Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Diese Probe zeigt, daß die Selbstbiographie Dittersdorfs nicht bloß nach
der musikalischen Seite ausgiebig ist. Leider klingt sie sehr trüb und bitter
aus. Als der Fürstbischof Graf Schaffgotsch gestorben war, weigerte sich der
Nachfolger, die an Diedersdorf gemachten Zusicherungen zu übernehmen. Er
wurde mit dreihundert und etlichen Gulden, dem Zehntel seines bisherigen
Gehalts "jubiliert," verfiel in Ärger, Krankheit und Armut. Ein alter Freund,
Ignaz Freiherr von Stillfried, nahm ihn zu sich, bei ihm auf Rothlhotta (bei
Neuhaus) hat er seine letzten Tage verbracht und seinem Sohn die Selbst¬
biographie in die Feder diktiert, damit der Ertrag, wenn er gestorben sei, den
Seinigen zu gute käme. Für seiue Kompositionen fand er keine Abnehmer
mehr. "Ich verehre -- lautet einer der letzten Satze -- meine liebe, gute,
deutsche Nation; aber wenn es auf Unterstützung ankommt, da -- leider --
sind wir nicht zu Hause."

Auch die Lebensbeschreibung, die 1801 bei Breitkopfs gedruckt wurde, ist
ziemlich unbeachtet geblieben. Als ein Roman, in dem alles Wahrheit ist,
als ein lehrreiches, sür die Musikgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts unent¬
behrliches Buch sei sie dringend empfohlen. Vielleicht reizt sie einen Verleger
zu einem Neudruck mit Erläuterungen!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Fahrt des deutschen Kaisers nach England.

Die schon im Früh¬
jahr beschlossene Reise des deutschen Kaisers soll, wie es heißt, im Spätherbst vor
sich gehn. I'ernxors. mutimtnr, aber Verabredungen von Fürftenbesuchen müssen
unter Umständen, wie es scheint, allen Veränderungen der Zeiten zum Trotz aufrecht
erhalten bleiben. Das ist wohl für die Fürsten selbst am unbequemsten. Unter
ganz unverfänglichen Umständen angesägte Besuche können auch unter den allerver-
fäuglichsten nicht ohne weiteres abgesagt werden, und hinreichende Vorwande zu
finden mag manchmal auch der geriebensten Diplomatie recht schwer fallen. Wir
Wissen nicht, warum man im Frühjahr den Besuch des deutscheu Kaisers angesagt
hat, und warum man an der Ansage festhielt, obgleich die Annahme in England
bis zum Spätherbst vertagt wurde, wir wissen auch gar nicht, ob unsre Diplomatie
jetzt ernstlich auf einen Vorwand zur Absage bedacht war, und ob sie einen solchen
noch finden könnte, wenn sie wollte. Die ganze Sache war in undurchsichtigen
Nebel gehüllt von Anfang bis zu Ende. Wir müssen uns dabei bescheiden, daß
bisher nichts bekannt geworden ist, was dem Besuch des Kaisers am Hofe seiner
Großmutter unter minder verfänglichen Umständen, als sie der Spätherbst gezeitigt
hat, eine besondre politische Bedeutung beigelegt hätte, und wir können zu dem
Charakter und zu der Einsicht unsers Kaisers und zum Geschick seiner Diplomaten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Diese Probe zeigt, daß die Selbstbiographie Dittersdorfs nicht bloß nach
der musikalischen Seite ausgiebig ist. Leider klingt sie sehr trüb und bitter
aus. Als der Fürstbischof Graf Schaffgotsch gestorben war, weigerte sich der
Nachfolger, die an Diedersdorf gemachten Zusicherungen zu übernehmen. Er
wurde mit dreihundert und etlichen Gulden, dem Zehntel seines bisherigen
Gehalts „jubiliert," verfiel in Ärger, Krankheit und Armut. Ein alter Freund,
Ignaz Freiherr von Stillfried, nahm ihn zu sich, bei ihm auf Rothlhotta (bei
Neuhaus) hat er seine letzten Tage verbracht und seinem Sohn die Selbst¬
biographie in die Feder diktiert, damit der Ertrag, wenn er gestorben sei, den
Seinigen zu gute käme. Für seiue Kompositionen fand er keine Abnehmer
mehr. „Ich verehre — lautet einer der letzten Satze — meine liebe, gute,
deutsche Nation; aber wenn es auf Unterstützung ankommt, da — leider —
sind wir nicht zu Hause."

