Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Döllingers Jugend

mit einander verheiratet; sie müßten trotz allem, was vorgekommen sei, bei
einander bleiben und sich vertragen. In diesem Punkte stimmten ihm seine
Münchner Freunde nicht bei. Die katholischen Engländer gaben sich in jener
Zeit der Traktarianerbewegung und der Konversionen phantastischen Hoffnungen
hin; sie meinten, es fehle ihnen an nichts, als an tüchtigen Geistlichen, um
ganz England katholisch zu machen. Zunächst nnn fehlte es ihnen an Theo¬
logen zur Erziehung des Klerus, und sie baten Döllinger, eine Stelle an ihrer
Priestererziehungsanstalt anzunehmen. Zu dieser Thorheit ließ er sich glück¬
licherweise nicht verleiten, und seine englischen Verehrer mußten sich mit Über¬
setzungen seiner Bücher begnügen.

Daß Döllinger damals nicht allein neben Görres der bedeutendste katho¬
lische Publizist war, sondern für ganz Deutschland Bedeutung hatte, dürften
die mitgeteilten Proben wohl glaubhaft gemacht haben. Aber er hat in jener
ersten Zeit auch schon einige größere Arbeiten herausgegeben, unter denen sein
Handbuch der Kirchengeschichte die wichtigste ist. Der Firma Manz wurde er
bald teuer, weil seine Bücher gut gingen, aber der Verkehr mit ihm war nicht
gerade bequem, weil er gleich den ersten Bogen, den er fertig hatte, in die
Druckerei zu schicken Pflegte, und diese ihm dann jeden weitern Bogen einzeln
abpressen mußte. Übrigens haben die feinern Nasen schon gleich in seinem
Erstlingswerke den Ketzer gewittert. Ein Satz darin erregte lauten Widerspruch:
"Bei diesem ersten Hervortreten Luthers war offenbar das Recht auf seiner
Seite." Tiefer als solche, die bloß an einzelnen Sätzen Anstoß nahmen, das
Ganze aber unbedingt lobten, sah der fromme Silbert in Wien, ein mystisch
angelegter Mann, der eine Sammlung anmutiger und rührender Legenden
herausgegeben hat. Ihm erschienen die kalte Gelehrsamkeit dieses Buches und
der scharfe Geist der Kritik, der darin wehte, unfromm. "Edle, ja herrliche
Diktion, hin und wieder stupende Gelehrsamkeit, eine seltene Gabe, großartige
Gemälde zu entwerfen, weniger Liebe und zu viel Huldigung für den Zeistgeist"
fand er darin. Die Geschichte der schönen ältesten Zeit sei zu mager; sie ent¬
halte zu wenig erfreuliche Thatsachen; dagegen sei die Ketzergeschichte ermüdend
lang. Nur selten gelange man in dieser dürren Wildnis auf grüne Rasenplätze,
wo man einmal den katholischen Priester sprechen höre.

Man sieht schon hieraus, daß es dem Verfasser der Biographie, einem
Gesinnungsgenossen des spätern Döllinger, nicht allzu schwer gefallen sein
kann, die Anschauung zu widerlegen, der alte Mann sei aus Hochmut und
Gelehrteneitelkeit von dem Glauben abgefallen, den er so lange und so glänzend
verteidigt habe; er brauchte deu Thatsachen nicht Gewalt anzuthun, eine ganz
objektive Darstellung genügte. Das, was man nach 1870 altkatholisch genannt
hat, findet sich schon in Döllingers frühester Zeit. Im Lyceum und Priester¬
seminar nämlich hatte er einige tüchtige Männer zu Lehrern gehabt, die die
später von Pius IX. zu Dogmen gestempelten Lehren als Meinungen, und


