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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß jener Versuch immer wieder Gläubige findet. "Die Macht des geistreich
aufregende" Wortes, den Zauber der Formel und der Pointe/' die R. Hahn
in seinem vorzüglichen Buch "Die romantische Schule" den Künsten der roman¬
tischen Parteitaktik und Parteiästhetik besonders zuspricht, wirken in allen revolu¬
tionären Perioden aufs neue. Gewisse Leute wissen auch aus dem Nachweis
der immer gleichmäßigen Wiederholung überreizter Ansprüche und leidenschaft-
lich-einseitiger Anschauungen nur herauszulesen, daß es ein Gesetz sei, was
in dieser Wiederholung zu Tage trete. Bis zu der alles entscheidenden Frage,
ob dieses "Gesetz" ohne weiteres zu denen gerechnet werden müsse, denen sich
Empfindung und Urteil unterzuordnen haben, versteigen sie sich nicht. Wir
aber leben des Glaubens, daß diese Frage vor allem gestellt und klar
beantwortet werden müsse.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Sozialreform im Staatsdienst.
-


Im Reichsanzeiger ist kürzlich an die
Adresse der Reichs und preußischen Staatsbeamten eine Warnung veröffentlicht
wurden vor der Teilnahme an Vereinen, die, wie es wörtlich heißt, "beabsichtigen,
durch den massenhaften Zusammenschluß von Vereinsmitgliedern einen Druck behufs
Durchsetzung ihrer Forderungen auf die obersten Reichs- und Staatsbehörden zu
üben und die Erreichung ihrer Forderungen nicht von der Fürsorge des Reichs
und des Staats erwarten, sondern dieselben zu ertrotzen unternehmen, deren offizielle
Organe sich einer unzulässigen und ungehörigen Sprache bedienen, die Unzufriedenheit
schüren, das Vertrauen zu den Vorgesetzten untergraben und sogar durch eine fort¬
gesetzte Herabsetzung der Achtung vor letztern die Disziplin gefährden." Die kaiser¬
lichen und königlichen Beamten müßten ihren "alten Ruhm der Treue, der unent¬
wegter Pflichterfüllung und der Disziplin" sorgfältig wahren und sich hüten, dnrch
unzulässige Agitationen anch nur deu Schein zu erwecken, als wenn sie, selbst un¬
bewußt, auf Wege gerieten, die durch die unausbleiblichen Folgen dem Staate und
ihnen selbst nur zum schwerste" Schaden gereiche" würden. "Niemals mehr als
in der gegenwärtigen Zeit -- so schließt die Warnung --, wo die Umsturz-
Partei um den Grundfesten unsers Vaterlands zu rütteln sucht, ist dies eine der
obersten Pflichten aller öffentlichen Beamten. Sie müssen es als eine Ehrenpflicht
erkennen, in dieser Richtung der kömgstrenen Bevölkerung ein Vorbild zu geben."

Wenn schon die mißbräuchliche Anwendung des Koalitionsrechts bei den Arbeitern
zu ernsten Gefahren führt, so ist sie im Beamtentum völlig unverträglich mit der
Disziplin, ja mit einem gedeihlichen Funktionieren des Staatswesens überhaupt.
Die leitenden Stellen im Reich und im Staat haben allen Grund, darüber keinerlei
Zweifel unter deu Beamten aufkommen zu lassen. Die Beamten als Staatsdiener
müssen sich nun einmal in der Ausübung der Rechte, die den Staatsbürgern zu-
stehn, gewisse Schranken auferlegen, und dazu gehört das Koalitionsrecht.

Daß diese Beschränkung, ja man kann wohl sagen: dieser Verzicht auf den


Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß jener Versuch immer wieder Gläubige findet. „Die Macht des geistreich
aufregende» Wortes, den Zauber der Formel und der Pointe/' die R. Hahn
in seinem vorzüglichen Buch „Die romantische Schule" den Künsten der roman¬
tischen Parteitaktik und Parteiästhetik besonders zuspricht, wirken in allen revolu¬
tionären Perioden aufs neue. Gewisse Leute wissen auch aus dem Nachweis
der immer gleichmäßigen Wiederholung überreizter Ansprüche und leidenschaft-
lich-einseitiger Anschauungen nur herauszulesen, daß es ein Gesetz sei, was
in dieser Wiederholung zu Tage trete. Bis zu der alles entscheidenden Frage,
ob dieses „Gesetz" ohne weiteres zu denen gerechnet werden müsse, denen sich
Empfindung und Urteil unterzuordnen haben, versteigen sie sich nicht. Wir
aber leben des Glaubens, daß diese Frage vor allem gestellt und klar
beantwortet werden müsse.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Sozialreform im Staatsdienst.
-


