Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litterarisches Leben am Rhein

zu thun hat. Sodann hängt mit dieser Schätzung von Jugend und Alter bei
den Griechen jedenfalls z. B. die geringe Entwicklung des individuellen Porträts
in ihrer Kunst zusammen. Sie liebten die allgemeine und nicht viel sagende
Schönheit des Jugendalters; daß aber ein Gesicht erst Ausdruck bekommt, wenn
das Leben seine Furchen hineingeschrieben hat, dafür hatten sie keinen Sinn.
In ihrer Kunst stellen nun ja überhaupt die Griechen nicht gern den Verfall
dar, sondern das Gesunde und Kraftvolle, sie halten die Jugend fest, so
lange es nur immer geht, und hinter diesem Verjnügen oder Verschönern
oder Idealisieren, wie es ihnen Bedürfnis war, verschwindet dann leicht für
unsre Augen, die mehr Wirklichkeit verlangen, das Individuelle. Sie wollten
es so, das gehört zu dem oben erwähnten Optimismus der künstlerischen
Kräfte, der sich nicht ohne ein Gefühl der Freude bethätigt haben wird. Eine
kleine Gegenrechnung an Lebensfreuden, die von Burckhardt übergangen sind,
bliebe dann immer noch nachzutragen. Aber dafür ist hier nicht der Ort. Es
mag genügen, noch einmal hervorzuheben, daß der griechische Pessimismus seine
Menschen im Handeln nicht gelähmt hat, er war nicht grüblerisch und krank¬
haft, und außerhalb der Litteratur und mancher mündlichen Rede, im wirk¬
lichen Leben also wird man vielleicht doch nicht so viel von ihm gemerkt haben.

Das schöne Buch, von dem durch diese Bemerkungen unsern Lesern ein
Begriff gegeben werden sollte, wird anregend wirken vor allem durch seine
Darstellung, durch die im besten Sinne persönliche Ausdrucksweise, dann aber
auch durch seine Auffassung der Thatsachen, wiewohl sich dieser gegenüber, wo
sie neu ist, fast immer auch andre Eindrücke und Ansichten werden geltend
machen lassen. Jakob Burckhardt steht als Forscher und Schriftsteller nach
meinem Gefühl einzig da. Sein Andenken könnte durch die einseitig übertreibende
Schätzung eines einzelnen Werkes nicht gewinnen.




Litterarisches Leben am Rhein
in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
Joseph Joesten von in

it dem Wiedererwachen des deutschen Nationalgefühls im Anfang
unsers Jahrhunderts wurden auch der Dichtkunst neue Ziele
gesteckt. Die Freiheitskriege gaben den Anstoß, ihr mehr als
bisher nationale Stoffe zuzuführen, und das Volk, das in der
Befreiung von dem fremden Joche seine Kraft erkannt hatte,
wurde zum Gegenstande dichterischer Darstellung. Bald aber
wurde es auch in den schroffe" Gegensatz zur herrschenden Klasse gestellt; die


Litterarisches Leben am Rhein

zu thun hat. Sodann hängt mit dieser Schätzung von Jugend und Alter bei
den Griechen jedenfalls z. B. die geringe Entwicklung des individuellen Porträts
in ihrer Kunst zusammen. Sie liebten die allgemeine und nicht viel sagende
Schönheit des Jugendalters; daß aber ein Gesicht erst Ausdruck bekommt, wenn
das Leben seine Furchen hineingeschrieben hat, dafür hatten sie keinen Sinn.
In ihrer Kunst stellen nun ja überhaupt die Griechen nicht gern den Verfall
dar, sondern das Gesunde und Kraftvolle, sie halten die Jugend fest, so
lange es nur immer geht, und hinter diesem Verjnügen oder Verschönern
oder Idealisieren, wie es ihnen Bedürfnis war, verschwindet dann leicht für
unsre Augen, die mehr Wirklichkeit verlangen, das Individuelle. Sie wollten
es so, das gehört zu dem oben erwähnten Optimismus der künstlerischen
Kräfte, der sich nicht ohne ein Gefühl der Freude bethätigt haben wird. Eine
kleine Gegenrechnung an Lebensfreuden, die von Burckhardt übergangen sind,
bliebe dann immer noch nachzutragen. Aber dafür ist hier nicht der Ort. Es
mag genügen, noch einmal hervorzuheben, daß der griechische Pessimismus seine
Menschen im Handeln nicht gelähmt hat, er war nicht grüblerisch und krank¬
haft, und außerhalb der Litteratur und mancher mündlichen Rede, im wirk¬
lichen Leben also wird man vielleicht doch nicht so viel von ihm gemerkt haben.