Z>

Döllingers Jugend

mit einander verheiratet; sie müßten trotz allem, was vorgekommen sei, bei
einander bleiben und sich vertragen. In diesem Punkte stimmten ihm seine
Münchner Freunde nicht bei. Die katholischen Engländer gaben sich in jener
Zeit der Traktarianerbewegung und der Konversionen phantastischen Hoffnungen
hin; sie meinten, es fehle ihnen an nichts, als an tüchtigen Geistlichen, um
ganz England katholisch zu machen. Zunächst nnn fehlte es ihnen an Theo¬
logen zur Erziehung des Klerus, und sie baten Döllinger, eine Stelle an ihrer
Priestererziehungsanstalt anzunehmen. Zu dieser Thorheit ließ er sich glück¬
licherweise nicht verleiten, und seine englischen Verehrer mußten sich mit Über¬
setzungen seiner Bücher begnügen.

Daß Döllinger damals nicht allein neben Görres der bedeutendste katho¬
lische Publizist war, sondern für ganz Deutschland Bedeutung hatte, dürften
die mitgeteilten Proben wohl glaubhaft gemacht haben. Aber er hat in jener
ersten Zeit auch schon einige größere Arbeiten herausgegeben, unter denen sein
Handbuch der Kirchengeschichte die wichtigste ist. Der Firma Manz wurde er
bald teuer, weil seine Bücher gut gingen, aber der Verkehr mit ihm war nicht
gerade bequem, weil er gleich den ersten Bogen, den er fertig hatte, in die
Druckerei zu schicken Pflegte, und diese ihm dann jeden weitern Bogen einzeln
abpressen mußte. Übrigens haben die feinern Nasen schon gleich in seinem
Erstlingswerke den Ketzer gewittert. Ein Satz darin erregte lauten Widerspruch:
„Bei diesem ersten Hervortreten Luthers war offenbar das Recht auf seiner
Seite." Tiefer als solche, die bloß an einzelnen Sätzen Anstoß nahmen, das
Ganze aber unbedingt lobten, sah der fromme Silbert in Wien, ein mystisch
angelegter Mann, der eine Sammlung anmutiger und rührender Legenden
herausgegeben hat. Ihm erschienen die kalte Gelehrsamkeit dieses Buches und
der scharfe Geist der Kritik, der darin wehte, unfromm. „Edle, ja herrliche
Diktion, hin und wieder stupende Gelehrsamkeit, eine seltene Gabe, großartige
Gemälde zu entwerfen, weniger Liebe und zu viel Huldigung für den Zeistgeist"
fand er darin. Die Geschichte der schönen ältesten Zeit sei zu mager; sie ent¬
halte zu wenig erfreuliche Thatsachen; dagegen sei die Ketzergeschichte ermüdend
lang. Nur selten gelange man in dieser dürren Wildnis auf grüne Rasenplätze,
wo man einmal den katholischen Priester sprechen höre.

Man sieht schon hieraus, daß es dem Verfasser der Biographie, einem
Gesinnungsgenossen des spätern Döllinger, nicht allzu schwer gefallen sein
kann, die Anschauung zu widerlegen, der alte Mann sei aus Hochmut und
Gelehrteneitelkeit von dem Glauben abgefallen, den er so lange und so glänzend
verteidigt habe; er brauchte deu Thatsachen nicht Gewalt anzuthun, eine ganz
objektive Darstellung genügte. Das, was man nach 1870 altkatholisch genannt
hat, findet sich schon in Döllingers frühester Zeit. Im Lyceum und Priester¬
seminar nämlich hatte er einige tüchtige Männer zu Lehrern gehabt, die die
später von Pius IX. zu Dogmen gestempelten Lehren als Meinungen, und


