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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

darum wohl möglich, daß wir die Polen wieder zurückschlagen. Wir müssen
das Flachland behalten; denn nur auf dem Lande wird das Volk immer von
neuem ergänzt, in den Arbeiterkasernen der Großstädte wird es konsumiert.

Thäte man ein übriges, und gäbe man einer Behörde das Recht, dort,
wo Nachfrage nach Kleinbesitz ist, dem Gutsherrn auf dem Wege der Expro¬
priation, also gegen volle Entschädigung zehn bis zwanzig Morgen für das
Arbeitergut zu nehmen, unter der Bedingung, daß ein neues Arbeiterhaus für
besitzlose Arbeiter aufgeführt würde, so läge es in der Hand des Staates, nach
und nach den Osten mit Kleinbesitz zu überziehn und so das Allheilmittel gegen
alle sozialen Schäden zu probieren. Das Recht dazu hat man, denn es ist
wohl noch nicht ganz aus dem Bewußtsein des Volkes entschwunden, daß das
private Grundeigentum auch öffentliche Pflichten hat, daß es niemals ganz
privat werden kann, daß es z. B. nicht um seiner privaten Existenz willen
den Besitzstand des Volkes, die politischen und die Sprachgrenzen gefährden
darf. Mancher Besitzer wird hierbei fürchten, es ginge auf seine Entrechtung
und Enteignung aus; aber keine Sorge! So schnell würde es nicht vorwärts
geh" mit der Kolonisation durch Besitzübertragungen, weil die Neigung zu der
mühevollen und undankbaren Arbeit des Kleinbauern im Volke keineswegs in
dem Maße vorhanden ist, wie man vorauszusetzen beliebt. Darum ebeu ist es
nötig, daß damit begonnen wird, den Arbeitern auch ohne Besitzübertragung
eine sichere Heimat auf dem Lande zu geben, denn damit kann man schneller
k sah. olonisieren.




Der Römerstaat

olybius hält es für ausgemacht und allgemein anerkannt, daß
die Geschichte die beste Lehrmeisterin der Staatsmänner sei; in
unsern Tagen liest man oft: nichts sei gewisser, als daß sich aus
der Geschichte keine praktischen Verhaltungsmaßregeln ableiten
ließen, weil keine einmal dagewesene Lage wiederkehre. Wer hat
Recht? Vernehmen wir einen alten Praktikus! Wenn ich erwäge, schreibt
Machiavelli in der Einleitung zu seinen visoorsi über die ersten zehn Bücher
des Livius, "wenn ich erwäge, in welchem Grade das Altertum verehrt wird,
wie gar mancher um hohen Preis einen antiken Torso kauft, um ihn immer
bei sich zu haben, sein Haus damit zu schmücken, ihn von einem Künstler nach¬
bilden zu lassen, welche Mühe sich dann dieser mit der Nachbildung giebt;
wenn ich andrerseits sehe, wie die tugendhaften Handlungen, die in den alten


(Ärenzbown II 1890 ><i
Der Römerstaat

darum wohl möglich, daß wir die Polen wieder zurückschlagen. Wir müssen
das Flachland behalten; denn nur auf dem Lande wird das Volk immer von
neuem ergänzt, in den Arbeiterkasernen der Großstädte wird es konsumiert.

Thäte man ein übriges, und gäbe man einer Behörde das Recht, dort,
wo Nachfrage nach Kleinbesitz ist, dem Gutsherrn auf dem Wege der Expro¬
priation, also gegen volle Entschädigung zehn bis zwanzig Morgen für das
Arbeitergut zu nehmen, unter der Bedingung, daß ein neues Arbeiterhaus für
besitzlose Arbeiter aufgeführt würde, so läge es in der Hand des Staates, nach
und nach den Osten mit Kleinbesitz zu überziehn und so das Allheilmittel gegen
alle sozialen Schäden zu probieren. Das Recht dazu hat man, denn es ist
wohl noch nicht ganz aus dem Bewußtsein des Volkes entschwunden, daß das
private Grundeigentum auch öffentliche Pflichten hat, daß es niemals ganz
privat werden kann, daß es z. B. nicht um seiner privaten Existenz willen
den Besitzstand des Volkes, die politischen und die Sprachgrenzen gefährden
darf. Mancher Besitzer wird hierbei fürchten, es ginge auf seine Entrechtung
und Enteignung aus; aber keine Sorge! So schnell würde es nicht vorwärts
geh» mit der Kolonisation durch Besitzübertragungen, weil die Neigung zu der
mühevollen und undankbaren Arbeit des Kleinbauern im Volke keineswegs in
dem Maße vorhanden ist, wie man vorauszusetzen beliebt. Darum ebeu ist es
nötig, daß damit begonnen wird, den Arbeitern auch ohne Besitzübertragung
eine sichere Heimat auf dem Lande zu geben, denn damit kann man schneller
k sah. olonisieren.




