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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gobineaus Geschichtskonstruktion

zwingt sie die Geister, immer neues zu ersinnen, neues zu lernen und sich auf neues
einzurichten, wälzt unaufhörlich die Arbeitsweisen, den Verkehr, die Volkswirt¬
schaft, die Sitten um, ändert die äußern Lebensformen und erhält dadurch das
ganze Leben in einer vor Erstarrung schützenden Bewegung. Zweitens erzeugt
sie große Vermögensunterschiede, ballt die Masse der Armen zu einer fest organi¬
sierten Klasse zusammen, die den Reichen in Todfeindschaft gegenübersteht, und
entflammt so einen innern Krieg, der für die ehedem unaufhörlichen leben¬
weckenden Kriege zwischen Völkern Ersatz bietet. Drittens zwingt sie zu aus¬
wärtigen Unternehmungen, die mit der Zeit den Druck im Innern vermindern
werden; endlich erschüttern alle diese äußerlichen Veränderungen zusammen¬
genommen auch das Gebäude der Glaubensmeinungen, das sich die Seelen
geschaffen haben, um darin zu ruhen. So also wirkt die Technik selbst dem
Chinesentum entgegen, mit dem sie uns bedroht, und vor dem uns keine noch
so weiße Haut schützen könnte.

Gobineau hat sich durch die kräftige Mahnung an die Wichtigkeit des
Blutes und durch die Beleuchtung von Füllen, wo die Wirkungen des Blutes
hervortreten, zweifellos ein bedeutendes Verdienst erworben, das aber überall
dort in Mißverdienst umschlägt, wo seine einseitige Theorie unkritisch in Bausch
und Bogen angenommen wird. Zum Schluß fassen wir unsre eigne Ansicht,
die wir bei andrer Gelegenheit ausführlich dargestellt haben, noch einmal kurz
zusammen. Die weiße Rasse ist die einzige von allseitiger und von der höchsten
Begabung und allein fähig, Kultur im höchsten Sinne des Worts zu er¬
zeugen. Die Rassencharaktere sind sehr beharrlich, aber keineswegs unver¬
änderlich, und Veränderungen werden nicht allein durch Blutmischungen,
sondern auch durch klimatische und geographische Verhältnisse, durch Beschäfti¬
gung und Lebensgewohnheite", durch soziale und politische Zustände hervor¬
gebracht. Und zwar gilt das sowohl für die drei Urrcisfen wie für die Rassen
zweiter und dritter Ordnung, d. h. für die teils durch Mischung, teils durch
klimatische und andre Einflüsse entstandnen Verzweigungen der Urrassen.
Können ja doch auch diese selbst auf keine andre Weise als durch klimatische
Einwirkungen entstanden gedacht werden. Ohne Zweifel ist die Nassenver-
schiedenheit eine der Ursachen historischer Veränderungen, und zwar eine der
wichtigsten, aber die einzige ist sie nicht, und Gobineau irrt, wenn er glaubt,
er erst habe den Grund gelegt zur wahren Weltgeschichte.




GrcnBoten I 189975.
Gobineaus Geschichtskonstruktion

zwingt sie die Geister, immer neues zu ersinnen, neues zu lernen und sich auf neues
einzurichten, wälzt unaufhörlich die Arbeitsweisen, den Verkehr, die Volkswirt¬
schaft, die Sitten um, ändert die äußern Lebensformen und erhält dadurch das
ganze Leben in einer vor Erstarrung schützenden Bewegung. Zweitens erzeugt
sie große Vermögensunterschiede, ballt die Masse der Armen zu einer fest organi¬
sierten Klasse zusammen, die den Reichen in Todfeindschaft gegenübersteht, und
entflammt so einen innern Krieg, der für die ehedem unaufhörlichen leben¬
weckenden Kriege zwischen Völkern Ersatz bietet. Drittens zwingt sie zu aus¬
wärtigen Unternehmungen, die mit der Zeit den Druck im Innern vermindern
werden; endlich erschüttern alle diese äußerlichen Veränderungen zusammen¬
genommen auch das Gebäude der Glaubensmeinungen, das sich die Seelen
geschaffen haben, um darin zu ruhen. So also wirkt die Technik selbst dem
Chinesentum entgegen, mit dem sie uns bedroht, und vor dem uns keine noch
so weiße Haut schützen könnte.