Das schöne Buch, von dem durch diese Bemerkungen unsern Lesern ein
Begriff gegeben werden sollte, wird anregend wirken vor allem durch seine
Darstellung, durch die im besten Sinne persönliche Ausdrucksweise, dann aber
auch durch seine Auffassung der Thatsachen, wiewohl sich dieser gegenüber, wo
sie neu ist, fast immer auch andre Eindrücke und Ansichten werden geltend
machen lassen. Jakob Burckhardt steht als Forscher und Schriftsteller nach
meinem Gefühl einzig da. Sein Andenken könnte durch die einseitig übertreibende
Schätzung eines einzelnen Werkes nicht gewinnen.




Litterarisches Leben am Rhein
in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
Joseph Joesten von in

it dem Wiedererwachen des deutschen Nationalgefühls im Anfang
unsers Jahrhunderts wurden auch der Dichtkunst neue Ziele
gesteckt. Die Freiheitskriege gaben den Anstoß, ihr mehr als
bisher nationale Stoffe zuzuführen, und das Volk, das in der
Befreiung von dem fremden Joche seine Kraft erkannt hatte,
wurde zum Gegenstande dichterischer Darstellung. Bald aber
wurde es auch in den schroffe» Gegensatz zur herrschenden Klasse gestellt; die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230525"/>
            <fw type="header" place="top"> Litterarisches Leben am Rhein</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_287" prev="#ID_286"> zu thun hat. Sodann hängt mit dieser Schätzung von Jugend und Alter bei<lb/>
den Griechen jedenfalls z. B. die geringe Entwicklung des individuellen Porträts<lb/>
in ihrer Kunst zusammen. Sie liebten die allgemeine und nicht viel sagende<lb/>
Schönheit des Jugendalters; daß aber ein Gesicht erst Ausdruck bekommt, wenn<lb/>
das Leben seine Furchen hineingeschrieben hat, dafür hatten sie keinen Sinn.<lb/>
In ihrer Kunst stellen nun ja überhaupt die Griechen nicht gern den Verfall<lb/>
dar, sondern das Gesunde und Kraftvolle, sie halten die Jugend fest, so<lb/>
lange es nur immer geht, und hinter diesem Verjnügen oder Verschönern<lb/>
oder Idealisieren, wie es ihnen Bedürfnis war, verschwindet dann leicht für<lb/>
unsre Augen, die mehr Wirklichkeit verlangen, das Individuelle. Sie wollten<lb/>
es so, das gehört zu dem oben erwähnten Optimismus der künstlerischen<lb/>
Kräfte, der sich nicht ohne ein Gefühl der Freude bethätigt haben wird. Eine<lb/>
kleine Gegenrechnung an Lebensfreuden, die von Burckhardt übergangen sind,<lb/>
bliebe dann immer noch nachzutragen. Aber dafür ist hier nicht der Ort. Es<lb/>
mag genügen, noch einmal hervorzuheben, daß der griechische Pessimismus seine<lb/>
Menschen im Handeln nicht gelähmt hat, er war nicht grüblerisch und krank¬<lb/>
haft, und außerhalb der Litteratur und mancher mündlichen Rede, im wirk¬<lb/>
lichen Leben also wird man vielleicht doch nicht so viel von ihm gemerkt haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_288"> Das schöne Buch, von dem durch diese Bemerkungen unsern Lesern ein<lb/>
Begriff gegeben werden sollte, wird anregend wirken vor allem durch seine<lb/>
Darstellung, durch die im besten Sinne persönliche Ausdrucksweise, dann aber<lb/>
auch durch seine Auffassung der Thatsachen, wiewohl sich dieser gegenüber, wo<lb/>
sie neu ist, fast immer auch andre Eindrücke und Ansichten werden geltend<lb/>
machen lassen. Jakob Burckhardt steht als Forscher und Schriftsteller nach<lb/>
meinem Gefühl einzig da. Sein Andenken könnte durch die einseitig übertreibende<lb/>