Der Römerstaat

olybius hält es für ausgemacht und allgemein anerkannt, daß
die Geschichte die beste Lehrmeisterin der Staatsmänner sei; in
unsern Tagen liest man oft: nichts sei gewisser, als daß sich aus
der Geschichte keine praktischen Verhaltungsmaßregeln ableiten
ließen, weil keine einmal dagewesene Lage wiederkehre. Wer hat
Recht? Vernehmen wir einen alten Praktikus! Wenn ich erwäge, schreibt
Machiavelli in der Einleitung zu seinen visoorsi über die ersten zehn Bücher
des Livius, „wenn ich erwäge, in welchem Grade das Altertum verehrt wird,
wie gar mancher um hohen Preis einen antiken Torso kauft, um ihn immer
bei sich zu haben, sein Haus damit zu schmücken, ihn von einem Künstler nach¬
bilden zu lassen, welche Mühe sich dann dieser mit der Nachbildung giebt;
wenn ich andrerseits sehe, wie die tugendhaften Handlungen, die in den alten


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[0129] Der Römerstaat darum wohl möglich, daß wir die Polen wieder zurückschlagen. Wir müssen das Flachland behalten; denn nur auf dem Lande wird das Volk immer von neuem ergänzt, in den Arbeiterkasernen der Großstädte wird es konsumiert. Thäte man ein übriges, und gäbe man einer Behörde das Recht, dort, wo Nachfrage nach Kleinbesitz ist, dem Gutsherrn auf dem Wege der Expro¬ priation, also gegen volle Entschädigung zehn bis zwanzig Morgen für das Arbeitergut zu nehmen, unter der Bedingung, daß ein neues Arbeiterhaus für besitzlose Arbeiter aufgeführt würde, so läge es in der Hand des Staates, nach und nach den Osten mit Kleinbesitz zu überziehn und so das Allheilmittel gegen alle sozialen Schäden zu probieren. Das Recht dazu hat man, denn es ist wohl noch nicht ganz aus dem Bewußtsein des Volkes entschwunden, daß das private Grundeigentum auch öffentliche Pflichten hat, daß es niemals ganz privat werden kann, daß es z. B. nicht um seiner privaten Existenz willen den Besitzstand des Volkes, die politischen und die Sprachgrenzen gefährden darf. Mancher Besitzer wird hierbei fürchten, es ginge auf seine Entrechtung und Enteignung aus; aber keine Sorge! So schnell würde es nicht vorwärts geh» mit der Kolonisation durch Besitzübertragungen, weil die Neigung zu der mühevollen und undankbaren Arbeit des Kleinbauern im Volke keineswegs in dem Maße vorhanden ist, wie man vorauszusetzen beliebt. Darum ebeu ist es nötig, daß damit begonnen wird, den Arbeitern auch ohne Besitzübertragung eine sichere Heimat auf dem Lande zu geben, denn damit kann man schneller k sah. olonisieren. Der Römerstaat olybius hält es für ausgemacht und allgemein anerkannt, daß die Geschichte die beste Lehrmeisterin der Staatsmänner sei; in unsern Tagen liest man oft: nichts sei gewisser, als daß sich aus der Geschichte keine praktischen Verhaltungsmaßregeln ableiten ließen, weil keine einmal dagewesene Lage wiederkehre. Wer hat Recht? Vernehmen wir einen alten Praktikus! Wenn ich erwäge, schreibt Machiavelli in der Einleitung zu seinen visoorsi über die ersten zehn Bücher des Livius, „wenn ich erwäge, in welchem Grade das Altertum verehrt wird, wie gar mancher um hohen Preis einen antiken Torso kauft, um ihn immer bei sich zu haben, sein Haus damit zu schmücken, ihn von einem Künstler nach¬ bilden zu lassen, welche Mühe sich dann dieser mit der Nachbildung giebt; wenn ich andrerseits sehe, wie die tugendhaften Handlungen, die in den alten (Ärenzbown II 1890 ><i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/129>, abgerufen am 30.04.2024.