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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Litterarisches Leben am Rhein
in der Alitte des neunzehnten Jahrhunderts
Joseph Joesten von in
(Fortsetzung)
,

er Maikäferbund blieb mittlerweile ein lustiger, von echt rhei¬
nischem Humor durchwürzter Kreis. Zeitgenossen berichten, daß
Kinkel manchmal sogar über die Stränge schlug. Ju Mondorf
an der Sieg besaß die Familie Alexander Kaufmanns ein Gut,
das von den "Maikäfern" zur Sommerszeit oft heimgesucht wurde.
Bei einem solchen Ausflug nahm Kinkel ein altes Nachtwächter¬
horn mit, und als die Gesellschaft gegen Mitternacht in Bonn anlangte, ließ
er aus dem Horne die Töne des Nachtwächters erschallen, sodaß die schon in
den Betten liegenden Bewohner ängstlich an die Fenster eilten, um zu sehen,
wo es brenne. Kinkel aber verbarg das Horn sorgsam unter seinem Rock,
sodaß niemand in dem unter ernsten Gesprächen dahinschreitenden Universitäts¬
lehrer den mutwilligen Hornisten vermutete.

Zu derselben Zeit gingen in Bonn die wunderlichsten Gerüchte über
Kinkels Verhältnis zu Johanna. Das Presbyterium zu Köln sandte den
Pastor Engels nach Bonn, um Kinkel wegen der Reinheit der Lehre, der
Amtstreue und seines sittlichen Wandels zu einer Erklärung zu veranlassen.
Das Presbyterium nahm Anstoß unter anderen daran, daß Kinkel mit Frau
Mathieux im "Hirzekümpchen," einem Kaffeelokal Borns, gemeinsam Kaffee
getrunken habe; auch könne es die Heirat mit einer Katholikin, die von ihrem
Manu geschieden sei, bei einem Geistlichen nicht billigen. Kinkel hat dem
Herrn Pastor in jener Vermcchnung gründlich gedient und den Diener am
Worte des Herrn auf die Augsburger Konfession und den Heidelberger Kate¬
chismus verwiesen, die diesen Fall ausdrücklich vorgesehen haben. Im übrigen
bestritt er der Aufsichtsbehörde mit klaren und deutlichen Worten das Recht,
sich um sein Verhältnis zu Johanna zu kümmern, "selbst wenn es sich so ver¬
hielte, wie man vermute." Sechs Tage darauf wurde Kinkel als Hilfsprediger
der evangelischen Gemeinde zu Köln abgesetzt.'

Am29. Juni 1841 sollte das erste Stiftungsfest des Bundes gefeiert
werden. Seit ihn infolge seiner amtlichen Disziplinierung selbst seine Freunde
flohen und seine Gegner mit bitterm Hasse verfolgten, waren auch zwei Mit¬
glieder dem Bunde untreu geworden, Leo Haffe, dem Kinkel das herrliche Lied:
"Der Welt Trotz" nachsang, und Alexander Kaufmann, dem eins seiner vor¬
züglichsten Gedichte: "Einem Verlornen" gilt. Statt der Ausgeschiednen traten
zwei neue Mitglieder ein, Karl Fresenius und Jakob Burckhardt. Außerdem war




Litterarisches Leben am Rhein
in der Alitte des neunzehnten Jahrhunderts
Joseph Joesten von in
(Fortsetzung)
,

er Maikäferbund blieb mittlerweile ein lustiger, von echt rhei¬
nischem Humor durchwürzter Kreis. Zeitgenossen berichten, daß
Kinkel manchmal sogar über die Stränge schlug. Ju Mondorf
an der Sieg besaß die Familie Alexander Kaufmanns ein Gut,
das von den „Maikäfern" zur Sommerszeit oft heimgesucht wurde.
Bei einem solchen Ausflug nahm Kinkel ein altes Nachtwächter¬
horn mit, und als die Gesellschaft gegen Mitternacht in Bonn anlangte, ließ
er aus dem Horne die Töne des Nachtwächters erschallen, sodaß die schon in
den Betten liegenden Bewohner ängstlich an die Fenster eilten, um zu sehen,
wo es brenne. Kinkel aber verbarg das Horn sorgsam unter seinem Rock,
sodaß niemand in dem unter ernsten Gesprächen dahinschreitenden Universitäts¬
lehrer den mutwilligen Hornisten vermutete.