Auch die Lebensbeschreibung, die 1801 bei Breitkopfs gedruckt wurde, ist
ziemlich unbeachtet geblieben. Als ein Roman, in dem alles Wahrheit ist,
als ein lehrreiches, sür die Musikgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts unent¬
behrliches Buch sei sie dringend empfohlen. Vielleicht reizt sie einen Verleger
zu einem Neudruck mit Erläuterungen!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Fahrt des deutschen Kaisers nach England.

Die schon im Früh¬
jahr beschlossene Reise des deutschen Kaisers soll, wie es heißt, im Spätherbst vor
sich gehn. I'ernxors. mutimtnr, aber Verabredungen von Fürftenbesuchen müssen
unter Umständen, wie es scheint, allen Veränderungen der Zeiten zum Trotz aufrecht
erhalten bleiben. Das ist wohl für die Fürsten selbst am unbequemsten. Unter
ganz unverfänglichen Umständen angesägte Besuche können auch unter den allerver-
fäuglichsten nicht ohne weiteres abgesagt werden, und hinreichende Vorwande zu
finden mag manchmal auch der geriebensten Diplomatie recht schwer fallen. Wir
Wissen nicht, warum man im Frühjahr den Besuch des deutscheu Kaisers angesagt
hat, und warum man an der Ansage festhielt, obgleich die Annahme in England
bis zum Spätherbst vertagt wurde, wir wissen auch gar nicht, ob unsre Diplomatie
jetzt ernstlich auf einen Vorwand zur Absage bedacht war, und ob sie einen solchen
noch finden könnte, wenn sie wollte. Die ganze Sache war in undurchsichtigen
Nebel gehüllt von Anfang bis zu Ende. Wir müssen uns dabei bescheiden, daß
bisher nichts bekannt geworden ist, was dem Besuch des Kaisers am Hofe seiner
Großmutter unter minder verfänglichen Umständen, als sie der Spätherbst gezeitigt
hat, eine besondre politische Bedeutung beigelegt hätte, und wir können zu dem
Charakter und zu der Einsicht unsers Kaisers und zum Geschick seiner Diplomaten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232090"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1003"> Diese Probe zeigt, daß die Selbstbiographie Dittersdorfs nicht bloß nach<lb/>
der musikalischen Seite ausgiebig ist. Leider klingt sie sehr trüb und bitter<lb/>
aus. Als der Fürstbischof Graf Schaffgotsch gestorben war, weigerte sich der<lb/>
Nachfolger, die an Diedersdorf gemachten Zusicherungen zu übernehmen. Er<lb/>
wurde mit dreihundert und etlichen Gulden, dem Zehntel seines bisherigen<lb/>
Gehalts &#x201E;jubiliert," verfiel in Ärger, Krankheit und Armut. Ein alter Freund,<lb/>
Ignaz Freiherr von Stillfried, nahm ihn zu sich, bei ihm auf Rothlhotta (bei<lb/>
Neuhaus) hat er seine letzten Tage verbracht und seinem Sohn die Selbst¬<lb/>
biographie in die Feder diktiert, damit der Ertrag, wenn er gestorben sei, den<lb/>
Seinigen zu gute käme. Für seiue Kompositionen fand er keine Abnehmer<lb/>
mehr. &#x201E;Ich verehre &#x2014; lautet einer der letzten Satze &#x2014; meine liebe, gute,<lb/>
deutsche Nation; aber wenn es auf Unterstützung ankommt, da &#x2014; leider &#x2014;<lb/>
sind wir nicht zu Hause."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1004"> Auch die Lebensbeschreibung, die 1801 bei Breitkopfs gedruckt wurde, ist<lb/>
ziemlich unbeachtet geblieben. Als ein Roman, in dem alles Wahrheit ist,<lb/>
als ein lehrreiches, sür die Musikgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts unent¬<lb/>
behrliches Buch sei sie dringend empfohlen. Vielleicht reizt sie einen Verleger<lb/>
zu einem Neudruck mit Erläuterungen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die Fahrt des deutschen Kaisers nach England.</head>
            <p xml:id="ID_1005" next="#ID_1006"> Die schon im Früh¬<lb/>
jahr beschlossene Reise des deutschen Kaisers soll, wie es heißt, im Spätherbst vor<lb/>
sich gehn. I'ernxors. mutimtnr, aber Verabredungen von Fürftenbesuchen müssen<lb/>
unter Umständen, wie es scheint, allen Veränderungen der Zeiten zum Trotz aufrecht<lb/>
erhalten bleiben. Das ist wohl für die Fürsten selbst am unbequemsten. Unter<lb/>
