganze Vermögen in Lose verwandelt worden
sein soll. Die Sache erlitt indessen in deu sechziger Jahren eiuen schweren Stoß,
als sich allbekannte Familien nußer stände erklären mußten, die gezognen Gewinne
auszuzahlen. So verschwanden denn nicht wenige Privatanlchcn von der Börse,
wurden aber ersetzt durch Aulehen für öffentliche, Kommnnal- und Jndustrieuuter-
uehmuugeu, sodaß die Spiellust noch immer Befriedigung findet. Ihr wird wohl
wirksam entgegengearbeitet durch Spnrbankeu, namentlich die sehr bequemen Post¬
sparkassen, allein manche Finanzkünstler halten, wie es scheint, den umsichgreifenden
Sparsinn für schädlich, da sie ihn durch eigne Besteuerung zu mäßigen suchen.




Der goldne Engel
Luise Glaß Lrzcihlung von
(Fortsetzung)

curved war Limen bang und elend zu Mute, als sie unchher allein
oben in der Küchenthür stand. Nun mußte sie zum Vater, er mußte
auch ein Paar Kerzen haben, und sie wußte noch nicht einmal, wo
sie ihn hingelegt hatten.

Vorsichtig trat sie ans den Gang, klinkte die Küchenthür leise
hinter sich ein und duckte sich die zwei Schritte weit bis zum Schlaf¬
zimmer, um vor Frau Flvrkes Späherblick sicher zu sein.


Der goldne Lngel

eingeführt worden war, ließ sich der schlaue Mann aus Altona die gezognen Num¬
mer» telegraphisch melden und besetzte diese in Kiel, bevor die Ziehung amtlich be¬
kannt gemacht worden war. Gegen dieses Kunststück war gesetzlich nichts einzu¬
wenden, aber von da ab wurde der Wiederholung vorgebeugt.

Gewiustspiele sind bekanntlich immer mit Aberglauben verbunden, und der
gedieh beim Lotto besonders kräftig. Es gab eine ganze Litteratur von „ägyp¬
tischen Traumbüchern," in denen genau angegeben war, welche Nummer irgend ein
Traumbild bedeute; das „ägyptisch" bezog sich uatiirlich auf deu ägyptischen Joseph,
den Traumdenter und Getreidespelulauteu. Ferner wurden wichtige Staatsereignisse,
Gedenktage, Geburtstage im Herrscherhause u. a. in. in vollem Vertrauen „besetzt,"
und man wollte wissen, daß der angeblich blinde Zufall solches Vertrauen nicht
selten rechtfertige. Einen wirklich widerlichen Anblick bot es, wenn kleine Kiuder
angehalten wurden, die Hand auf irgend eine Nummernkombination vor der Kollektur
zu legen und so die dumme Mutter zum Spiel zu verlocken. Der Spiellust so¬
genannter höherer Schichten wurde durch eine große Zahl von verlosbaren Anleheu
genügt. Der Kurszettel nannte damals eine lange Reihe vornehmer Familien,
deuen erlaubt worden war, solche Auleheu auf den Markt zu bringen. Der Erlös
aus den Lösen befreite solche Familien aus vorübergehenden Verlegenheiten; Zinsen
wurden nicht gezahlt, vielmehr zu bestimmten Terminen Gewinne gezogen; als
Sicherheit diente Grundbesitz der betreffenden Familien, und der Ankauf von der¬
gleichen Lösen schien daher eine ganz sichere Kapitalanlage zu sein, sodaß nament¬
lich in bürgerliche» Häusern oft das ganze Vermögen in Lose verwandelt worden
sein soll. Die Sache erlitt indessen in deu sechziger Jahren eiuen schweren Stoß,
als sich allbekannte Familien nußer stände erklären mußten, die gezognen Gewinne
auszuzahlen. So verschwanden denn nicht wenige Privatanlchcn von der Börse,
wurden aber ersetzt durch Aulehen für öffentliche, Kommnnal- und Jndustrieuuter-
uehmuugeu, sodaß die Spiellust noch immer Befriedigung findet. Ihr wird wohl
wirksam entgegengearbeitet durch Spnrbankeu, namentlich die sehr bequemen Post¬
sparkassen, allein manche Finanzkünstler halten, wie es scheint, den umsichgreifenden
Sparsinn für schädlich, da sie ihn durch eigne Besteuerung zu mäßigen suchen.