Gobineau hat sich durch die kräftige Mahnung an die Wichtigkeit des
Blutes und durch die Beleuchtung von Füllen, wo die Wirkungen des Blutes
hervortreten, zweifellos ein bedeutendes Verdienst erworben, das aber überall
dort in Mißverdienst umschlägt, wo seine einseitige Theorie unkritisch in Bausch
und Bogen angenommen wird. Zum Schluß fassen wir unsre eigne Ansicht,
die wir bei andrer Gelegenheit ausführlich dargestellt haben, noch einmal kurz
zusammen. Die weiße Rasse ist die einzige von allseitiger und von der höchsten
Begabung und allein fähig, Kultur im höchsten Sinne des Worts zu er¬
zeugen. Die Rassencharaktere sind sehr beharrlich, aber keineswegs unver¬
änderlich, und Veränderungen werden nicht allein durch Blutmischungen,
sondern auch durch klimatische und geographische Verhältnisse, durch Beschäfti¬
gung und Lebensgewohnheite», durch soziale und politische Zustände hervor¬
gebracht. Und zwar gilt das sowohl für die drei Urrcisfen wie für die Rassen
zweiter und dritter Ordnung, d. h. für die teils durch Mischung, teils durch
klimatische und andre Einflüsse entstandnen Verzweigungen der Urrassen.
Können ja doch auch diese selbst auf keine andre Weise als durch klimatische
Einwirkungen entstanden gedacht werden. Ohne Zweifel ist die Nassenver-
schiedenheit eine der Ursachen historischer Veränderungen, und zwar eine der
wichtigsten, aber die einzige ist sie nicht, und Gobineau irrt, wenn er glaubt,
er erst habe den Grund gelegt zur wahren Weltgeschichte.




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[0601] Gobineaus Geschichtskonstruktion zwingt sie die Geister, immer neues zu ersinnen, neues zu lernen und sich auf neues einzurichten, wälzt unaufhörlich die Arbeitsweisen, den Verkehr, die Volkswirt¬ schaft, die Sitten um, ändert die äußern Lebensformen und erhält dadurch das ganze Leben in einer vor Erstarrung schützenden Bewegung. Zweitens erzeugt sie große Vermögensunterschiede, ballt die Masse der Armen zu einer fest organi¬ sierten Klasse zusammen, die den Reichen in Todfeindschaft gegenübersteht, und entflammt so einen innern Krieg, der für die ehedem unaufhörlichen leben¬ weckenden Kriege zwischen Völkern Ersatz bietet. Drittens zwingt sie zu aus¬ wärtigen Unternehmungen, die mit der Zeit den Druck im Innern vermindern werden; endlich erschüttern alle diese äußerlichen Veränderungen zusammen¬ genommen auch das Gebäude der Glaubensmeinungen, das sich die Seelen geschaffen haben, um darin zu ruhen. So also wirkt die Technik selbst dem Chinesentum entgegen, mit dem sie uns bedroht, und vor dem uns keine noch so weiße Haut schützen könnte. Gobineau hat sich durch die kräftige Mahnung an die Wichtigkeit des Blutes und durch die Beleuchtung von Füllen, wo die Wirkungen des Blutes hervortreten, zweifellos ein bedeutendes Verdienst erworben, das aber überall dort in Mißverdienst umschlägt, wo seine einseitige Theorie unkritisch in Bausch und Bogen angenommen wird. Zum Schluß fassen wir unsre eigne Ansicht, die wir bei andrer Gelegenheit ausführlich dargestellt haben, noch einmal kurz zusammen. Die weiße Rasse ist die einzige von allseitiger und von der höchsten Begabung und allein fähig, Kultur im höchsten Sinne des Worts zu er¬ zeugen. Die Rassencharaktere sind sehr beharrlich, aber keineswegs unver¬ änderlich, und Veränderungen werden nicht allein durch Blutmischungen, sondern auch durch klimatische und geographische Verhältnisse, durch Beschäfti¬ gung und Lebensgewohnheite», durch soziale und politische Zustände hervor¬ gebracht. Und zwar gilt das sowohl für die drei Urrcisfen wie für die Rassen zweiter und dritter Ordnung, d. h. für die teils durch Mischung, teils durch klimatische und andre Einflüsse entstandnen Verzweigungen der Urrassen. Können ja doch auch diese selbst auf keine andre Weise als durch klimatische Einwirkungen entstanden gedacht werden. Ohne Zweifel ist die Nassenver- schiedenheit eine der Ursachen historischer Veränderungen, und zwar eine der wichtigsten, aber die einzige ist sie nicht, und Gobineau irrt, wenn er glaubt, er erst habe den Grund gelegt zur wahren Weltgeschichte. GrcnBoten I 189975.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/601>, abgerufen am 27.05.2024.