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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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selbstbewußt und sogar stolz dann in Rom, stand er mitten in einer angeregten
Welt, an deren Leben er handelnd teilnahm, und so ließ sich recht wohl um
ihn als Mittelpunkt ein bedeutendes Stück Geistesgeschichte des achtzehnten
Jahrhunderts gruppieren. Das unternahm Justi mit lebhaft wirkender Kunst
und großem ciußerm Geschick. Das sächsische Kunstleben unter den zwei Augusten
tritt uns hier klar vor die Augen, die Dresdner Bauwerke sind hier zum
erstenmale im Zusammenhange mit der Zeit dargestellt und auf ihren künstlerischen
Wert geprüft, und von manchen berühmten Persönlichkeiten ans Winckelmanns
römischem Kreise haben wir wahrscheinlich alle zuerst durch Justi eine deutliche
Vorstellung bekommen. Nehmen wir z. B. den rücksichtslosen, gewaltsamen
Kardinal Passionei, den leidenschaftlichen Freund seiner vielen Bücher, oder
den weltförmigen und vielseitigen Verehrer des Altertums in jeder Gestalt,
Kardinal Albani, oder Papst Benedikt XIV., den klugen, derben Bologneser
mit seinen verfänglichen Offenheiten, oder Philipp von Stosch, der an Kunst¬
werken mehr gesehen hatte als irgend ein Lebender, Lagomarsini, den Cicerv-
faimtiker, und den Bildhauer Cavaceppi, der die gefundnen Altertümer so stil¬
gerecht zu ergänzen verstand -- alle diese kleinen und großen Porträts werden
uns immer aufs neue wieder das lebhafteste Vergnügen bereiten, und selbst
über einen schon so viel behandelten Mann wie Naffael Mengs wird man sich
besonders gern von Justi unterhalten lassen.

Er selbst meint, die Episoden seien als das Beste in seinem Buche be¬
funden worden. Sie sind wenigstens so ausgearbeitet, daß sie ein ganz selb¬
ständiges Interesse erwecken können. Aber das Bild der Hauptperson hat nicht
darunter gelitten. Die Anfänge Winckelmanns, ehe er nach Sachsen kam, sind
bis in unscheinbare Details verfolgt, und die Kunde ist derart erschöpft, daß
hierüber kaum noch etwas wird gesagt werden können. Ebenso ist der Schrift¬
steller Winckelmann nach allen Seiten seines Werkes eingehend gewürdigt.
Insel brachte zu dieser Aufgabe mehr mit als die Kenntnis des Inhalts der
antiken Kunst, die nach der vor ihm bei uns in Deutschland geltenden Ansicht
auch allein dazu genügt Hütte. Er war außerdem Kunsthistoriker überhaupt,
und er hatte endlich ein lebendiges Gefühl für den Wert der Sprache als Kunst¬
form, wofür der erste beste Satz des Abschnitts über Sprache und Stil der
Winckelmcmnschen Kunstgeschichte (im dritten Bande) Zeugnis ablegen kann.
"Was man ihm überall anfühlt, ist das Bewußtsein vom unendlichen Werte
des Inhalts und von der Bedeutung dessen, was er mit solchem Ernst über
ihn erforscht. Daher giebt es wenige Schriften, die bei aller Gewähltheit
des Ausdrucks so wenig von Eitelkeit, so viel Weihe haben. Er denkt mehr
an die Dinge als an die Menschen. Es ist etwas von dem feierlichen Ernst
des Propheten." Justi hat' die Gabe, mit kuaPpenMorten viel zu sagen, so
wenn es bei ihm einmal heißt, zu Phidias Zeit hätten sich die griechischen
Meister ähnlich von der herkömmlichen BeHandlungsweise losgesagt, "wie etwa
Michelangelo von der Trockenheit der Quattrocentisten, oder wie Tizian von


selbstbewußt und sogar stolz dann in Rom, stand er mitten in einer angeregten
Welt, an deren Leben er handelnd teilnahm, und so ließ sich recht wohl um
ihn als Mittelpunkt ein bedeutendes Stück Geistesgeschichte des achtzehnten
Jahrhunderts gruppieren. Das unternahm Justi mit lebhaft wirkender Kunst
und großem ciußerm Geschick. Das sächsische Kunstleben unter den zwei Augusten
tritt uns hier klar vor die Augen, die Dresdner Bauwerke sind hier zum
erstenmale im Zusammenhange mit der Zeit dargestellt und auf ihren künstlerischen
Wert geprüft, und von manchen berühmten Persönlichkeiten ans Winckelmanns
römischem Kreise haben wir wahrscheinlich alle zuerst durch Justi eine deutliche
Vorstellung bekommen. Nehmen wir z. B. den rücksichtslosen, gewaltsamen
Kardinal Passionei, den leidenschaftlichen Freund seiner vielen Bücher, oder
den weltförmigen und vielseitigen Verehrer des Altertums in jeder Gestalt,
Kardinal Albani, oder Papst Benedikt XIV., den klugen, derben Bologneser
mit seinen verfänglichen Offenheiten, oder Philipp von Stosch, der an Kunst¬
werken mehr gesehen hatte als irgend ein Lebender, Lagomarsini, den Cicerv-
faimtiker, und den Bildhauer Cavaceppi, der die gefundnen Altertümer so stil¬
gerecht zu ergänzen verstand — alle diese kleinen und großen Porträts werden
uns immer aufs neue wieder das lebhafteste Vergnügen bereiten, und selbst
über einen schon so viel behandelten Mann wie Naffael Mengs wird man sich
besonders gern von Justi unterhalten lassen.

Er selbst meint, die Episoden seien als das Beste in seinem Buche be¬
funden worden. Sie sind wenigstens so ausgearbeitet, daß sie ein ganz selb¬
ständiges Interesse erwecken können. Aber das Bild der Hauptperson hat nicht
darunter gelitten. Die Anfänge Winckelmanns, ehe er nach Sachsen kam, sind
bis in unscheinbare Details verfolgt, und die Kunde ist derart erschöpft, daß
hierüber kaum noch etwas wird gesagt werden können. Ebenso ist der Schrift¬
steller Winckelmann nach allen Seiten seines Werkes eingehend gewürdigt.
Insel brachte zu dieser Aufgabe mehr mit als die Kenntnis des Inhalts der
antiken Kunst, die nach der vor ihm bei uns in Deutschland geltenden Ansicht
auch allein dazu genügt Hütte. Er war außerdem Kunsthistoriker überhaupt,
und er hatte endlich ein lebendiges Gefühl für den Wert der Sprache als Kunst¬
form, wofür der erste beste Satz des Abschnitts über Sprache und Stil der
Winckelmcmnschen Kunstgeschichte (im dritten Bande) Zeugnis ablegen kann.
„Was man ihm überall anfühlt, ist das Bewußtsein vom unendlichen Werte
des Inhalts und von der Bedeutung dessen, was er mit solchem Ernst über
ihn erforscht. Daher giebt es wenige Schriften, die bei aller Gewähltheit
des Ausdrucks so wenig von Eitelkeit, so viel Weihe haben. Er denkt mehr
an die Dinge als an die Menschen. Es ist etwas von dem feierlichen Ernst
des Propheten." Justi hat' die Gabe, mit kuaPpenMorten viel zu sagen, so
wenn es bei ihm einmal heißt, zu Phidias Zeit hätten sich die griechischen
Meister ähnlich von der herkömmlichen BeHandlungsweise losgesagt, „wie etwa
Michelangelo von der Trockenheit der Quattrocentisten, oder wie Tizian von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/139>, abgerufen am 21.05.2024.