Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Nochmals die Fürsorge für die entlassenen Straf¬
gefangnen
Wilhelm Speck von(Schluß)

ehr richtig deutet der Verfasser des gegnerischen Aufsatzes an, daß
uns auch unsre Ehrlichkeit zuweilen hinderlich ist. Wer wirklich
ehrliche Arbeit sucht, sagt er, wird doch uicht so dumm sein, sich
an einen Verein zu wenden, dessen Vermittlung seine Vergangenheit
an die große Glocke hängt, wahrend er sie andrerseits weder seinem
Arbeitgeber noch seinen Kollegen auf die Nase zu binden braucht.
Nun muß ich zunächst sagen, auch in dieser Beziehung sterben die Dummen nicht
aus. Die Leute wissen jedoch, daß bei der Vermittlung durch die Vereine ihre
Bestrafung noch nicht in alle Welt hinausgcläutet zu werdeu braucht, daß die
Vereinsorgane aber am allerwenigsten den Arbeitskollege" der Entlassener darüber
Vortrag halten. Dem Arbeitgeber selber schenken nur allerdings reinen Wein ein
und zwar seinetwegen, aber auch im eigensten Interesse des Entlassener, und ich
kann Wohl sagen, nicht wenige Entlassene wollen es anch gar nicht anders, weil sie
wissen, daß Unwahrheit und Täuschung ihnen uicht helfen kann, vielmehr die Strafe
hinterher kommt, sobald einmal durch einen Zufall der Schleier gelüftet wird.
Darüber habe ich auch meine Erfahrungen gesammelt, statt der gewöhnlichen Fälle
will ich aber lieber einen erzählen, der freilich besonders liegt und anders, als die
übrigen beurteilt werdeu will. Ein achtzehnjähriger Mensch hatte sich eines Eigen¬
tumsvergehens schuldig gemacht und war mit einigen Monaten Gefängnis bestraft
worden. Bei seinem Abgang hatte er dein Austnltsgeistlichen in die Hand ver¬
sprochen, ein ehrlicher Mensch zu werdeu, und er hat dieses Versprechen gehalten.
Nach Ableistung seiner Militärpflicht, und nachdem er die erforderlichen Prüfungen
abgelegt hatte, wurde er Weichensteller zweiter Klasse, erster Klasse und schließlich
Verwalter einer Haltestelle, nebenbei auch Vater einer zahlreichen Familie. Über seine
Bestrafung hatte er nichts verlauten lassen; er hätte sie nicht verleugnet, da man
ihn aber nicht darum befragte, hatte er auch nicht geglaubt, Veranlassung zu habe",
sie aus freien Stücken bekannt zu machen. Da, nach zwölf Jahren, fand sich ein
Bube, der den Denunzianten spielte, und nun kam die Strafe nach. Obwohl seine
Vorgesetzten tiefes Mitleid mit ihm fühlten, konnten sie ihm doch nicht helfen: ans
dein Staatsdienst mußte er heraus. Man könnte freilich sagen, wenn der Manu
gleich im Anfang ehrlich gewesen wäre, dann wäre er gar nicht angestellt worden,
jetzt hatte er doch wenigstens zwölf Jahre zu leben gehabt. Ohne Zweifel, aber bei
seineu tüchtigen Eigenschaften würde er sich inzwischen eine andre Stellung er¬
rungen habe", die ihn nährte. So aber erlebte er einen großen Schmerz und




Nochmals die Fürsorge für die entlassenen Straf¬
gefangnen
Wilhelm Speck von(Schluß)

ehr richtig deutet der Verfasser des gegnerischen Aufsatzes an, daß
uns auch unsre Ehrlichkeit zuweilen hinderlich ist. Wer wirklich
ehrliche Arbeit sucht, sagt er, wird doch uicht so dumm sein, sich
an einen Verein zu wenden, dessen Vermittlung seine Vergangenheit
an die große Glocke hängt, wahrend er sie andrerseits weder seinem
Arbeitgeber noch seinen Kollegen auf die Nase zu binden braucht.
Nun muß ich zunächst sagen, auch in dieser Beziehung sterben die Dummen nicht
aus. Die Leute wissen jedoch, daß bei der Vermittlung durch die Vereine ihre
Bestrafung noch nicht in alle Welt hinausgcläutet zu werdeu braucht, daß die
Vereinsorgane aber am allerwenigsten den Arbeitskollege» der Entlassener darüber
Vortrag halten. Dem Arbeitgeber selber schenken nur allerdings reinen Wein ein
und zwar seinetwegen, aber auch im eigensten Interesse des Entlassener, und ich
kann Wohl sagen, nicht wenige Entlassene wollen es anch gar nicht anders, weil sie
wissen, daß Unwahrheit und Täuschung ihnen uicht helfen kann, vielmehr die Strafe
hinterher kommt, sobald einmal durch einen Zufall der Schleier gelüftet wird.