Zu derselben Zeit gingen in Bonn die wunderlichsten Gerüchte über
Kinkels Verhältnis zu Johanna. Das Presbyterium zu Köln sandte den
Pastor Engels nach Bonn, um Kinkel wegen der Reinheit der Lehre, der
Amtstreue und seines sittlichen Wandels zu einer Erklärung zu veranlassen.
Das Presbyterium nahm Anstoß unter anderen daran, daß Kinkel mit Frau
Mathieux im „Hirzekümpchen," einem Kaffeelokal Borns, gemeinsam Kaffee
getrunken habe; auch könne es die Heirat mit einer Katholikin, die von ihrem
Manu geschieden sei, bei einem Geistlichen nicht billigen. Kinkel hat dem
Herrn Pastor in jener Vermcchnung gründlich gedient und den Diener am
Worte des Herrn auf die Augsburger Konfession und den Heidelberger Kate¬
chismus verwiesen, die diesen Fall ausdrücklich vorgesehen haben. Im übrigen
bestritt er der Aufsichtsbehörde mit klaren und deutlichen Worten das Recht,
sich um sein Verhältnis zu Johanna zu kümmern, „selbst wenn es sich so ver¬
hielte, wie man vermute." Sechs Tage darauf wurde Kinkel als Hilfsprediger
der evangelischen Gemeinde zu Köln abgesetzt.'

Am29. Juni 1841 sollte das erste Stiftungsfest des Bundes gefeiert
werden. Seit ihn infolge seiner amtlichen Disziplinierung selbst seine Freunde
flohen und seine Gegner mit bitterm Hasse verfolgten, waren auch zwei Mit¬
glieder dem Bunde untreu geworden, Leo Haffe, dem Kinkel das herrliche Lied:
„Der Welt Trotz" nachsang, und Alexander Kaufmann, dem eins seiner vor¬
züglichsten Gedichte: „Einem Verlornen" gilt. Statt der Ausgeschiednen traten
zwei neue Mitglieder ein, Karl Fresenius und Jakob Burckhardt. Außerdem war


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[0212] [Abbildung] Litterarisches Leben am Rhein in der Alitte des neunzehnten Jahrhunderts Joseph Joesten von in (Fortsetzung) , er Maikäferbund blieb mittlerweile ein lustiger, von echt rhei¬ nischem Humor durchwürzter Kreis. Zeitgenossen berichten, daß Kinkel manchmal sogar über die Stränge schlug. Ju Mondorf an der Sieg besaß die Familie Alexander Kaufmanns ein Gut, das von den „Maikäfern" zur Sommerszeit oft heimgesucht wurde. Bei einem solchen Ausflug nahm Kinkel ein altes Nachtwächter¬ horn mit, und als die Gesellschaft gegen Mitternacht in Bonn anlangte, ließ er aus dem Horne die Töne des Nachtwächters erschallen, sodaß die schon in den Betten liegenden Bewohner ängstlich an die Fenster eilten, um zu sehen, wo es brenne. Kinkel aber verbarg das Horn sorgsam unter seinem Rock, sodaß niemand in dem unter ernsten Gesprächen dahinschreitenden Universitäts¬ lehrer den mutwilligen Hornisten vermutete. Zu derselben Zeit gingen in Bonn die wunderlichsten Gerüchte über Kinkels Verhältnis zu Johanna. Das Presbyterium zu Köln sandte den Pastor Engels nach Bonn, um Kinkel wegen der Reinheit der Lehre, der Amtstreue und seines sittlichen Wandels zu einer Erklärung zu veranlassen. Das Presbyterium nahm Anstoß unter anderen daran, daß Kinkel mit Frau Mathieux im „Hirzekümpchen," einem Kaffeelokal Borns, gemeinsam Kaffee getrunken habe; auch könne es die Heirat mit einer Katholikin, die von ihrem Manu geschieden sei, bei einem Geistlichen nicht billigen. Kinkel hat dem Herrn Pastor in jener Vermcchnung gründlich gedient und den Diener am Worte des Herrn auf die Augsburger Konfession und den Heidelberger Kate¬ chismus verwiesen, die diesen Fall ausdrücklich vorgesehen haben. Im übrigen bestritt er der Aufsichtsbehörde mit klaren und deutlichen Worten das Recht, sich um sein Verhältnis zu Johanna zu kümmern, „selbst wenn es sich so ver¬ hielte, wie man vermute." Sechs Tage darauf wurde Kinkel als Hilfsprediger der evangelischen Gemeinde zu Köln abgesetzt.' Am29. Juni 1841 sollte das erste Stiftungsfest des Bundes gefeiert werden. Seit ihn infolge seiner amtlichen Disziplinierung selbst seine Freunde flohen und seine Gegner mit bitterm Hasse verfolgten, waren auch zwei Mit¬ glieder dem Bunde untreu geworden, Leo Haffe, dem Kinkel das herrliche Lied: „Der Welt Trotz" nachsang, und Alexander Kaufmann, dem eins seiner vor¬ züglichsten Gedichte: „Einem Verlornen" gilt. Statt der Ausgeschiednen traten zwei neue Mitglieder ein, Karl Fresenius und Jakob Burckhardt. Außerdem war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/212>, abgerufen am 30.04.2024.