Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Döllmgers Jugend

das Grundsätzliche, der Zwang sei in beiden Ländern dasselbe, und auch das
Motiv werde wohl in beiden Fällen dasselbe sein. Ein wahrscheinlich von
Döllinger stammender Programmartikel der Eos entwickelt die der Arndt-
Steinschen verwandte echt liberale Staatsidee, die Görres in die katholischen
Kreise hineingetragen hat, und die in den von ihm gegründeten gelben Blättern
bis in die letzten Jahrzehnte hinein vertreten worden ist. Wir lieben die
Freiheit, heißt es da unter anderm, "zwar nicht jene abstrakte und unbestimmte
unsrer Weltreformntoren und der Charlatane des Liberalismus, die nur ein
leerer, wesenloser Allgemeinbegriff ist, und in deren Namen man taschenspielerisch
alle besondern und realen Freiheiten und Rechte zum Vorteile einer Oligarchie
von Beamten, Advokaten, Professoren, Journalisten und Geldleuten konfisziert,
die dann auf der eg.du.1g, rass, des regenerierten Staates nach Willkür experi¬
mentieren und in ihre Tasche administrieren; wie wir denn gesehen haben, daß
die alte Dienstbarkeit einzelner keineswegs aufgehoben, sondern nur im Namen
jener Freiheit und Gleichheit auf alle gleich, zu gleicher Unfreiheit ausgedehnt
worden ist. Wohl aber lieben wir jene Freiheit, die wahrhaft und praktisch
jedem in dem Maße zu teil wird, als er ihrer fähig und bedürftig ist, wie
und wo er sie braucht, und wozu er ein Recht hat; sowie jene Gleichheit, die nicht
allen dasselbe, sondern jedem das Seine gewährt." Eine solche Gleichheit
schließe allerdings die Aristokratie nicht aus. Was den "Aristokratismus" an¬
langt, den man ihnen vorwerfe, so sei es leichter dagegen zu schreien, als
ihn zu vermeiden; nicht bloß in der Monarchie, sondern auch in der demo¬
kratischen Republik herrschten in Wirklichkeit immer nur wenige; der Unterschied
bestehe hauptsächlich darin, daß die Oligarchen der Monarchie ruhiger und
mehr auf Erhaltung bedacht, die der Demokratie unbeständiger, stürmischer und
mehr nach Erwerb gierig seien.

Bei Döllinger wurde die zuletzt dargelegte Ansicht der "Kongregation"
von Staat und Freiheit besonders durch seine Verbindung mit England be¬
festigt und geklärt, die zuerst Wiseman vermittelt hatte. Döllinger bemerkte
schon gleich bei seinem ersten Besuche dieses Landes im Herbst 1836 die Ab¬
wesenheit der Büreaukratie, die ihm so gut gefiel, und die er später so oft
hervorgehoben hat. In Beziehung auf gesetzlichen Sinn, sagte er 1849 in der
Zweiten Kammer, stehe der Deutsche dem Engländer weit nach; "jener hohe
Respekt vor der Autorität des Gesetzes, den man in England gleichsam mit
der Luft einatmet, ist ein Element, das in Deutschland von sehr untergeordneter
Kraft und Bedeutung ist." Das sei eine Frucht der "Vielregiererei, des endlosen
Wachens von Gesetzen und Polizeiverordnungen über alle möglichen Verhältnisse.
Was konnte das anders beim Volke hervorbringen, als eine gewisse Mißachtung
des Gesetzes." Gewiß hoch anzuschlagen ist bei einem eifrigen Katholiken und
Freiheitsfreunde, wie er war, daß er O'Connells Repeal und ebenso später
Gladstones Homerule entschieden mißbilligte; England und Irland seien einmal