Im Reichsanzeiger ist kürzlich an die
Adresse der Reichs und preußischen Staatsbeamten eine Warnung veröffentlicht
wurden vor der Teilnahme an Vereinen, die, wie es wörtlich heißt, „beabsichtigen,
durch den massenhaften Zusammenschluß von Vereinsmitgliedern einen Druck behufs
Durchsetzung ihrer Forderungen auf die obersten Reichs- und Staatsbehörden zu
üben und die Erreichung ihrer Forderungen nicht von der Fürsorge des Reichs
und des Staats erwarten, sondern dieselben zu ertrotzen unternehmen, deren offizielle
Organe sich einer unzulässigen und ungehörigen Sprache bedienen, die Unzufriedenheit
schüren, das Vertrauen zu den Vorgesetzten untergraben und sogar durch eine fort¬
gesetzte Herabsetzung der Achtung vor letztern die Disziplin gefährden." Die kaiser¬
lichen und königlichen Beamten müßten ihren „alten Ruhm der Treue, der unent¬
wegter Pflichterfüllung und der Disziplin" sorgfältig wahren und sich hüten, dnrch
unzulässige Agitationen anch nur deu Schein zu erwecken, als wenn sie, selbst un¬
bewußt, auf Wege gerieten, die durch die unausbleiblichen Folgen dem Staate und
ihnen selbst nur zum schwerste» Schaden gereiche» würden. „Niemals mehr als
in der gegenwärtigen Zeit — so schließt die Warnung —, wo die Umsturz-
Partei um den Grundfesten unsers Vaterlands zu rütteln sucht, ist dies eine der
obersten Pflichten aller öffentlichen Beamten. Sie müssen es als eine Ehrenpflicht
erkennen, in dieser Richtung der kömgstrenen Bevölkerung ein Vorbild zu geben."

Wenn schon die mißbräuchliche Anwendung des Koalitionsrechts bei den Arbeitern
zu ernsten Gefahren führt, so ist sie im Beamtentum völlig unverträglich mit der
Disziplin, ja mit einem gedeihlichen Funktionieren des Staatswesens überhaupt.
Die leitenden Stellen im Reich und im Staat haben allen Grund, darüber keinerlei
Zweifel unter deu Beamten aufkommen zu lassen. Die Beamten als Staatsdiener
müssen sich nun einmal in der Ausübung der Rechte, die den Staatsbürgern zu-
stehn, gewisse Schranken auferlegen, und dazu gehört das Koalitionsrecht.

Daß diese Beschränkung, ja man kann wohl sagen: dieser Verzicht auf den


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[0283] Maßgebliches und Unmaßgebliches daß jener Versuch immer wieder Gläubige findet. „Die Macht des geistreich aufregende» Wortes, den Zauber der Formel und der Pointe/' die R. Hahn in seinem vorzüglichen Buch „Die romantische Schule" den Künsten der roman¬ tischen Parteitaktik und Parteiästhetik besonders zuspricht, wirken in allen revolu¬ tionären Perioden aufs neue. Gewisse Leute wissen auch aus dem Nachweis der immer gleichmäßigen Wiederholung überreizter Ansprüche und leidenschaft- lich-einseitiger Anschauungen nur herauszulesen, daß es ein Gesetz sei, was in dieser Wiederholung zu Tage trete. Bis zu der alles entscheidenden Frage, ob dieses „Gesetz" ohne weiteres zu denen gerechnet werden müsse, denen sich Empfindung und Urteil unterzuordnen haben, versteigen sie sich nicht. Wir aber leben des Glaubens, daß diese Frage vor allem gestellt und klar beantwortet werden müsse. (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Sozialreform im Staatsdienst. - Im Reichsanzeiger ist kürzlich an die Adresse der Reichs und preußischen Staatsbeamten eine Warnung veröffentlicht wurden vor der Teilnahme an Vereinen, die, wie es wörtlich heißt, „beabsichtigen, durch den massenhaften Zusammenschluß von Vereinsmitgliedern einen Druck behufs Durchsetzung ihrer Forderungen auf die obersten Reichs- und Staatsbehörden zu üben und die Erreichung ihrer Forderungen nicht von der Fürsorge des Reichs und des Staats erwarten, sondern dieselben zu ertrotzen unternehmen, deren offizielle Organe sich einer unzulässigen und ungehörigen Sprache bedienen, die Unzufriedenheit schüren, das Vertrauen zu den Vorgesetzten untergraben und sogar durch eine fort¬ gesetzte Herabsetzung der Achtung vor letztern die Disziplin gefährden." Die kaiser¬ lichen und königlichen Beamten müßten ihren „alten Ruhm der Treue, der unent¬ wegter Pflichterfüllung und der Disziplin" sorgfältig wahren und sich hüten, dnrch unzulässige Agitationen anch nur deu Schein zu erwecken, als wenn sie, selbst un¬ bewußt, auf Wege gerieten, die durch die unausbleiblichen Folgen dem Staate und ihnen selbst nur zum schwerste» Schaden gereiche» würden. „Niemals mehr als in der gegenwärtigen Zeit — so schließt die Warnung —, wo die Umsturz- Partei um den Grundfesten unsers Vaterlands zu rütteln sucht, ist dies eine der obersten Pflichten aller öffentlichen Beamten. Sie müssen es als eine Ehrenpflicht erkennen, in dieser Richtung der kömgstrenen Bevölkerung ein Vorbild zu geben." Wenn schon die mißbräuchliche Anwendung des Koalitionsrechts bei den Arbeitern zu ernsten Gefahren führt, so ist sie im Beamtentum völlig unverträglich mit der Disziplin, ja mit einem gedeihlichen Funktionieren des Staatswesens überhaupt. Die leitenden Stellen im Reich und im Staat haben allen Grund, darüber keinerlei Zweifel unter deu Beamten aufkommen zu lassen. Die Beamten als Staatsdiener müssen sich nun einmal in der Ausübung der Rechte, die den Staatsbürgern zu- stehn, gewisse Schranken auferlegen, und dazu gehört das Koalitionsrecht. Daß diese Beschränkung, ja man kann wohl sagen: dieser Verzicht auf den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/283>, abgerufen am 30.04.2024.