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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Winckelmanns Leben von Justi

schlechter. Als die drei Gemeinden der Raumes, Tities und Lueeres ans dem
tarpejischen Felsen ein gemeinsames Heiligtum zu errichten beschlossen, mußten
die dort residierenden sabinischen Götter "evoeiert," d. h. durch Opfer und
durch die Verheißung andrer Tempel weggelockt werden. Bei dreien gelang
das nicht: Terminus (ein Siein), Juventas und Mars wollten nicht weichen;
sie mußten in den Umkreis des neuen Tempels eingeschlossen werden. Von
dessen drei Zellen wurde die mittelste dem kapitolinischen Jupiter eingeräumt,
während in den andern beiden Juno und Minerva Platz nahmen. In diesem
Tempel wurden auch die sieben großen Reliquien des römischen Volkes auf¬
bewahrt: ein konischer Stein/') der thönerne Jupiterwagen aus Veji, die Asche
des Orestes, das Szepter des Priamus, der Schleier der Helena und die zwei
vom Himmel gefallnen Gegenstände: ein Schild (M<z.it,z)^) und ein Bild der
Pallas (Palladium, Döllinger 472--474). Die Zeichen, mit denen die Götter
in solchen Fällen ihre Zustimmung gaben und auch sonst ihr Wohlgefallen
oder Mißfallen an irgend etwas ausdrückten, waren dieselben, die der einfältige
Glaube an katholische" Heiligenbildern wahrnimmt: Nicken, Bewegung der
Augen, Weinen, Schwitzen; zuweilen wurden Stimmen gehört.

(Fortsetzung folgt)




Winckelmanns Leben von Justi

ustis dreibündiges Werk über Winckelmann machte vor dreißig
Jahren einen großen Eindruck, und heute, wo es, nachdem es
lange vergriffen war, endlich zum zweitenmale erschienen ist,
kommt es wiederum, wie ich glauben möchte, gerade zur rechten
Zeit.*"*)

Winckelmaiin hat nicht nur die erste wirkliche Geschichte der antiken Kunst
geschaffen, ein Buch, "das selbst innerhalb der seitdem so erweiterten Wissen¬
schaft noch durch keins von gleichem Gedankenreichtum und solch schriftstelle¬
rischer Meisterschaft verdunkelt worden ist," sondern er wollte auch der Kunst
seiner Zeit gegenüber ein Bekenner sein. Dadurch ist sein Leben noch etwas
mehr geworden als eine bloße Gelehrtengeschichte. Bescheiden früher in Dresden,





") Vermutlich der Gott Terminus und zugleich "Jupiter der Stein."
Die Geschichte des vom Himmel gefallnen Schildes erzählt Plutarch im dreizehnten
Kapitel seines Numa.
*.**) Winckelmann und seine Zeitgenossen. Von Karl Zusti. Zweite, durch¬
gesehene Atislage. Drei Bände. Leipzig, Vogel.
Winckelmanns Leben von Justi

schlechter. Als die drei Gemeinden der Raumes, Tities und Lueeres ans dem
tarpejischen Felsen ein gemeinsames Heiligtum zu errichten beschlossen, mußten
die dort residierenden sabinischen Götter „evoeiert," d. h. durch Opfer und
durch die Verheißung andrer Tempel weggelockt werden. Bei dreien gelang
das nicht: Terminus (ein Siein), Juventas und Mars wollten nicht weichen;
sie mußten in den Umkreis des neuen Tempels eingeschlossen werden. Von
dessen drei Zellen wurde die mittelste dem kapitolinischen Jupiter eingeräumt,
während in den andern beiden Juno und Minerva Platz nahmen. In diesem
Tempel wurden auch die sieben großen Reliquien des römischen Volkes auf¬
bewahrt: ein konischer Stein/') der thönerne Jupiterwagen aus Veji, die Asche
des Orestes, das Szepter des Priamus, der Schleier der Helena und die zwei
vom Himmel gefallnen Gegenstände: ein Schild (M<z.it,z)^) und ein Bild der
Pallas (Palladium, Döllinger 472—474). Die Zeichen, mit denen die Götter
in solchen Fällen ihre Zustimmung gaben und auch sonst ihr Wohlgefallen
oder Mißfallen an irgend etwas ausdrückten, waren dieselben, die der einfältige
Glaube an katholische» Heiligenbildern wahrnimmt: Nicken, Bewegung der
Augen, Weinen, Schwitzen; zuweilen wurden Stimmen gehört.