ganz unverfänglichen Umständen angesägte Besuche können auch unter den allerver-<lb/>
fäuglichsten nicht ohne weiteres abgesagt werden, und hinreichende Vorwande zu<lb/>
finden mag manchmal auch der geriebensten Diplomatie recht schwer fallen. Wir<lb/>
Wissen nicht, warum man im Frühjahr den Besuch des deutscheu Kaisers angesagt<lb/>
hat, und warum man an der Ansage festhielt, obgleich die Annahme in England<lb/>
bis zum Spätherbst vertagt wurde, wir wissen auch gar nicht, ob unsre Diplomatie<lb/>
jetzt ernstlich auf einen Vorwand zur Absage bedacht war, und ob sie einen solchen<lb/>
noch finden könnte, wenn sie wollte. Die ganze Sache war in undurchsichtigen<lb/>
Nebel gehüllt von Anfang bis zu Ende. Wir müssen uns dabei bescheiden, daß<lb/>
bisher nichts bekannt geworden ist, was dem Besuch des Kaisers am Hofe seiner<lb/>
Großmutter unter minder verfänglichen Umständen, als sie der Spätherbst gezeitigt<lb/>
hat, eine besondre politische Bedeutung beigelegt hätte, und wir können zu dem<lb/>
Charakter und zu der Einsicht unsers Kaisers und zum Geschick seiner Diplomaten</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Maßgebliches und Unmaßgebliches Diese Probe zeigt, daß die Selbstbiographie Dittersdorfs nicht bloß nach der musikalischen Seite ausgiebig ist. Leider klingt sie sehr trüb und bitter aus. Als der Fürstbischof Graf Schaffgotsch gestorben war, weigerte sich der Nachfolger, die an Diedersdorf gemachten Zusicherungen zu übernehmen. Er wurde mit dreihundert und etlichen Gulden, dem Zehntel seines bisherigen Gehalts „jubiliert," verfiel in Ärger, Krankheit und Armut. Ein alter Freund, Ignaz Freiherr von Stillfried, nahm ihn zu sich, bei ihm auf Rothlhotta (bei Neuhaus) hat er seine letzten Tage verbracht und seinem Sohn die Selbst¬ biographie in die Feder diktiert, damit der Ertrag, wenn er gestorben sei, den Seinigen zu gute käme. Für seiue Kompositionen fand er keine Abnehmer mehr. „Ich verehre — lautet einer der letzten Satze — meine liebe, gute, deutsche Nation; aber wenn es auf Unterstützung ankommt, da — leider — sind wir nicht zu Hause." Auch die Lebensbeschreibung, die 1801 bei Breitkopfs gedruckt wurde, ist ziemlich unbeachtet geblieben. Als ein Roman, in dem alles Wahrheit ist, als ein lehrreiches, sür die Musikgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts unent¬ behrliches Buch sei sie dringend empfohlen. Vielleicht reizt sie einen Verleger zu einem Neudruck mit Erläuterungen! Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Fahrt des deutschen Kaisers nach England. Die schon im Früh¬ jahr beschlossene Reise des deutschen Kaisers soll, wie es heißt, im Spätherbst vor sich gehn. I'ernxors. mutimtnr, aber Verabredungen von Fürftenbesuchen müssen unter Umständen, wie es scheint, allen Veränderungen der Zeiten zum Trotz aufrecht erhalten bleiben. Das ist wohl für die Fürsten selbst am unbequemsten. Unter ganz unverfänglichen Umständen angesägte Besuche können auch unter den allerver- fäuglichsten nicht ohne weiteres abgesagt werden, und hinreichende Vorwande zu finden mag manchmal auch der geriebensten Diplomatie recht schwer fallen. Wir Wissen nicht, warum man im Frühjahr den Besuch des deutscheu Kaisers angesagt hat, und warum man an der Ansage festhielt, obgleich die Annahme in England bis zum Spätherbst vertagt wurde, wir wissen auch gar nicht, ob unsre Diplomatie jetzt ernstlich auf einen Vorwand zur Absage bedacht war, und ob sie einen solchen noch finden könnte, wenn sie wollte. Die ganze Sache war in undurchsichtigen Nebel gehüllt von Anfang bis zu Ende. Wir müssen uns dabei bescheiden, daß bisher nichts bekannt geworden ist, was dem Besuch des Kaisers am Hofe seiner Großmutter unter minder verfänglichen Umständen, als sie der Spätherbst gezeitigt hat, eine besondre politische Bedeutung beigelegt hätte, und wir können zu dem Charakter und zu der Einsicht unsers Kaisers und zum Geschick seiner Diplomaten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/278>, abgerufen am 08.05.2024.