Der goldne Engel
Luise Glaß Lrzcihlung von
(Fortsetzung)

curved war Limen bang und elend zu Mute, als sie unchher allein
oben in der Küchenthür stand. Nun mußte sie zum Vater, er mußte
auch ein Paar Kerzen haben, und sie wußte noch nicht einmal, wo
sie ihn hingelegt hatten.

Vorsichtig trat sie ans den Gang, klinkte die Küchenthür leise
hinter sich ein und duckte sich die zwei Schritte weit bis zum Schlaf¬
zimmer, um vor Frau Flvrkes Späherblick sicher zu sein.


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[0446] Der goldne Lngel eingeführt worden war, ließ sich der schlaue Mann aus Altona die gezognen Num¬ mer» telegraphisch melden und besetzte diese in Kiel, bevor die Ziehung amtlich be¬ kannt gemacht worden war. Gegen dieses Kunststück war gesetzlich nichts einzu¬ wenden, aber von da ab wurde der Wiederholung vorgebeugt. Gewiustspiele sind bekanntlich immer mit Aberglauben verbunden, und der gedieh beim Lotto besonders kräftig. Es gab eine ganze Litteratur von „ägyp¬ tischen Traumbüchern," in denen genau angegeben war, welche Nummer irgend ein Traumbild bedeute; das „ägyptisch" bezog sich uatiirlich auf deu ägyptischen Joseph, den Traumdenter und Getreidespelulauteu. Ferner wurden wichtige Staatsereignisse, Gedenktage, Geburtstage im Herrscherhause u. a. in. in vollem Vertrauen „besetzt," und man wollte wissen, daß der angeblich blinde Zufall solches Vertrauen nicht selten rechtfertige. Einen wirklich widerlichen Anblick bot es, wenn kleine Kiuder angehalten wurden, die Hand auf irgend eine Nummernkombination vor der Kollektur zu legen und so die dumme Mutter zum Spiel zu verlocken. Der Spiellust so¬ genannter höherer Schichten wurde durch eine große Zahl von verlosbaren Anleheu genügt. Der Kurszettel nannte damals eine lange Reihe vornehmer Familien, deuen erlaubt worden war, solche Auleheu auf den Markt zu bringen. Der Erlös aus den Lösen befreite solche Familien aus vorübergehenden Verlegenheiten; Zinsen wurden nicht gezahlt, vielmehr zu bestimmten Terminen Gewinne gezogen; als Sicherheit diente Grundbesitz der betreffenden Familien, und der Ankauf von der¬ gleichen Lösen schien daher eine ganz sichere Kapitalanlage zu sein, sodaß nament¬ lich in bürgerliche» Häusern oft das ganze Vermögen in Lose verwandelt worden sein soll. Die Sache erlitt indessen in deu sechziger Jahren eiuen schweren Stoß, als sich allbekannte Familien nußer stände erklären mußten, die gezognen Gewinne auszuzahlen. So verschwanden denn nicht wenige Privatanlchcn von der Börse, wurden aber ersetzt durch Aulehen für öffentliche, Kommnnal- und Jndustrieuuter- uehmuugeu, sodaß die Spiellust noch immer Befriedigung findet. Ihr wird wohl wirksam entgegengearbeitet durch Spnrbankeu, namentlich die sehr bequemen Post¬ sparkassen, allein manche Finanzkünstler halten, wie es scheint, den umsichgreifenden Sparsinn für schädlich, da sie ihn durch eigne Besteuerung zu mäßigen suchen. Der goldne Engel Luise Glaß Lrzcihlung von (Fortsetzung) curved war Limen bang und elend zu Mute, als sie unchher allein oben in der Küchenthür stand. Nun mußte sie zum Vater, er mußte auch ein Paar Kerzen haben, und sie wußte noch nicht einmal, wo sie ihn hingelegt hatten. Vorsichtig trat sie ans den Gang, klinkte die Küchenthür leise hinter sich ein und duckte sich die zwei Schritte weit bis zum Schlaf¬ zimmer, um vor Frau Flvrkes Späherblick sicher zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/446>, abgerufen am 06.05.2024.