(Fortsetzung folgt)




Winckelmanns Leben von Justi

ustis dreibündiges Werk über Winckelmann machte vor dreißig
Jahren einen großen Eindruck, und heute, wo es, nachdem es
lange vergriffen war, endlich zum zweitenmale erschienen ist,
kommt es wiederum, wie ich glauben möchte, gerade zur rechten
Zeit.*"*)

Winckelmaiin hat nicht nur die erste wirkliche Geschichte der antiken Kunst
geschaffen, ein Buch, „das selbst innerhalb der seitdem so erweiterten Wissen¬
schaft noch durch keins von gleichem Gedankenreichtum und solch schriftstelle¬
rischer Meisterschaft verdunkelt worden ist," sondern er wollte auch der Kunst
seiner Zeit gegenüber ein Bekenner sein. Dadurch ist sein Leben noch etwas
mehr geworden als eine bloße Gelehrtengeschichte. Bescheiden früher in Dresden,





") Vermutlich der Gott Terminus und zugleich „Jupiter der Stein."
Die Geschichte des vom Himmel gefallnen Schildes erzählt Plutarch im dreizehnten
Kapitel seines Numa.
*.**) Winckelmann und seine Zeitgenossen. Von Karl Zusti. Zweite, durch¬
gesehene Atislage. Drei Bände. Leipzig, Vogel.
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[0138] Winckelmanns Leben von Justi schlechter. Als die drei Gemeinden der Raumes, Tities und Lueeres ans dem tarpejischen Felsen ein gemeinsames Heiligtum zu errichten beschlossen, mußten die dort residierenden sabinischen Götter „evoeiert," d. h. durch Opfer und durch die Verheißung andrer Tempel weggelockt werden. Bei dreien gelang das nicht: Terminus (ein Siein), Juventas und Mars wollten nicht weichen; sie mußten in den Umkreis des neuen Tempels eingeschlossen werden. Von dessen drei Zellen wurde die mittelste dem kapitolinischen Jupiter eingeräumt, während in den andern beiden Juno und Minerva Platz nahmen. In diesem Tempel wurden auch die sieben großen Reliquien des römischen Volkes auf¬ bewahrt: ein konischer Stein/') der thönerne Jupiterwagen aus Veji, die Asche des Orestes, das Szepter des Priamus, der Schleier der Helena und die zwei vom Himmel gefallnen Gegenstände: ein Schild (M<z.it,z)^) und ein Bild der Pallas (Palladium, Döllinger 472—474). Die Zeichen, mit denen die Götter in solchen Fällen ihre Zustimmung gaben und auch sonst ihr Wohlgefallen oder Mißfallen an irgend etwas ausdrückten, waren dieselben, die der einfältige Glaube an katholische» Heiligenbildern wahrnimmt: Nicken, Bewegung der Augen, Weinen, Schwitzen; zuweilen wurden Stimmen gehört. (Fortsetzung folgt) Winckelmanns Leben von Justi ustis dreibündiges Werk über Winckelmann machte vor dreißig Jahren einen großen Eindruck, und heute, wo es, nachdem es lange vergriffen war, endlich zum zweitenmale erschienen ist, kommt es wiederum, wie ich glauben möchte, gerade zur rechten Zeit.*"*) Winckelmaiin hat nicht nur die erste wirkliche Geschichte der antiken Kunst geschaffen, ein Buch, „das selbst innerhalb der seitdem so erweiterten Wissen¬ schaft noch durch keins von gleichem Gedankenreichtum und solch schriftstelle¬ rischer Meisterschaft verdunkelt worden ist," sondern er wollte auch der Kunst seiner Zeit gegenüber ein Bekenner sein. Dadurch ist sein Leben noch etwas mehr geworden als eine bloße Gelehrtengeschichte. Bescheiden früher in Dresden, ") Vermutlich der Gott Terminus und zugleich „Jupiter der Stein." Die Geschichte des vom Himmel gefallnen Schildes erzählt Plutarch im dreizehnten Kapitel seines Numa. *.**) Winckelmann und seine Zeitgenossen. Von Karl Zusti. Zweite, durch¬ gesehene Atislage. Drei Bände. Leipzig, Vogel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/138>, abgerufen am 30.04.2024.