Döllmgers Jugend

das Grundsätzliche, der Zwang sei in beiden Ländern dasselbe, und auch das
Motiv werde wohl in beiden Fällen dasselbe sein. Ein wahrscheinlich von
Döllinger stammender Programmartikel der Eos entwickelt die der Arndt-
Steinschen verwandte echt liberale Staatsidee, die Görres in die katholischen
Kreise hineingetragen hat, und die in den von ihm gegründeten gelben Blättern
bis in die letzten Jahrzehnte hinein vertreten worden ist. Wir lieben die
Freiheit, heißt es da unter anderm, „zwar nicht jene abstrakte und unbestimmte
unsrer Weltreformntoren und der Charlatane des Liberalismus, die nur ein
leerer, wesenloser Allgemeinbegriff ist, und in deren Namen man taschenspielerisch
alle besondern und realen Freiheiten und Rechte zum Vorteile einer Oligarchie
von Beamten, Advokaten, Professoren, Journalisten und Geldleuten konfisziert,
die dann auf der eg.du.1g, rass, des regenerierten Staates nach Willkür experi¬
mentieren und in ihre Tasche administrieren; wie wir denn gesehen haben, daß
die alte Dienstbarkeit einzelner keineswegs aufgehoben, sondern nur im Namen
jener Freiheit und Gleichheit auf alle gleich, zu gleicher Unfreiheit ausgedehnt
worden ist. Wohl aber lieben wir jene Freiheit, die wahrhaft und praktisch
jedem in dem Maße zu teil wird, als er ihrer fähig und bedürftig ist, wie
und wo er sie braucht, und wozu er ein Recht hat; sowie jene Gleichheit, die nicht
allen dasselbe, sondern jedem das Seine gewährt." Eine solche Gleichheit
schließe allerdings die Aristokratie nicht aus. Was den „Aristokratismus" an¬
langt, den man ihnen vorwerfe, so sei es leichter dagegen zu schreien, als
ihn zu vermeiden; nicht bloß in der Monarchie, sondern auch in der demo¬
kratischen Republik herrschten in Wirklichkeit immer nur wenige; der Unterschied
bestehe hauptsächlich darin, daß die Oligarchen der Monarchie ruhiger und
mehr auf Erhaltung bedacht, die der Demokratie unbeständiger, stürmischer und
mehr nach Erwerb gierig seien.

Bei Döllinger wurde die zuletzt dargelegte Ansicht der „Kongregation"
von Staat und Freiheit besonders durch seine Verbindung mit England be¬
festigt und geklärt, die zuerst Wiseman vermittelt hatte. Döllinger bemerkte
schon gleich bei seinem ersten Besuche dieses Landes im Herbst 1836 die Ab¬
wesenheit der Büreaukratie, die ihm so gut gefiel, und die er später so oft
hervorgehoben hat. In Beziehung auf gesetzlichen Sinn, sagte er 1849 in der
Zweiten Kammer, stehe der Deutsche dem Engländer weit nach; „jener hohe
Respekt vor der Autorität des Gesetzes, den man in England gleichsam mit
der Luft einatmet, ist ein Element, das in Deutschland von sehr untergeordneter
Kraft und Bedeutung ist." Das sei eine Frucht der „Vielregiererei, des endlosen
Wachens von Gesetzen und Polizeiverordnungen über alle möglichen Verhältnisse.
Was konnte das anders beim Volke hervorbringen, als eine gewisse Mißachtung
des Gesetzes." Gewiß hoch anzuschlagen ist bei einem eifrigen Katholiken und
Freiheitsfreunde, wie er war, daß er O'Connells Repeal und ebenso später
Gladstones Homerule entschieden mißbilligte; England und Irland seien einmal


