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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

zu teuer erkauft sei. Die Herzogtümer lägen ganz außerhalb der österreichischen
Interessensphäre, ganz innerhalb der preußischen. Eine territoriale Entschädigung
könne Preußen allerdings unmittelbar nicht gewähren, nicht einmal Glatz, wo
die Einwohner schon gegen eine solche Abtretung protestierten; aber es könnte
bei einer Fortsetzung der gemeinschaftlichen Politik künftig einmal italienisches
Gebiet zur Verfügung stehn. Er dachte dabei an eine preußische Bürgschaft
für Venezien, die, wenn es zu einem neuen Kriege mit Frankreich und
Italien kam, zu einer solchen Wendung führen konnte. Diese Ausführungen
blieben nicht ohne Eindruck auf den Kaiser Franz Joseph; er stellte geradezu
die Frage, ob Preußen die Erwerbung der Herzogtümer wünsche, oder ob es
sich mit gewissen Rechten dort zufrieden geben wolle. Der Minister verwies
den Kaiser für die Beantwortung dieser Frage an den König, der schweigend
zugehört hatte; Wilhelm I. aber sagte "zögernd und in einer gewissen Ver¬
legenheit," "er habe ja gar kein Recht auf die Herzogtümer und könne deshalb
keinen Anspruch darauf machen." Damit war Bismarck "außer Gefecht gesetzt"
und mußte die Sache vorläufig fallen lassen. Es gelang ihm nur mit Graf
Rechberg eine Art von Vereinbarung über ein gemeinsames Zusammeustehn
gegen Frankreich festzusetzen, die von beiden Herrschern genehmigt wurde, aber
die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden ließ. Bismarck bezeichnet diese
Verhandlungen als den "Kulminations- und Wendepunkt" für den Versuch
zum Dualismus. Seitdem begannen sich die Wege der beiden Mächte zu
trennen. ^)

Man sieht: die Sache Friedrichs von Augustenburg stand an sich auch
in Preußen keineswegs ungünstig. Der König selbst lehnte noch im August
1864 die Erwerbung der Herzogtümer ab, die Königin, das Kronprinzenpaar,
die parlamentarische Opposition waren eifrig für ihn, der Kronprinz stand sogar
in eifriger Korrespondenz mit ihm.^) Aber allerdings: seine Bedingungen stellte
auch dieser für die Einsetzung des Herzogs, und er faßte sie schon am
26. Februar 1864 zusammen: Rendsburg Bnndesfestung, Kiel preußischer
Kriegshafen, Militär- und Marinekonvention mit Preußen, Bau des Nordost¬
seekanals unter preußischer Leitung, Eintritt in den Zollverein. Mit seinen
Annexionsabsichten stand Bismarck ziemlich isoliert, und er würde sich auch
mit Geringeren zufrieden gegeben haben. Wie kam es also, daß Friedrich (VIII.)
schließlich seine Partie so völlig verlor?

Darüber giebt nun Bismarck im vierten Abschnitt des Kapitels nur sehr
wenig, und dieses wenige steht nur in ganz losem Zusammenhange mit dem
Thema. Nur die Weisen, so beginnt er, setzen noch den Federkrieg gegen das
neue Deutschland fort, und doch mußte" sie sich sagen, daß die Territorial-




Zu dem letzten Punkte s, die Angaben Rechbergs bei Fricdjung II, 259; vgl. I, 94.
2) Bernhard! VI, 108. 113.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

zu teuer erkauft sei. Die Herzogtümer lägen ganz außerhalb der österreichischen
Interessensphäre, ganz innerhalb der preußischen. Eine territoriale Entschädigung
könne Preußen allerdings unmittelbar nicht gewähren, nicht einmal Glatz, wo
die Einwohner schon gegen eine solche Abtretung protestierten; aber es könnte
bei einer Fortsetzung der gemeinschaftlichen Politik künftig einmal italienisches
Gebiet zur Verfügung stehn. Er dachte dabei an eine preußische Bürgschaft
für Venezien, die, wenn es zu einem neuen Kriege mit Frankreich und
Italien kam, zu einer solchen Wendung führen konnte. Diese Ausführungen
blieben nicht ohne Eindruck auf den Kaiser Franz Joseph; er stellte geradezu
die Frage, ob Preußen die Erwerbung der Herzogtümer wünsche, oder ob es
sich mit gewissen Rechten dort zufrieden geben wolle. Der Minister verwies
den Kaiser für die Beantwortung dieser Frage an den König, der schweigend
zugehört hatte; Wilhelm I. aber sagte „zögernd und in einer gewissen Ver¬
legenheit," „er habe ja gar kein Recht auf die Herzogtümer und könne deshalb
keinen Anspruch darauf machen." Damit war Bismarck „außer Gefecht gesetzt"
und mußte die Sache vorläufig fallen lassen. Es gelang ihm nur mit Graf
Rechberg eine Art von Vereinbarung über ein gemeinsames Zusammeustehn
gegen Frankreich festzusetzen, die von beiden Herrschern genehmigt wurde, aber
die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden ließ. Bismarck bezeichnet diese
Verhandlungen als den „Kulminations- und Wendepunkt" für den Versuch
zum Dualismus. Seitdem begannen sich die Wege der beiden Mächte zu
trennen. ^)