Darüber habe ich auch meine Erfahrungen gesammelt, statt der gewöhnlichen Fälle
will ich aber lieber einen erzählen, der freilich besonders liegt und anders, als die
übrigen beurteilt werdeu will. Ein achtzehnjähriger Mensch hatte sich eines Eigen¬
tumsvergehens schuldig gemacht und war mit einigen Monaten Gefängnis bestraft
worden. Bei seinem Abgang hatte er dein Austnltsgeistlichen in die Hand ver¬
sprochen, ein ehrlicher Mensch zu werdeu, und er hat dieses Versprechen gehalten.
Nach Ableistung seiner Militärpflicht, und nachdem er die erforderlichen Prüfungen
abgelegt hatte, wurde er Weichensteller zweiter Klasse, erster Klasse und schließlich
Verwalter einer Haltestelle, nebenbei auch Vater einer zahlreichen Familie. Über seine
Bestrafung hatte er nichts verlauten lassen; er hätte sie nicht verleugnet, da man
ihn aber nicht darum befragte, hatte er auch nicht geglaubt, Veranlassung zu habe»,
sie aus freien Stücken bekannt zu machen. Da, nach zwölf Jahren, fand sich ein
Bube, der den Denunzianten spielte, und nun kam die Strafe nach. Obwohl seine
Vorgesetzten tiefes Mitleid mit ihm fühlten, konnten sie ihm doch nicht helfen: ans
dein Staatsdienst mußte er heraus. Man könnte freilich sagen, wenn der Manu
gleich im Anfang ehrlich gewesen wäre, dann wäre er gar nicht angestellt worden,
jetzt hatte er doch wenigstens zwölf Jahre zu leben gehabt. Ohne Zweifel, aber bei
seineu tüchtigen Eigenschaften würde er sich inzwischen eine andre Stellung er¬
rungen habe», die ihn nährte. So aber erlebte er einen großen Schmerz und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230288"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_229685/figures/grenzboten_341869_229685_230288_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Nochmals die Fürsorge für die entlassenen Straf¬<lb/>
gefangnen<lb/><note type="byline"> Wilhelm Speck</note> von(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2448" next="#ID_2449"> ehr richtig deutet der Verfasser des gegnerischen Aufsatzes an, daß<lb/>
uns auch unsre Ehrlichkeit zuweilen hinderlich ist. Wer wirklich<lb/>
ehrliche Arbeit sucht, sagt er, wird doch uicht so dumm sein, sich<lb/>
an einen Verein zu wenden, dessen Vermittlung seine Vergangenheit<lb/>
an die große Glocke hängt, wahrend er sie andrerseits weder seinem<lb/>
Arbeitgeber noch seinen Kollegen auf die Nase zu binden braucht.<lb/>
Nun muß ich zunächst sagen, auch in dieser Beziehung sterben die Dummen nicht<lb/>
aus. Die Leute wissen jedoch, daß bei der Vermittlung durch die Vereine ihre<lb/>
Bestrafung noch nicht in alle Welt hinausgcläutet zu werdeu braucht, daß die<lb/>
Vereinsorgane aber am allerwenigsten den Arbeitskollege» der Entlassener darüber<lb/>
Vortrag halten. Dem Arbeitgeber selber schenken nur allerdings reinen Wein ein<lb/>
und zwar seinetwegen, aber auch im eigensten Interesse des Entlassener, und ich<lb/>
kann Wohl sagen, nicht wenige Entlassene wollen es anch gar nicht anders, weil sie<lb/>
wissen, daß Unwahrheit und Täuschung ihnen uicht helfen kann, vielmehr die Strafe<lb/>
hinterher kommt, sobald einmal durch einen Zufall der Schleier gelüftet wird.<lb/>
Darüber habe ich auch meine Erfahrungen gesammelt, statt der gewöhnlichen Fälle<lb/>
will ich aber lieber einen erzählen, der freilich besonders liegt und anders, als die<lb/>
übrigen beurteilt werdeu will. Ein achtzehnjähriger Mensch hatte sich eines Eigen¬<lb/>
tumsvergehens schuldig gemacht und war mit einigen Monaten Gefängnis bestraft<lb/>
worden. Bei seinem Abgang hatte er dein Austnltsgeistlichen in die Hand ver¬<lb/>
sprochen, ein ehrlicher Mensch zu werdeu, und er hat dieses Versprechen gehalten.<lb/>
Nach Ableistung seiner Militärpflicht, und nachdem er die erforderlichen Prüfungen<lb/>
abgelegt hatte, wurde er Weichensteller zweiter Klasse, erster Klasse und schließlich<lb/>