Z>

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0580" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231012"/>
          <fw type="header" place="top"> Döllingers Jugend</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1951" prev="#ID_1950"> mit einander verheiratet; sie müßten trotz allem, was vorgekommen sei, bei<lb/>
einander bleiben und sich vertragen. In diesem Punkte stimmten ihm seine<lb/>
Münchner Freunde nicht bei. Die katholischen Engländer gaben sich in jener<lb/>
Zeit der Traktarianerbewegung und der Konversionen phantastischen Hoffnungen<lb/>
hin; sie meinten, es fehle ihnen an nichts, als an tüchtigen Geistlichen, um<lb/>
ganz England katholisch zu machen. Zunächst nnn fehlte es ihnen an Theo¬<lb/>
logen zur Erziehung des Klerus, und sie baten Döllinger, eine Stelle an ihrer<lb/>
Priestererziehungsanstalt anzunehmen. Zu dieser Thorheit ließ er sich glück¬<lb/>
licherweise nicht verleiten, und seine englischen Verehrer mußten sich mit Über¬<lb/>
setzungen seiner Bücher begnügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1952"> Daß Döllinger damals nicht allein neben Görres der bedeutendste katho¬<lb/>
lische Publizist war, sondern für ganz Deutschland Bedeutung hatte, dürften<lb/>
die mitgeteilten Proben wohl glaubhaft gemacht haben. Aber er hat in jener<lb/>
ersten Zeit auch schon einige größere Arbeiten herausgegeben, unter denen sein<lb/>
Handbuch der Kirchengeschichte die wichtigste ist. Der Firma Manz wurde er<lb/>
bald teuer, weil seine Bücher gut gingen, aber der Verkehr mit ihm war nicht<lb/>
gerade bequem, weil er gleich den ersten Bogen, den er fertig hatte, in die<lb/>
Druckerei zu schicken Pflegte, und diese ihm dann jeden weitern Bogen einzeln<lb/>
abpressen mußte. Übrigens haben die feinern Nasen schon gleich in seinem<lb/>
Erstlingswerke den Ketzer gewittert. Ein Satz darin erregte lauten Widerspruch:<lb/>
&#x201E;Bei diesem ersten Hervortreten Luthers war offenbar das Recht auf seiner<lb/>
Seite." Tiefer als solche, die bloß an einzelnen Sätzen Anstoß nahmen, das<lb/>
Ganze aber unbedingt lobten, sah der fromme Silbert in Wien, ein mystisch<lb/>
angelegter Mann, der eine Sammlung anmutiger und rührender Legenden<lb/>
herausgegeben hat. Ihm erschienen die kalte Gelehrsamkeit dieses Buches und<lb/>
der scharfe Geist der Kritik, der darin wehte, unfromm. &#x201E;Edle, ja herrliche<lb/>
Diktion, hin und wieder stupende Gelehrsamkeit, eine seltene Gabe, großartige<lb/>
Gemälde zu entwerfen, weniger Liebe und zu viel Huldigung für den Zeistgeist"<lb/>
fand er darin. Die Geschichte der schönen ältesten Zeit sei zu mager; sie ent¬<lb/>
halte zu wenig erfreuliche Thatsachen; dagegen sei die Ketzergeschichte ermüdend<lb/>
lang. Nur selten gelange man in dieser dürren Wildnis auf grüne Rasenplätze,<lb/>
wo man einmal den katholischen Priester sprechen höre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1953" next="#ID_1954"> Man sieht schon hieraus, daß es dem Verfasser der Biographie, einem<lb/>
Gesinnungsgenossen des spätern Döllinger, nicht allzu schwer gefallen sein<lb/>
kann, die Anschauung zu widerlegen, der alte Mann sei aus Hochmut und<lb/>
Gelehrteneitelkeit von dem Glauben abgefallen, den er so lange und so glänzend<lb/>
verteidigt habe; er brauchte deu Thatsachen nicht Gewalt anzuthun, eine ganz<lb/>
objektive Darstellung genügte. Das, was man nach 1870 altkatholisch genannt<lb/>
hat, findet sich schon in Döllingers frühester Zeit. Im Lyceum und Priester¬<lb/>
