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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

hange mit seiner Zeit, die das Genie zwar nicht schafft, aber erzieht, zu verstehn
sucht. Wer statt eines historischen Porträts ein Heiligenbild auf Goldgrund
malt, der verfolgt erbauliche Zwecke, ein Historiker ist er nicht. Persönlich den
Vorwurf mangelnder Pietät zu fürchten, habe ich keine Veranlassung. Einem
Manne, der mir die Ideale der Jugend und der ersten Mannesjahre glorreich
verwirklicht hat, dessen Soldat im Kampfe für Deutschlands Einheit und Größe
an meinem unendlich bescheidnen Teile in Wort und Schrift gewesen zu sein
mein Stolz ist, während ein jüngeres Geschlecht, das jetzt deu echten Bismarck-
kultus für sich allein beansprucht, jene Kämpfe noch gar nicht mit Bewußtsein
erlebt hat, dem Manne, der mir noch in seinen letzten Jahren, als ich eine
solche Möglichkeit gar nicht mehr zu hoffen wagte, persönliche Freundlichkeit
erwiesen hat, dem pietätlos gegenüberzutreten wäre mir ganz unmöglich.

Im folgenden soll zunächst die Darstellung behandelt werden, die Fürst
Bismarck im 22. und 23. Kapitel von dem Kriegsjahre 1870/71 giebt. Denn
einmal zeigt ihn diese Zeit auf der Höhe seiner Wirksamkeit, sodann fließen
hier gerade die Quellen so reichlich, daß es, obwohl die Archive im großen
und ganzen noch lange unzugänglich bleiben werden, oft möglich ist, bis ins
einzelne hinein zu kontrollieren.

^. Die Lmser Depesche

Der Inhalt der ersten Hälfte dieses Kapitels läßt sich etwa in folgende
Sätze zusammenfassen. Die Thronkandidatur des Prinzen Leopold war eine
spanisch-hohenzollernsche Sache, keine preußisch-deutsche, und sie ging von Spanien
aus. Der König Wilhelm hatte mit ihr nur als Chef des hohenzollernschen
Gesamthauses zu thun, Bismarck gab dabei seinen persönlichen Rat, aber nicht
als Bundeskanzler; er erwartete auch von Spanien kein Bündnis, sondern
höchstens handelspolitische Vorteile, "stand politisch der ganzen Frage ziemlich
gleichgiltig gegenüber" und meinte im übrigen, ein Hohenzoller werde auch
als König von Spanien nur spanische Politik treiben können. Er erwog dabei
pflichtmäßig alle möglichen Folgen von dem Standpunkt der deutschen Inter¬
essen aus und hatte keinen Grund, etwaige Vorteile abzuweisen, auch wenn
Frankreich damit unzufrieden sein sollte. Einen Krieg mit Frankreich befürchtete
er indes aus diesem Anlaß nicht, die Auffassung der Franzosen, daß hier
Preußen als Staat französische Interessen verletze, erschien ihm unberechtigt,
die ganze Behandlung der Angelegenheit von selten Frankreichs "unverschämt."
Von der europäischen Lage macht er nur gelegentlich die Andeutung, daß die
Möglichkeit eines französisch-österreichisch-italienischen Bündnisses vorgelegen
habe und vom Ultramontanismus nach Kräften gefördert worden sei (S. 74.
83. 168 f.).

Die Lücke, die durch dieses Schweigen zwischen diesem 22. Kapitel und
dem vorangehenden 21. (Der norddeutsche Bund) entsteht, ist deshalb be-


Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

hange mit seiner Zeit, die das Genie zwar nicht schafft, aber erzieht, zu verstehn
sucht. Wer statt eines historischen Porträts ein Heiligenbild auf Goldgrund
malt, der verfolgt erbauliche Zwecke, ein Historiker ist er nicht. Persönlich den
Vorwurf mangelnder Pietät zu fürchten, habe ich keine Veranlassung. Einem
Manne, der mir die Ideale der Jugend und der ersten Mannesjahre glorreich
verwirklicht hat, dessen Soldat im Kampfe für Deutschlands Einheit und Größe
an meinem unendlich bescheidnen Teile in Wort und Schrift gewesen zu sein
mein Stolz ist, während ein jüngeres Geschlecht, das jetzt deu echten Bismarck-
kultus für sich allein beansprucht, jene Kämpfe noch gar nicht mit Bewußtsein
erlebt hat, dem Manne, der mir noch in seinen letzten Jahren, als ich eine
solche Möglichkeit gar nicht mehr zu hoffen wagte, persönliche Freundlichkeit
erwiesen hat, dem pietätlos gegenüberzutreten wäre mir ganz unmöglich.

Im folgenden soll zunächst die Darstellung behandelt werden, die Fürst
Bismarck im 22. und 23. Kapitel von dem Kriegsjahre 1870/71 giebt. Denn
einmal zeigt ihn diese Zeit auf der Höhe seiner Wirksamkeit, sodann fließen
hier gerade die Quellen so reichlich, daß es, obwohl die Archive im großen
und ganzen noch lange unzugänglich bleiben werden, oft möglich ist, bis ins
einzelne hinein zu kontrollieren.

^. Die Lmser Depesche

Der Inhalt der ersten Hälfte dieses Kapitels läßt sich etwa in folgende
Sätze zusammenfassen. Die Thronkandidatur des Prinzen Leopold war eine
spanisch-hohenzollernsche Sache, keine preußisch-deutsche, und sie ging von Spanien
aus. Der König Wilhelm hatte mit ihr nur als Chef des hohenzollernschen
Gesamthauses zu thun, Bismarck gab dabei seinen persönlichen Rat, aber nicht
als Bundeskanzler; er erwartete auch von Spanien kein Bündnis, sondern
höchstens handelspolitische Vorteile, „stand politisch der ganzen Frage ziemlich
gleichgiltig gegenüber" und meinte im übrigen, ein Hohenzoller werde auch
als König von Spanien nur spanische Politik treiben können. Er erwog dabei
pflichtmäßig alle möglichen Folgen von dem Standpunkt der deutschen Inter¬
essen aus und hatte keinen Grund, etwaige Vorteile abzuweisen, auch wenn
Frankreich damit unzufrieden sein sollte. Einen Krieg mit Frankreich befürchtete
er indes aus diesem Anlaß nicht, die Auffassung der Franzosen, daß hier
Preußen als Staat französische Interessen verletze, erschien ihm unberechtigt,
die ganze Behandlung der Angelegenheit von selten Frankreichs „unverschämt."
Von der europäischen Lage macht er nur gelegentlich die Andeutung, daß die
Möglichkeit eines französisch-österreichisch-italienischen Bündnisses vorgelegen
habe und vom Ultramontanismus nach Kräften gefördert worden sei (S. 74.
83. 168 f.).

Die Lücke, die durch dieses Schweigen zwischen diesem 22. Kapitel und
dem vorangehenden 21. (Der norddeutsche Bund) entsteht, ist deshalb be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/570>, abgerufen am 30.04.2024.