Schätzung eines einzelnen Werkes nicht gewinnen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Litterarisches Leben am Rhein<lb/>
in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts<lb/><note type="byline"> Joseph Joesten</note> von in</head><lb/>
          <p xml:id="ID_289" next="#ID_290"> it dem Wiedererwachen des deutschen Nationalgefühls im Anfang<lb/>
unsers Jahrhunderts wurden auch der Dichtkunst neue Ziele<lb/>
gesteckt. Die Freiheitskriege gaben den Anstoß, ihr mehr als<lb/>
bisher nationale Stoffe zuzuführen, und das Volk, das in der<lb/>
Befreiung von dem fremden Joche seine Kraft erkannt hatte,<lb/>
wurde zum Gegenstande dichterischer Darstellung. Bald aber<lb/>
wurde es auch in den schroffe» Gegensatz zur herrschenden Klasse gestellt; die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] Litterarisches Leben am Rhein zu thun hat. Sodann hängt mit dieser Schätzung von Jugend und Alter bei den Griechen jedenfalls z. B. die geringe Entwicklung des individuellen Porträts in ihrer Kunst zusammen. Sie liebten die allgemeine und nicht viel sagende Schönheit des Jugendalters; daß aber ein Gesicht erst Ausdruck bekommt, wenn das Leben seine Furchen hineingeschrieben hat, dafür hatten sie keinen Sinn. In ihrer Kunst stellen nun ja überhaupt die Griechen nicht gern den Verfall dar, sondern das Gesunde und Kraftvolle, sie halten die Jugend fest, so lange es nur immer geht, und hinter diesem Verjnügen oder Verschönern oder Idealisieren, wie es ihnen Bedürfnis war, verschwindet dann leicht für unsre Augen, die mehr Wirklichkeit verlangen, das Individuelle. Sie wollten es so, das gehört zu dem oben erwähnten Optimismus der künstlerischen Kräfte, der sich nicht ohne ein Gefühl der Freude bethätigt haben wird. Eine kleine Gegenrechnung an Lebensfreuden, die von Burckhardt übergangen sind, bliebe dann immer noch nachzutragen. Aber dafür ist hier nicht der Ort. Es mag genügen, noch einmal hervorzuheben, daß der griechische Pessimismus seine Menschen im Handeln nicht gelähmt hat, er war nicht grüblerisch und krank¬ haft, und außerhalb der Litteratur und mancher mündlichen Rede, im wirk¬ lichen Leben also wird man vielleicht doch nicht so viel von ihm gemerkt haben. Das schöne Buch, von dem durch diese Bemerkungen unsern Lesern ein Begriff gegeben werden sollte, wird anregend wirken vor allem durch seine Darstellung, durch die im besten Sinne persönliche Ausdrucksweise, dann aber auch durch seine Auffassung der Thatsachen, wiewohl sich dieser gegenüber, wo sie neu ist, fast immer auch andre Eindrücke und Ansichten werden geltend machen lassen. Jakob Burckhardt steht als Forscher und Schriftsteller nach meinem Gefühl einzig da. Sein Andenken könnte durch die einseitig übertreibende Schätzung eines einzelnen Werkes nicht gewinnen. Litterarisches Leben am Rhein in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Joseph Joesten von in it dem Wiedererwachen des deutschen Nationalgefühls im Anfang unsers Jahrhunderts wurden auch der Dichtkunst neue Ziele gesteckt. Die Freiheitskriege gaben den Anstoß, ihr mehr als bisher nationale Stoffe zuzuführen, und das Volk, das in der Befreiung von dem fremden Joche seine Kraft erkannt hatte, wurde zum Gegenstande dichterischer Darstellung. Bald aber wurde es auch in den schroffe» Gegensatz zur herrschenden Klasse gestellt; die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/93>, abgerufen am 30.04.2024.