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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnernngen

sonders empfindlich, weil Bismarcks Politik im Jahre 1870 ohne die Kenntnis
der europäischen Lage, wie sie ihm erschien, gnr nicht verständlich ist. Wir
wissen zu viel, als daß wir uns mit seinen Andeutungen begnügen könnten,
zu wenig, als daß wir nicht fortwährend vor Rätseln stünden, die Bismarck
hätte lösen können. Allgemein bekannt sind, zumal seit einigen "indiskreten"
französischen Publikationen von Gramont, Chcmdordy, Prinz Napoleon, Jarras,
Rothar, Lebrun, die schon Sybel, allerdings mit starken Zweifeln an der
Glaubwürdigkeit mancher, benutzt hat, folgende grundlegenden Thatsachen. Frank¬
reich und Österreich standen dem neuen Deutschland insofern feindselig gegen¬
über, als sie in dem etwaigen Eintritt der süddeutschen Staaten in den Nord¬
deutschen Bund, also in der Vollendung der deutschen Einheit, eine Verletzung
des Präger Friedens sahen, demnach an dem Anspruch festhielten, sich in die
deutschen Angelegenheiten einzumischen. Beide Mächte hatten sich seit der
Salzburger Zusammenkunft der beiden Kaiser im August 1867 genähert, dort
auch ein Protokoll aufgesetzt, das "die Harmonie der Ideen" feststellte, und
verhandelten 1869 über ein Verteidigungsbündnis, in das auch Italien hinein¬
gezogen werden sollte, wie Österreich ausdrücklich verlangte, um auf alle Fülle
seine Südgrenze zu decken. Da Italien seinen Beitritt an die Überlassung
Roms knüpfte, so scheiterte daran der Abschluß, doch tauschten die drei Mo¬
narchen Briefe mit einander aus, die eine gewisse gegenseitige Verpflichtung
anerkannten. Im März und April 1870 schlug darauf Erzherzog Albrecht, der
Führer der österreichischen Kriegspartei, in Paris einen gemeinsamen Feldzugs-
plan vor, am 10. Mai wurde der Entwurf zu einem Schutz- und Trutzbündnis
der drei Mächte aufgestellt, im Juni der Plan in Wien weiter mit dem fran¬
zösischen General Lebrun besprochen: gemeinsamer Einbruch der Franzosen,
Österreicher und Italiener in Süddeutschland, Vereinigung etwa bei Nürnberg,
Vormarsch auf Berlin, Entscheidungsschlacht bei Leipzig. Allerdings sollte der
Krieg nicht vor dem Frühjahr 1871 unternommen werden, und beim Abschiede
sagte Kaiser Franz Joseph dem französischen General nachdrücklich, er könne
nur dann am Kriege teilnehmen, wenn Napoleon III. nicht als Feind, sondern
als Befreier in Sttddeutschlaud erscheine; sonst könne Preußen "unter Aus¬
nützung der neuen deutschen Idee" nicht nur die Nord- und Süddeutschen,
sondern auch die österreichischen Deutschen zur nationalen Erhebung bringen.
Vorausgesetzt wurde also, daß Frankreich einen Kriegsgrund fand, der Preußen
diese "Ausnützung" unmöglich machte, und daß es zuerst losschlug, die andern
ihm erst folgten. Abgeschlossen wurde das Bündnis formell auch damals nicht,
vor allem, weil Italien auf der Räumung Roms bestand; aber ohne Zweifel
hatte Gramont. seit dem 15. Mai Minister des Auswärtigen in Frankreich,
bis dahin französischer Botschafter in Wien, im Juli 1870 einigen Grund, auf
die Hilfe Österreichs und Italiens zu rechnen, denn was hatte die spanische
Kandidatur Prinz Leopolds mit nationaldeutschen Interessen zu thun, und


Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnernngen

sonders empfindlich, weil Bismarcks Politik im Jahre 1870 ohne die Kenntnis
der europäischen Lage, wie sie ihm erschien, gnr nicht verständlich ist. Wir
wissen zu viel, als daß wir uns mit seinen Andeutungen begnügen könnten,
zu wenig, als daß wir nicht fortwährend vor Rätseln stünden, die Bismarck
hätte lösen können. Allgemein bekannt sind, zumal seit einigen „indiskreten"
französischen Publikationen von Gramont, Chcmdordy, Prinz Napoleon, Jarras,
Rothar, Lebrun, die schon Sybel, allerdings mit starken Zweifeln an der
Glaubwürdigkeit mancher, benutzt hat, folgende grundlegenden Thatsachen. Frank¬
reich und Österreich standen dem neuen Deutschland insofern feindselig gegen¬
über, als sie in dem etwaigen Eintritt der süddeutschen Staaten in den Nord¬
deutschen Bund, also in der Vollendung der deutschen Einheit, eine Verletzung
des Präger Friedens sahen, demnach an dem Anspruch festhielten, sich in die
deutschen Angelegenheiten einzumischen. Beide Mächte hatten sich seit der
Salzburger Zusammenkunft der beiden Kaiser im August 1867 genähert, dort
auch ein Protokoll aufgesetzt, das „die Harmonie der Ideen" feststellte, und
verhandelten 1869 über ein Verteidigungsbündnis, in das auch Italien hinein¬
gezogen werden sollte, wie Österreich ausdrücklich verlangte, um auf alle Fülle
seine Südgrenze zu decken. Da Italien seinen Beitritt an die Überlassung
Roms knüpfte, so scheiterte daran der Abschluß, doch tauschten die drei Mo¬
narchen Briefe mit einander aus, die eine gewisse gegenseitige Verpflichtung
anerkannten. Im März und April 1870 schlug darauf Erzherzog Albrecht, der
Führer der österreichischen Kriegspartei, in Paris einen gemeinsamen Feldzugs-
plan vor, am 10. Mai wurde der Entwurf zu einem Schutz- und Trutzbündnis
der drei Mächte aufgestellt, im Juni der Plan in Wien weiter mit dem fran¬
zösischen General Lebrun besprochen: gemeinsamer Einbruch der Franzosen,
Österreicher und Italiener in Süddeutschland, Vereinigung etwa bei Nürnberg,
Vormarsch auf Berlin, Entscheidungsschlacht bei Leipzig. Allerdings sollte der
Krieg nicht vor dem Frühjahr 1871 unternommen werden, und beim Abschiede
sagte Kaiser Franz Joseph dem französischen General nachdrücklich, er könne
nur dann am Kriege teilnehmen, wenn Napoleon III. nicht als Feind, sondern
als Befreier in Sttddeutschlaud erscheine; sonst könne Preußen „unter Aus¬
nützung der neuen deutschen Idee" nicht nur die Nord- und Süddeutschen,
sondern auch die österreichischen Deutschen zur nationalen Erhebung bringen.
Vorausgesetzt wurde also, daß Frankreich einen Kriegsgrund fand, der Preußen
diese „Ausnützung" unmöglich machte, und daß es zuerst losschlug, die andern
ihm erst folgten. Abgeschlossen wurde das Bündnis formell auch damals nicht,
vor allem, weil Italien auf der Räumung Roms bestand; aber ohne Zweifel
hatte Gramont. seit dem 15. Mai Minister des Auswärtigen in Frankreich,
bis dahin französischer Botschafter in Wien, im Juli 1870 einigen Grund, auf
die Hilfe Österreichs und Italiens zu rechnen, denn was hatte die spanische
Kandidatur Prinz Leopolds mit nationaldeutschen Interessen zu thun, und


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[0571] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnernngen sonders empfindlich, weil Bismarcks Politik im Jahre 1870 ohne die Kenntnis der europäischen Lage, wie sie ihm erschien, gnr nicht verständlich ist. Wir wissen zu viel, als daß wir uns mit seinen Andeutungen begnügen könnten, zu wenig, als daß wir nicht fortwährend vor Rätseln stünden, die Bismarck hätte lösen können. Allgemein bekannt sind, zumal seit einigen „indiskreten" französischen Publikationen von Gramont, Chcmdordy, Prinz Napoleon, Jarras, Rothar, Lebrun, die schon Sybel, allerdings mit starken Zweifeln an der Glaubwürdigkeit mancher, benutzt hat, folgende grundlegenden Thatsachen. Frank¬ reich und Österreich standen dem neuen Deutschland insofern feindselig gegen¬ über, als sie in dem etwaigen Eintritt der süddeutschen Staaten in den Nord¬ deutschen Bund, also in der Vollendung der deutschen Einheit, eine Verletzung des Präger Friedens sahen, demnach an dem Anspruch festhielten, sich in die deutschen Angelegenheiten einzumischen. Beide Mächte hatten sich seit der Salzburger Zusammenkunft der beiden Kaiser im August 1867 genähert, dort auch ein Protokoll aufgesetzt, das „die Harmonie der Ideen" feststellte, und verhandelten 1869 über ein Verteidigungsbündnis, in das auch Italien hinein¬ gezogen werden sollte, wie Österreich ausdrücklich verlangte, um auf alle Fülle seine Südgrenze zu decken. Da Italien seinen Beitritt an die Überlassung Roms knüpfte, so scheiterte daran der Abschluß, doch tauschten die drei Mo¬ narchen Briefe mit einander aus, die eine gewisse gegenseitige Verpflichtung anerkannten. Im März und April 1870 schlug darauf Erzherzog Albrecht, der Führer der österreichischen Kriegspartei, in Paris einen gemeinsamen Feldzugs- plan vor, am 10. Mai wurde der Entwurf zu einem Schutz- und Trutzbündnis der drei Mächte aufgestellt, im Juni der Plan in Wien weiter mit dem fran¬ zösischen General Lebrun besprochen: gemeinsamer Einbruch der Franzosen, Österreicher und Italiener in Süddeutschland, Vereinigung etwa bei Nürnberg, Vormarsch auf Berlin, Entscheidungsschlacht bei Leipzig. Allerdings sollte der Krieg nicht vor dem Frühjahr 1871 unternommen werden, und beim Abschiede sagte Kaiser Franz Joseph dem französischen General nachdrücklich, er könne nur dann am Kriege teilnehmen, wenn Napoleon III. nicht als Feind, sondern als Befreier in Sttddeutschlaud erscheine; sonst könne Preußen „unter Aus¬ nützung der neuen deutschen Idee" nicht nur die Nord- und Süddeutschen, sondern auch die österreichischen Deutschen zur nationalen Erhebung bringen. Vorausgesetzt wurde also, daß Frankreich einen Kriegsgrund fand, der Preußen diese „Ausnützung" unmöglich machte, und daß es zuerst losschlug, die andern ihm erst folgten. Abgeschlossen wurde das Bündnis formell auch damals nicht, vor allem, weil Italien auf der Räumung Roms bestand; aber ohne Zweifel hatte Gramont. seit dem 15. Mai Minister des Auswärtigen in Frankreich, bis dahin französischer Botschafter in Wien, im Juli 1870 einigen Grund, auf die Hilfe Österreichs und Italiens zu rechnen, denn was hatte die spanische Kandidatur Prinz Leopolds mit nationaldeutschen Interessen zu thun, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/571>, abgerufen am 20.05.2024.