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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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(Lin französisch-deutscher Rationalist

ind wir aus dem Rationalismus des vorigen Jahrhunderts
heraus? So ganz wohl noch nicht. Die "Aufgeklärten" stecken
noch teils mit einem Fuße, teils mit beiden darin, die Denkenden
mühen sich mit mancher der Fragen, die der Rationalismus
gelöst zu haben glaubte, heute noch vergebens ab, und jedenfalls
geht uns die Aufräumearbeit, die das vorige Jahrhundert vollbracht hat, schon
deswegen sehr nahe an, weil ohne sie unsre tiefere Philosophie nicht hätte
Wurzel fassen können. Auch muß man doch von Zeit zu Zeit die Bilanz der
"Denkerei" ziehn und nachsehen, was man aus einem verflossenen Wirtschafts¬
abschnitt als sichern Reingewinn herübernehmen kann. Es war daher ein ganz
guter Gedanke von Johann Umminger, dem heutigen Publikum einen Kory¬
phäen der Aufklärungszeit vorzuführen, und zwar gerade Holbach, der mit
dem französischen Radikalismus und Atheismus deutschen Ernst und deutsche
Ehrlichkeit vereinigt. Auch die Wahl des Werkes muß als glücklich bezeichnet
werden, denn sein Inhalt steht dem, was uns heute bewegt, näher als das
System der Natur. "1 Nur leider war der Übersetzer seiner Aufgabe nicht ge¬
Wachse". Wir würden die Übersetzung quartanerhaft nennen, wenn sie nicht
den Eindruck machte, als ob der Übersetzer ein Ausländer wäre, der eben erst
im Begriff steht, das Deutsche zu erlernen. Man lese die folgenden Proben
und urteile, ob es nicht ein Skandal ist, dem deutschen Publikum ein solches
Buch anzubieten, noch dazu dem gebildeten Publikum, ans das es doch be-



") Holbachs Soziales System oder Natürliche Prinzipien der Moral und der Politik
mit einer Untersuchung über den Einfluß der Regierung auf die Sitten. Nach dem Original
übersetzt von Johann Umminger. Leipzig, Kommissionsverlag von Theodor Thomas, 18V8.
3 Bündchen.
Grenzboten I 1800 86


(Lin französisch-deutscher Rationalist

ind wir aus dem Rationalismus des vorigen Jahrhunderts
heraus? So ganz wohl noch nicht. Die „Aufgeklärten" stecken
noch teils mit einem Fuße, teils mit beiden darin, die Denkenden
mühen sich mit mancher der Fragen, die der Rationalismus
gelöst zu haben glaubte, heute noch vergebens ab, und jedenfalls
geht uns die Aufräumearbeit, die das vorige Jahrhundert vollbracht hat, schon
deswegen sehr nahe an, weil ohne sie unsre tiefere Philosophie nicht hätte
Wurzel fassen können. Auch muß man doch von Zeit zu Zeit die Bilanz der
„Denkerei" ziehn und nachsehen, was man aus einem verflossenen Wirtschafts¬
abschnitt als sichern Reingewinn herübernehmen kann. Es war daher ein ganz
guter Gedanke von Johann Umminger, dem heutigen Publikum einen Kory¬
phäen der Aufklärungszeit vorzuführen, und zwar gerade Holbach, der mit
dem französischen Radikalismus und Atheismus deutschen Ernst und deutsche
Ehrlichkeit vereinigt. Auch die Wahl des Werkes muß als glücklich bezeichnet
werden, denn sein Inhalt steht dem, was uns heute bewegt, näher als das
System der Natur. "1 Nur leider war der Übersetzer seiner Aufgabe nicht ge¬
Wachse». Wir würden die Übersetzung quartanerhaft nennen, wenn sie nicht
den Eindruck machte, als ob der Übersetzer ein Ausländer wäre, der eben erst
im Begriff steht, das Deutsche zu erlernen. Man lese die folgenden Proben
und urteile, ob es nicht ein Skandal ist, dem deutschen Publikum ein solches
Buch anzubieten, noch dazu dem gebildeten Publikum, ans das es doch be-



") Holbachs Soziales System oder Natürliche Prinzipien der Moral und der Politik
mit einer Untersuchung über den Einfluß der Regierung auf die Sitten. Nach dem Original
übersetzt von Johann Umminger. Leipzig, Kommissionsverlag von Theodor Thomas, 18V8.
3 Bündchen.
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[0689] [Abbildung] (Lin französisch-deutscher Rationalist ind wir aus dem Rationalismus des vorigen Jahrhunderts heraus? So ganz wohl noch nicht. Die „Aufgeklärten" stecken noch teils mit einem Fuße, teils mit beiden darin, die Denkenden mühen sich mit mancher der Fragen, die der Rationalismus gelöst zu haben glaubte, heute noch vergebens ab, und jedenfalls geht uns die Aufräumearbeit, die das vorige Jahrhundert vollbracht hat, schon deswegen sehr nahe an, weil ohne sie unsre tiefere Philosophie nicht hätte Wurzel fassen können. Auch muß man doch von Zeit zu Zeit die Bilanz der „Denkerei" ziehn und nachsehen, was man aus einem verflossenen Wirtschafts¬ abschnitt als sichern Reingewinn herübernehmen kann. Es war daher ein ganz guter Gedanke von Johann Umminger, dem heutigen Publikum einen Kory¬ phäen der Aufklärungszeit vorzuführen, und zwar gerade Holbach, der mit dem französischen Radikalismus und Atheismus deutschen Ernst und deutsche Ehrlichkeit vereinigt. Auch die Wahl des Werkes muß als glücklich bezeichnet werden, denn sein Inhalt steht dem, was uns heute bewegt, näher als das System der Natur. "1 Nur leider war der Übersetzer seiner Aufgabe nicht ge¬ Wachse». Wir würden die Übersetzung quartanerhaft nennen, wenn sie nicht den Eindruck machte, als ob der Übersetzer ein Ausländer wäre, der eben erst im Begriff steht, das Deutsche zu erlernen. Man lese die folgenden Proben und urteile, ob es nicht ein Skandal ist, dem deutschen Publikum ein solches Buch anzubieten, noch dazu dem gebildeten Publikum, ans das es doch be- ") Holbachs Soziales System oder Natürliche Prinzipien der Moral und der Politik mit einer Untersuchung über den Einfluß der Regierung auf die Sitten. Nach dem Original übersetzt von Johann Umminger. Leipzig, Kommissionsverlag von Theodor Thomas, 18V8. 3 Bündchen. Grenzboten I 1800 86

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/689>, abgerufen am 07.05.2024.