Man sieht: die Sache Friedrichs von Augustenburg stand an sich auch
in Preußen keineswegs ungünstig. Der König selbst lehnte noch im August
1864 die Erwerbung der Herzogtümer ab, die Königin, das Kronprinzenpaar,
die parlamentarische Opposition waren eifrig für ihn, der Kronprinz stand sogar
in eifriger Korrespondenz mit ihm.^) Aber allerdings: seine Bedingungen stellte
auch dieser für die Einsetzung des Herzogs, und er faßte sie schon am
26. Februar 1864 zusammen: Rendsburg Bnndesfestung, Kiel preußischer
Kriegshafen, Militär- und Marinekonvention mit Preußen, Bau des Nordost¬
seekanals unter preußischer Leitung, Eintritt in den Zollverein. Mit seinen
Annexionsabsichten stand Bismarck ziemlich isoliert, und er würde sich auch
mit Geringeren zufrieden gegeben haben. Wie kam es also, daß Friedrich (VIII.)
schließlich seine Partie so völlig verlor?

Darüber giebt nun Bismarck im vierten Abschnitt des Kapitels nur sehr
wenig, und dieses wenige steht nur in ganz losem Zusammenhange mit dem
Thema. Nur die Weisen, so beginnt er, setzen noch den Federkrieg gegen das
neue Deutschland fort, und doch mußte» sie sich sagen, daß die Territorial-




Zu dem letzten Punkte s, die Angaben Rechbergs bei Fricdjung II, 259; vgl. I, 94.
2) Bernhard! VI, 108. 113.
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[0146] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen zu teuer erkauft sei. Die Herzogtümer lägen ganz außerhalb der österreichischen Interessensphäre, ganz innerhalb der preußischen. Eine territoriale Entschädigung könne Preußen allerdings unmittelbar nicht gewähren, nicht einmal Glatz, wo die Einwohner schon gegen eine solche Abtretung protestierten; aber es könnte bei einer Fortsetzung der gemeinschaftlichen Politik künftig einmal italienisches Gebiet zur Verfügung stehn. Er dachte dabei an eine preußische Bürgschaft für Venezien, die, wenn es zu einem neuen Kriege mit Frankreich und Italien kam, zu einer solchen Wendung führen konnte. Diese Ausführungen blieben nicht ohne Eindruck auf den Kaiser Franz Joseph; er stellte geradezu die Frage, ob Preußen die Erwerbung der Herzogtümer wünsche, oder ob es sich mit gewissen Rechten dort zufrieden geben wolle. Der Minister verwies den Kaiser für die Beantwortung dieser Frage an den König, der schweigend zugehört hatte; Wilhelm I. aber sagte „zögernd und in einer gewissen Ver¬ legenheit," „er habe ja gar kein Recht auf die Herzogtümer und könne deshalb keinen Anspruch darauf machen." Damit war Bismarck „außer Gefecht gesetzt" und mußte die Sache vorläufig fallen lassen. Es gelang ihm nur mit Graf Rechberg eine Art von Vereinbarung über ein gemeinsames Zusammeustehn gegen Frankreich festzusetzen, die von beiden Herrschern genehmigt wurde, aber die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden ließ. Bismarck bezeichnet diese Verhandlungen als den „Kulminations- und Wendepunkt" für den Versuch zum Dualismus. Seitdem begannen sich die Wege der beiden Mächte zu trennen. ^) Man sieht: die Sache Friedrichs von Augustenburg stand an sich auch in Preußen keineswegs ungünstig. Der König selbst lehnte noch im August 1864 die Erwerbung der Herzogtümer ab, die Königin, das Kronprinzenpaar, die parlamentarische Opposition waren eifrig für ihn, der Kronprinz stand sogar in eifriger Korrespondenz mit ihm.^) Aber allerdings: seine Bedingungen stellte auch dieser für die Einsetzung des Herzogs, und er faßte sie schon am 26. Februar 1864 zusammen: Rendsburg Bnndesfestung, Kiel preußischer Kriegshafen, Militär- und Marinekonvention mit Preußen, Bau des Nordost¬ seekanals unter preußischer Leitung, Eintritt in den Zollverein. Mit seinen Annexionsabsichten stand Bismarck ziemlich isoliert, und er würde sich auch mit Geringeren zufrieden gegeben haben. Wie kam es also, daß Friedrich (VIII.) schließlich seine Partie so völlig verlor? Darüber giebt nun Bismarck im vierten Abschnitt des Kapitels nur sehr wenig, und dieses wenige steht nur in ganz losem Zusammenhange mit dem Thema. Nur die Weisen, so beginnt er, setzen noch den Federkrieg gegen das neue Deutschland fort, und doch mußte» sie sich sagen, daß die Territorial- Zu dem letzten Punkte s, die Angaben Rechbergs bei Fricdjung II, 259; vgl. I, 94. 2) Bernhard! VI, 108. 113.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/146>, abgerufen am 19.05.2024.