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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

Aber der Pessimismus gehört in der Litteratur auch etwas mit zur
Gattung. Das Epos kann davon lange nicht soviel gebrauchen wie die Tra¬
gödie. Tritt er aber in der Elegie, durch kein Kmistgesetz gerufen, auffallend
hervor wie etwa bei Theognis, so ist er die Folge persönlicher Erfahrungen.
Vielleicht darf man sagen, daß sich das litterarische Stilgefühl der Griechen
mehr in dem Ernster, Hohen und Düstern gefallen hat, als in dem Leichter
und Heitern, und wenn man auszählen wollte, so würde man in Vers und
Prosa sehr viel mehr von jener Art erhalten finden als von dieser. Immer
wäre aber dann über die Meinung der Unzähligen, die sich nicht mehr zum
Worte melden können, noch gar nichts gesagt, und wenn z. B. die Arbeit, die
uns heute eine der wichtigsten Quellen des Glücks ist, von den Griechen als
Plage empfunden wurde, derart, daß sie Erfindungen, über deren Priorität
moderne Völker mit einander streiten würden, gern, weil sie mit Mühe ver¬
bunden waren und etwas banausisches in sich hatten, den Barbaren zuschrieben:
so müßte sich eigentlich der griechische Philister, sobald er sich einige Sklaven
halten konnte, recht wohl und Vergleichungsweise glücklich befunden haben. Ich
meine also, daß der Pessimismus bei den Griechen etwas mit zum "Ritual"
gehört, und wenn das so ist, so läßt sich nicht mehr ermessen, wie stark die
einzelne Seele von ihrem Pathos ergriffen worden ist. Ein "Wille zum
Düstern" muß allerdings vorhanden gewesen sein in einem Volke, das aus der
klagenden Nachtigall und einigen andern Vögeln einen greulichen Mythus zu¬
sammenbildet mit furchtbaren menschlichen Verflechtungen, und derselbe Wille
giebt sich dann weiter wachsend kund bei den drei Tragikern in der "erfindungs¬
reichen Vergrimmigung der Heroenmythen." Die einzelnen Heroen selbst sind
Vorbilder des Leidens und Vorstufen, Vorbereitungen auf den historischen
Pessimismus: der duldende Odysseus, der früh sterbende Achill oder Prome¬
theus, der zum Lohn für seine Wohlthaten furchtbar gequälte, und wenn die
Götter sich einen guten Tag machen wollen, so lassen sie sich wohl zur Zither
singen ein Lied von den zwecklos sich plagenden Erdenkindern. Weiterhin ist
es ein beständiger, von einzelnen Stimmungen unabhängiger Zug im Wesen
der Griechen, daß sie das Leben nur als Jugend schätzen und verherrlichen,
das Alter aber in allen Tonarten beklagen. Ein Cicero as ssnövww wäre
bei ihnen undenkbar. Inwiefern das zum "Verschätzen" des Lebens und zu
einem Herbeiwünschen des Todes führen müsse, findet der Leser bei Vurckhardt
ergreifend entwickelt. Ihn selbst.hat dieser Wille zum Düstern offenbar mächtig
angezogen, und es klingt fast bitter, wenn er auf den "vermeintlichen perma¬
nenten Jubel des perikleischen Zeitalters" zu sprechen kommt oder bei Gelegen¬
heit einer Stelle des Theognis das "sonst ganz ungriechische Lob der Hoff¬
nung" erwähnt. Es wäre hierbei vielleicht zu fragen, ob nicht bei der Furcht
vor dem Alter die Lust der Jugend um so größer sein könne, oder man könnte
auch an das sozusagen natürliche Gefallen erinnern, das junge Leute zu
tragischen Gegenständen hinzieht, und das doch mit dem Pessimismus nichts


Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

Aber der Pessimismus gehört in der Litteratur auch etwas mit zur
Gattung. Das Epos kann davon lange nicht soviel gebrauchen wie die Tra¬
gödie. Tritt er aber in der Elegie, durch kein Kmistgesetz gerufen, auffallend
hervor wie etwa bei Theognis, so ist er die Folge persönlicher Erfahrungen.
Vielleicht darf man sagen, daß sich das litterarische Stilgefühl der Griechen
mehr in dem Ernster, Hohen und Düstern gefallen hat, als in dem Leichter
und Heitern, und wenn man auszählen wollte, so würde man in Vers und
Prosa sehr viel mehr von jener Art erhalten finden als von dieser. Immer
wäre aber dann über die Meinung der Unzähligen, die sich nicht mehr zum
Worte melden können, noch gar nichts gesagt, und wenn z. B. die Arbeit, die
uns heute eine der wichtigsten Quellen des Glücks ist, von den Griechen als
Plage empfunden wurde, derart, daß sie Erfindungen, über deren Priorität
moderne Völker mit einander streiten würden, gern, weil sie mit Mühe ver¬
bunden waren und etwas banausisches in sich hatten, den Barbaren zuschrieben:
so müßte sich eigentlich der griechische Philister, sobald er sich einige Sklaven
halten konnte, recht wohl und Vergleichungsweise glücklich befunden haben. Ich
meine also, daß der Pessimismus bei den Griechen etwas mit zum „Ritual"
gehört, und wenn das so ist, so läßt sich nicht mehr ermessen, wie stark die
einzelne Seele von ihrem Pathos ergriffen worden ist. Ein „Wille zum
Düstern" muß allerdings vorhanden gewesen sein in einem Volke, das aus der
klagenden Nachtigall und einigen andern Vögeln einen greulichen Mythus zu¬
sammenbildet mit furchtbaren menschlichen Verflechtungen, und derselbe Wille
giebt sich dann weiter wachsend kund bei den drei Tragikern in der „erfindungs¬
reichen Vergrimmigung der Heroenmythen." Die einzelnen Heroen selbst sind
Vorbilder des Leidens und Vorstufen, Vorbereitungen auf den historischen
Pessimismus: der duldende Odysseus, der früh sterbende Achill oder Prome¬
theus, der zum Lohn für seine Wohlthaten furchtbar gequälte, und wenn die
Götter sich einen guten Tag machen wollen, so lassen sie sich wohl zur Zither
singen ein Lied von den zwecklos sich plagenden Erdenkindern. Weiterhin ist
es ein beständiger, von einzelnen Stimmungen unabhängiger Zug im Wesen
der Griechen, daß sie das Leben nur als Jugend schätzen und verherrlichen,
das Alter aber in allen Tonarten beklagen. Ein Cicero as ssnövww wäre
bei ihnen undenkbar. Inwiefern das zum „Verschätzen" des Lebens und zu
einem Herbeiwünschen des Todes führen müsse, findet der Leser bei Vurckhardt
ergreifend entwickelt. Ihn selbst.hat dieser Wille zum Düstern offenbar mächtig
angezogen, und es klingt fast bitter, wenn er auf den „vermeintlichen perma¬
nenten Jubel des perikleischen Zeitalters" zu sprechen kommt oder bei Gelegen¬
heit einer Stelle des Theognis das „sonst ganz ungriechische Lob der Hoff¬
nung" erwähnt. Es wäre hierbei vielleicht zu fragen, ob nicht bei der Furcht
vor dem Alter die Lust der Jugend um so größer sein könne, oder man könnte
auch an das sozusagen natürliche Gefallen erinnern, das junge Leute zu
tragischen Gegenständen hinzieht, und das doch mit dem Pessimismus nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/92>, abgerufen am 21.05.2024.