Verwalter einer Haltestelle, nebenbei auch Vater einer zahlreichen Familie. Über seine<lb/>
Bestrafung hatte er nichts verlauten lassen; er hätte sie nicht verleugnet, da man<lb/>
ihn aber nicht darum befragte, hatte er auch nicht geglaubt, Veranlassung zu habe»,<lb/>
sie aus freien Stücken bekannt zu machen. Da, nach zwölf Jahren, fand sich ein<lb/>
Bube, der den Denunzianten spielte, und nun kam die Strafe nach. Obwohl seine<lb/>
Vorgesetzten tiefes Mitleid mit ihm fühlten, konnten sie ihm doch nicht helfen: ans<lb/>
dein Staatsdienst mußte er heraus. Man könnte freilich sagen, wenn der Manu<lb/>
gleich im Anfang ehrlich gewesen wäre, dann wäre er gar nicht angestellt worden,<lb/>
jetzt hatte er doch wenigstens zwölf Jahre zu leben gehabt. Ohne Zweifel, aber bei<lb/>
seineu tüchtigen Eigenschaften würde er sich inzwischen eine andre Stellung er¬<lb/>
rungen habe», die ihn nährte.  So aber erlebte er einen großen Schmerz und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0602] [Abbildung] Nochmals die Fürsorge für die entlassenen Straf¬ gefangnen Wilhelm Speck von(Schluß) ehr richtig deutet der Verfasser des gegnerischen Aufsatzes an, daß uns auch unsre Ehrlichkeit zuweilen hinderlich ist. Wer wirklich ehrliche Arbeit sucht, sagt er, wird doch uicht so dumm sein, sich an einen Verein zu wenden, dessen Vermittlung seine Vergangenheit an die große Glocke hängt, wahrend er sie andrerseits weder seinem Arbeitgeber noch seinen Kollegen auf die Nase zu binden braucht. Nun muß ich zunächst sagen, auch in dieser Beziehung sterben die Dummen nicht aus. Die Leute wissen jedoch, daß bei der Vermittlung durch die Vereine ihre Bestrafung noch nicht in alle Welt hinausgcläutet zu werdeu braucht, daß die Vereinsorgane aber am allerwenigsten den Arbeitskollege» der Entlassener darüber Vortrag halten. Dem Arbeitgeber selber schenken nur allerdings reinen Wein ein und zwar seinetwegen, aber auch im eigensten Interesse des Entlassener, und ich kann Wohl sagen, nicht wenige Entlassene wollen es anch gar nicht anders, weil sie wissen, daß Unwahrheit und Täuschung ihnen uicht helfen kann, vielmehr die Strafe hinterher kommt, sobald einmal durch einen Zufall der Schleier gelüftet wird. Darüber habe ich auch meine Erfahrungen gesammelt, statt der gewöhnlichen Fälle will ich aber lieber einen erzählen, der freilich besonders liegt und anders, als die übrigen beurteilt werdeu will. Ein achtzehnjähriger Mensch hatte sich eines Eigen¬ tumsvergehens schuldig gemacht und war mit einigen Monaten Gefängnis bestraft worden. Bei seinem Abgang hatte er dein Austnltsgeistlichen in die Hand ver¬ sprochen, ein ehrlicher Mensch zu werdeu, und er hat dieses Versprechen gehalten. Nach Ableistung seiner Militärpflicht, und nachdem er die erforderlichen Prüfungen abgelegt hatte, wurde er Weichensteller zweiter Klasse, erster Klasse und schließlich Verwalter einer Haltestelle, nebenbei auch Vater einer zahlreichen Familie. Über seine Bestrafung hatte er nichts verlauten lassen; er hätte sie nicht verleugnet, da man ihn aber nicht darum befragte, hatte er auch nicht geglaubt, Veranlassung zu habe», sie aus freien Stücken bekannt zu machen. Da, nach zwölf Jahren, fand sich ein Bube, der den Denunzianten spielte, und nun kam die Strafe nach. Obwohl seine Vorgesetzten tiefes Mitleid mit ihm fühlten, konnten sie ihm doch nicht helfen: ans dein Staatsdienst mußte er heraus. Man könnte freilich sagen, wenn der Manu gleich im Anfang ehrlich gewesen wäre, dann wäre er gar nicht angestellt worden, jetzt hatte er doch wenigstens zwölf Jahre zu leben gehabt. Ohne Zweifel, aber bei seineu tüchtigen Eigenschaften würde er sich inzwischen eine andre Stellung er¬ rungen habe», die ihn nährte. So aber erlebte er einen großen Schmerz und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/602
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/602>, abgerufen am 06.05.2024.