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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

im nationalen Interesse, besteht natürlich nicht nnr in der Masse der Muskel¬
kräfte und technischen Kampfmittel, die der Stärkere gegen den Schwächern
ins Gefecht führt. Die Macht, die vor Recht geht, beruht uoch mehr auf
barbarischer Klugheit, Nücksichts- und Skrupellosigkeit. Lug und Trug und
Gaunerei.

Die Leidenschaft, mit der die "Affaire" auch in Deutschland behandelt
worden ist, ist ein Zeichen für die Verkümmerung des Rcchtssiuns unter den
Gebildeten. Die Parteinahme für die Generale gegen den Juden hat auch
unsre Nationalisten zu Rechtsverüchtern gestempelt, denen alles zuzutrauen ist
im vermeintlichen und vorgeschobnen Rassen- und Klasseninteresse. Deutsch ist
das nicht und christlich ebenso wenig, mögen sich die Gewaltmenschen noch so
laut ihres Deutschtums rühmen und Christum im Munde führen.




Kritische Studien
zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
Veto Raemmel von
I. Schleswig-Holstein
(Schlus?)

"zwischen bereitete sich, seitdem Bismarck die Möglichkeit der
Annexion in Wien zur Sprache hatte bringen lassen, eine ent¬
scheidende Wendung in der österreichischen Politik vor, die den
Krieg von 1866 eingeleitet hat. Denn dort kam jetzt allmäh¬
lich im Gegensatze zu Rechberg die von den Großdeutschen der
Schmerlingschen Richtung geleitete Politik wieder zur Geltung, die Österreichs
Herrschaft über Deutschland wollte und jede Erweiterung der preußischen
Macht grundsätzlich bekämpfte. Zur Sprache kam die ganze Frage in einer
Konferenz der beiden Herrscher und ihrer auswärtigen Minister Bismarck und
Nechberg im Schlosse von Schönbrunn am 22. August 1864.^) Bismarck
versuchte dort deutlich zu machen, daß ein festes Bündnis Preußens und Öster¬
reichs für dieses mit der Überlassung Schleswig-Holsteins an Preußen nicht



') Über diese berichtet VK'Marck i" den Gedanken und Erinnerungen I, 844 ff.; in allem
wesentlichen übereinstimmend, in Einzelheiten abweichend lautet die Erzählung, die er am
13. Juni 1890 dem Österreicher H, Friedjung gab, s. dessen Werk! Kampf um die Borherrschaft
in Deutschland II, 519 f., vgl, I, 98 f.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

im nationalen Interesse, besteht natürlich nicht nnr in der Masse der Muskel¬
kräfte und technischen Kampfmittel, die der Stärkere gegen den Schwächern
ins Gefecht führt. Die Macht, die vor Recht geht, beruht uoch mehr auf
barbarischer Klugheit, Nücksichts- und Skrupellosigkeit. Lug und Trug und
Gaunerei.

Die Leidenschaft, mit der die „Affaire" auch in Deutschland behandelt
worden ist, ist ein Zeichen für die Verkümmerung des Rcchtssiuns unter den
Gebildeten. Die Parteinahme für die Generale gegen den Juden hat auch
unsre Nationalisten zu Rechtsverüchtern gestempelt, denen alles zuzutrauen ist
im vermeintlichen und vorgeschobnen Rassen- und Klasseninteresse. Deutsch ist
das nicht und christlich ebenso wenig, mögen sich die Gewaltmenschen noch so
laut ihres Deutschtums rühmen und Christum im Munde führen.




Kritische Studien
zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
Veto Raemmel von
I. Schleswig-Holstein
(Schlus?)

»zwischen bereitete sich, seitdem Bismarck die Möglichkeit der
Annexion in Wien zur Sprache hatte bringen lassen, eine ent¬
scheidende Wendung in der österreichischen Politik vor, die den
Krieg von 1866 eingeleitet hat. Denn dort kam jetzt allmäh¬
lich im Gegensatze zu Rechberg die von den Großdeutschen der
Schmerlingschen Richtung geleitete Politik wieder zur Geltung, die Österreichs
Herrschaft über Deutschland wollte und jede Erweiterung der preußischen
Macht grundsätzlich bekämpfte. Zur Sprache kam die ganze Frage in einer
Konferenz der beiden Herrscher und ihrer auswärtigen Minister Bismarck und
Nechberg im Schlosse von Schönbrunn am 22. August 1864.^) Bismarck
versuchte dort deutlich zu machen, daß ein festes Bündnis Preußens und Öster¬
reichs für dieses mit der Überlassung Schleswig-Holsteins an Preußen nicht



') Über diese berichtet VK'Marck i» den Gedanken und Erinnerungen I, 844 ff.; in allem
wesentlichen übereinstimmend, in Einzelheiten abweichend lautet die Erzählung, die er am
13. Juni 1890 dem Österreicher H, Friedjung gab, s. dessen Werk! Kampf um die Borherrschaft
in Deutschland II, 519 f., vgl, I, 98 f.
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[0145] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen im nationalen Interesse, besteht natürlich nicht nnr in der Masse der Muskel¬ kräfte und technischen Kampfmittel, die der Stärkere gegen den Schwächern ins Gefecht führt. Die Macht, die vor Recht geht, beruht uoch mehr auf barbarischer Klugheit, Nücksichts- und Skrupellosigkeit. Lug und Trug und Gaunerei. Die Leidenschaft, mit der die „Affaire" auch in Deutschland behandelt worden ist, ist ein Zeichen für die Verkümmerung des Rcchtssiuns unter den Gebildeten. Die Parteinahme für die Generale gegen den Juden hat auch unsre Nationalisten zu Rechtsverüchtern gestempelt, denen alles zuzutrauen ist im vermeintlichen und vorgeschobnen Rassen- und Klasseninteresse. Deutsch ist das nicht und christlich ebenso wenig, mögen sich die Gewaltmenschen noch so laut ihres Deutschtums rühmen und Christum im Munde führen. Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Veto Raemmel von I. Schleswig-Holstein (Schlus?) »zwischen bereitete sich, seitdem Bismarck die Möglichkeit der Annexion in Wien zur Sprache hatte bringen lassen, eine ent¬ scheidende Wendung in der österreichischen Politik vor, die den Krieg von 1866 eingeleitet hat. Denn dort kam jetzt allmäh¬ lich im Gegensatze zu Rechberg die von den Großdeutschen der Schmerlingschen Richtung geleitete Politik wieder zur Geltung, die Österreichs Herrschaft über Deutschland wollte und jede Erweiterung der preußischen Macht grundsätzlich bekämpfte. Zur Sprache kam die ganze Frage in einer Konferenz der beiden Herrscher und ihrer auswärtigen Minister Bismarck und Nechberg im Schlosse von Schönbrunn am 22. August 1864.^) Bismarck versuchte dort deutlich zu machen, daß ein festes Bündnis Preußens und Öster¬ reichs für dieses mit der Überlassung Schleswig-Holsteins an Preußen nicht ') Über diese berichtet VK'Marck i» den Gedanken und Erinnerungen I, 844 ff.; in allem wesentlichen übereinstimmend, in Einzelheiten abweichend lautet die Erzählung, die er am 13. Juni 1890 dem Österreicher H, Friedjung gab, s. dessen Werk! Kampf um die Borherrschaft in Deutschland II, 519 f., vgl, I, 98 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/145>, abgerufen am 07.05.2024.