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0579" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231011"/>
          <fw type="header" place="top"> Döllmgers Jugend</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1949" prev="#ID_1948"> das Grundsätzliche, der Zwang sei in beiden Ländern dasselbe, und auch das<lb/>
Motiv werde wohl in beiden Fällen dasselbe sein. Ein wahrscheinlich von<lb/>
Döllinger stammender Programmartikel der Eos entwickelt die der Arndt-<lb/>
Steinschen verwandte echt liberale Staatsidee, die Görres in die katholischen<lb/>
Kreise hineingetragen hat, und die in den von ihm gegründeten gelben Blättern<lb/>
bis in die letzten Jahrzehnte hinein vertreten worden ist. Wir lieben die<lb/>
Freiheit, heißt es da unter anderm, &#x201E;zwar nicht jene abstrakte und unbestimmte<lb/>
unsrer Weltreformntoren und der Charlatane des Liberalismus, die nur ein<lb/>
leerer, wesenloser Allgemeinbegriff ist, und in deren Namen man taschenspielerisch<lb/>
alle besondern und realen Freiheiten und Rechte zum Vorteile einer Oligarchie<lb/>
von Beamten, Advokaten, Professoren, Journalisten und Geldleuten konfisziert,<lb/>
die dann auf der eg.du.1g, rass, des regenerierten Staates nach Willkür experi¬<lb/>
mentieren und in ihre Tasche administrieren; wie wir denn gesehen haben, daß<lb/>
die alte Dienstbarkeit einzelner keineswegs aufgehoben, sondern nur im Namen<lb/>
jener Freiheit und Gleichheit auf alle gleich, zu gleicher Unfreiheit ausgedehnt<lb/>
worden ist. Wohl aber lieben wir jene Freiheit, die wahrhaft und praktisch<lb/>
jedem in dem Maße zu teil wird, als er ihrer fähig und bedürftig ist, wie<lb/>
und wo er sie braucht, und wozu er ein Recht hat; sowie jene Gleichheit, die nicht<lb/>
allen dasselbe, sondern jedem das Seine gewährt." Eine solche Gleichheit<lb/>
schließe allerdings die Aristokratie nicht aus. Was den &#x201E;Aristokratismus" an¬<lb/>
langt, den man ihnen vorwerfe, so sei es leichter dagegen zu schreien, als<lb/>
ihn zu vermeiden; nicht bloß in der Monarchie, sondern auch in der demo¬<lb/>
kratischen Republik herrschten in Wirklichkeit immer nur wenige; der Unterschied<lb/>
bestehe hauptsächlich darin, daß die Oligarchen der Monarchie ruhiger und<lb/>
mehr auf Erhaltung bedacht, die der Demokratie unbeständiger, stürmischer und<lb/>
mehr nach Erwerb gierig seien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1950" next="#ID_1951"> Bei Döllinger wurde die zuletzt dargelegte Ansicht der &#x201E;Kongregation"<lb/>
von Staat und Freiheit besonders durch seine Verbindung mit England be¬<lb/>
festigt und geklärt, die zuerst Wiseman vermittelt hatte. Döllinger bemerkte<lb/>
schon gleich bei seinem ersten Besuche dieses Landes im Herbst 1836 die Ab¬<lb/>
wesenheit der Büreaukratie, die ihm so gut gefiel, und die er später so oft<lb/>
hervorgehoben hat. In Beziehung auf gesetzlichen Sinn, sagte er 1849 in der<lb/>
Zweiten Kammer, stehe der Deutsche dem Engländer weit nach; &#x201E;jener hohe<lb/>
Respekt vor der Autorität des Gesetzes, den man in England gleichsam mit<lb/>
der Luft einatmet, ist ein Element, das in Deutschland von sehr untergeordneter<lb/>
Kraft und Bedeutung ist." Das sei eine Frucht der &#x201E;Vielregiererei, des endlosen<lb/>
Wachens von Gesetzen und Polizeiverordnungen über alle möglichen Verhältnisse.<lb/>
Was konnte das anders beim Volke hervorbringen, als eine gewisse Mißachtung<lb/>
des Gesetzes." Gewiß hoch anzuschlagen ist bei einem eifrigen Katholiken und<lb/>