seminar nämlich hatte er einige tüchtige Männer zu Lehrern gehabt, die die<lb/>
später von Pius IX. zu Dogmen gestempelten Lehren als Meinungen, und</p><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Z&gt;</head><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0580] Döllingers Jugend mit einander verheiratet; sie müßten trotz allem, was vorgekommen sei, bei einander bleiben und sich vertragen. In diesem Punkte stimmten ihm seine Münchner Freunde nicht bei. Die katholischen Engländer gaben sich in jener Zeit der Traktarianerbewegung und der Konversionen phantastischen Hoffnungen hin; sie meinten, es fehle ihnen an nichts, als an tüchtigen Geistlichen, um ganz England katholisch zu machen. Zunächst nnn fehlte es ihnen an Theo¬ logen zur Erziehung des Klerus, und sie baten Döllinger, eine Stelle an ihrer Priestererziehungsanstalt anzunehmen. Zu dieser Thorheit ließ er sich glück¬ licherweise nicht verleiten, und seine englischen Verehrer mußten sich mit Über¬ setzungen seiner Bücher begnügen. Daß Döllinger damals nicht allein neben Görres der bedeutendste katho¬ lische Publizist war, sondern für ganz Deutschland Bedeutung hatte, dürften die mitgeteilten Proben wohl glaubhaft gemacht haben. Aber er hat in jener ersten Zeit auch schon einige größere Arbeiten herausgegeben, unter denen sein Handbuch der Kirchengeschichte die wichtigste ist. Der Firma Manz wurde er bald teuer, weil seine Bücher gut gingen, aber der Verkehr mit ihm war nicht gerade bequem, weil er gleich den ersten Bogen, den er fertig hatte, in die Druckerei zu schicken Pflegte, und diese ihm dann jeden weitern Bogen einzeln abpressen mußte. Übrigens haben die feinern Nasen schon gleich in seinem Erstlingswerke den Ketzer gewittert. Ein Satz darin erregte lauten Widerspruch: „Bei diesem ersten Hervortreten Luthers war offenbar das Recht auf seiner Seite." Tiefer als solche, die bloß an einzelnen Sätzen Anstoß nahmen, das Ganze aber unbedingt lobten, sah der fromme Silbert in Wien, ein mystisch angelegter Mann, der eine Sammlung anmutiger und rührender Legenden herausgegeben hat. Ihm erschienen die kalte Gelehrsamkeit dieses Buches und der scharfe Geist der Kritik, der darin wehte, unfromm. „Edle, ja herrliche Diktion, hin und wieder stupende Gelehrsamkeit, eine seltene Gabe, großartige Gemälde zu entwerfen, weniger Liebe und zu viel Huldigung für den Zeistgeist" fand er darin. Die Geschichte der schönen ältesten Zeit sei zu mager; sie ent¬ halte zu wenig erfreuliche Thatsachen; dagegen sei die Ketzergeschichte ermüdend lang. Nur selten gelange man in dieser dürren Wildnis auf grüne Rasenplätze, wo man einmal den katholischen Priester sprechen höre. Man sieht schon hieraus, daß es dem Verfasser der Biographie, einem Gesinnungsgenossen des spätern Döllinger, nicht allzu schwer gefallen sein kann, die Anschauung zu widerlegen, der alte Mann sei aus Hochmut und Gelehrteneitelkeit von dem Glauben abgefallen, den er so lange und so glänzend verteidigt habe; er brauchte deu Thatsachen nicht Gewalt anzuthun, eine ganz objektive Darstellung genügte. Das, was man nach 1870 altkatholisch genannt hat, findet sich schon in Döllingers frühester Zeit. Im Lyceum und Priester¬ seminar nämlich hatte er einige tüchtige Männer zu Lehrern gehabt, die die später von Pius IX. zu Dogmen gestempelten Lehren als Meinungen, und Z>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/580
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/580>, abgerufen am 30.04.2024.