Freiheitsfreunde, wie er war, daß er O'Connells Repeal und ebenso später<lb/>
Gladstones Homerule entschieden mißbilligte; England und Irland seien einmal</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0579] Döllmgers Jugend das Grundsätzliche, der Zwang sei in beiden Ländern dasselbe, und auch das Motiv werde wohl in beiden Fällen dasselbe sein. Ein wahrscheinlich von Döllinger stammender Programmartikel der Eos entwickelt die der Arndt- Steinschen verwandte echt liberale Staatsidee, die Görres in die katholischen Kreise hineingetragen hat, und die in den von ihm gegründeten gelben Blättern bis in die letzten Jahrzehnte hinein vertreten worden ist. Wir lieben die Freiheit, heißt es da unter anderm, „zwar nicht jene abstrakte und unbestimmte unsrer Weltreformntoren und der Charlatane des Liberalismus, die nur ein leerer, wesenloser Allgemeinbegriff ist, und in deren Namen man taschenspielerisch alle besondern und realen Freiheiten und Rechte zum Vorteile einer Oligarchie von Beamten, Advokaten, Professoren, Journalisten und Geldleuten konfisziert, die dann auf der eg.du.1g, rass, des regenerierten Staates nach Willkür experi¬ mentieren und in ihre Tasche administrieren; wie wir denn gesehen haben, daß die alte Dienstbarkeit einzelner keineswegs aufgehoben, sondern nur im Namen jener Freiheit und Gleichheit auf alle gleich, zu gleicher Unfreiheit ausgedehnt worden ist. Wohl aber lieben wir jene Freiheit, die wahrhaft und praktisch jedem in dem Maße zu teil wird, als er ihrer fähig und bedürftig ist, wie und wo er sie braucht, und wozu er ein Recht hat; sowie jene Gleichheit, die nicht allen dasselbe, sondern jedem das Seine gewährt." Eine solche Gleichheit schließe allerdings die Aristokratie nicht aus. Was den „Aristokratismus" an¬ langt, den man ihnen vorwerfe, so sei es leichter dagegen zu schreien, als ihn zu vermeiden; nicht bloß in der Monarchie, sondern auch in der demo¬ kratischen Republik herrschten in Wirklichkeit immer nur wenige; der Unterschied bestehe hauptsächlich darin, daß die Oligarchen der Monarchie ruhiger und mehr auf Erhaltung bedacht, die der Demokratie unbeständiger, stürmischer und mehr nach Erwerb gierig seien. Bei Döllinger wurde die zuletzt dargelegte Ansicht der „Kongregation" von Staat und Freiheit besonders durch seine Verbindung mit England be¬ festigt und geklärt, die zuerst Wiseman vermittelt hatte. Döllinger bemerkte schon gleich bei seinem ersten Besuche dieses Landes im Herbst 1836 die Ab¬ wesenheit der Büreaukratie, die ihm so gut gefiel, und die er später so oft hervorgehoben hat. In Beziehung auf gesetzlichen Sinn, sagte er 1849 in der Zweiten Kammer, stehe der Deutsche dem Engländer weit nach; „jener hohe Respekt vor der Autorität des Gesetzes, den man in England gleichsam mit der Luft einatmet, ist ein Element, das in Deutschland von sehr untergeordneter Kraft und Bedeutung ist." Das sei eine Frucht der „Vielregiererei, des endlosen Wachens von Gesetzen und Polizeiverordnungen über alle möglichen Verhältnisse. Was konnte das anders beim Volke hervorbringen, als eine gewisse Mißachtung des Gesetzes." Gewiß hoch anzuschlagen ist bei einem eifrigen Katholiken und Freiheitsfreunde, wie er war, daß er O'Connells Repeal und ebenso später Gladstones Homerule entschieden mißbilligte; England und Irland seien einmal

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/579
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/579>, abgerufen am 21.05.2024.