Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Der Richter auf der Schulbank

n welcher Weise das Bürgerliche Gesetzbuch auf den Studiengang
der Studenten einwirken wird, das ist eine schwierige Frage, deren
Beurteilung ich Fachleuten überlassen muß. Eine andre Seite
der Sache, die mir nicht minder wichtig scheint, ist aber bisher
noch wenig gewürdigt worden. Es ist das der außerordentlich
segensreiche Einfluß, den das neue Recht auf die praktischen Juristen ausübt;
uicht nur auf die Referendare, sondern auch und erst recht auf die ältern
Juristen, vor allem auf Richter und Rechtsanwälte. Sie alle fangen nun
wieder einmal an zu lernen. Durch den starken Lockruf vou Kommissionen
und den noch stärkern ihres eignen Gewissens werden sie zu Vorträgen eines
akademischen Präzeptors zusammengetrommelt, damit sie dort gemeinschaftlich
die Weisheit des kommenden Jahrhunderts erschnappen.

Schon seit meiner Studentenzeit passierte es mir öfters -- besonders auf
Veranlassung eines schwer verdaulichen Abendessens --, daß ich im Traum
noch einmal zur Schulbank zurückkehren mußte. Nun ist der Traum einge¬
troffen. Wir hocken da wie die Lümmlein zu den Füßen des Präzeptors, der
uns mit der überlegneu Sicherheit eines Fachmanns auf die offenbare" Mängel
des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufmerksam macht. Schlechte Anordnung, un¬
deutsche Wendungen, veraltete Auffassungen -- es wird uns dabei angst und
bange. Gelegentlich verfällt er dann wieder in ein ruhigeres Fahrwasser. Alt¬
bekannte Jugeudklänge von N^noixg.dio, Qsxum, sponässus? umrauschen unser
bcsäuftigtes Ohr. Ein leises Lächeln des Mitleids überkommt uns ob der
schwerfälligen, umständlichen Bestimmungen dieser alten Römer -- zugleich
aber auch, schon infolge der Erinnerung an das Zwölfuhrkolleg, eine wohl¬
thuende Müdigkeit. Da weckt uns aber unser Lehrer plötzlich durch das rollende
Zitat der Paragraphen, die in unsern: vereinfachten neuen Rechte die öffentlichen
Formen regeln: Vgl. §§ 128, 129 des Bürgerliches Gesetzbuch, Artikel 141 ff.
des Einführungsgesetzes; Z§ 167 ff., 183 des Gesetzes über die freiwillige Ge¬
richtsbarkeit; Artikel Zi ff., 40 ff. des Entwurfs des preußischen Gesetzes über
die freiwillige Gerichtsbarkeit, mit den Modifikationen, die sich aus M 13 ff.
Grundbuchordnung, 8s 925, 1434, 1750, 2231 ff., 2276 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, Artikel 11 des Einführungsgesetzes und Artikel 12 des preußischen




Der Richter auf der Schulbank

n welcher Weise das Bürgerliche Gesetzbuch auf den Studiengang
der Studenten einwirken wird, das ist eine schwierige Frage, deren
Beurteilung ich Fachleuten überlassen muß. Eine andre Seite
der Sache, die mir nicht minder wichtig scheint, ist aber bisher
noch wenig gewürdigt worden. Es ist das der außerordentlich
segensreiche Einfluß, den das neue Recht auf die praktischen Juristen ausübt;
uicht nur auf die Referendare, sondern auch und erst recht auf die ältern
Juristen, vor allem auf Richter und Rechtsanwälte. Sie alle fangen nun
wieder einmal an zu lernen. Durch den starken Lockruf vou Kommissionen
und den noch stärkern ihres eignen Gewissens werden sie zu Vorträgen eines
akademischen Präzeptors zusammengetrommelt, damit sie dort gemeinschaftlich
die Weisheit des kommenden Jahrhunderts erschnappen.

Schon seit meiner Studentenzeit passierte es mir öfters — besonders auf
Veranlassung eines schwer verdaulichen Abendessens —, daß ich im Traum
noch einmal zur Schulbank zurückkehren mußte. Nun ist der Traum einge¬
troffen. Wir hocken da wie die Lümmlein zu den Füßen des Präzeptors, der
uns mit der überlegneu Sicherheit eines Fachmanns auf die offenbare» Mängel
des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufmerksam macht. Schlechte Anordnung, un¬
deutsche Wendungen, veraltete Auffassungen — es wird uns dabei angst und
bange. Gelegentlich verfällt er dann wieder in ein ruhigeres Fahrwasser. Alt¬
bekannte Jugeudklänge von N^noixg.dio, Qsxum, sponässus? umrauschen unser
bcsäuftigtes Ohr. Ein leises Lächeln des Mitleids überkommt uns ob der
schwerfälligen, umständlichen Bestimmungen dieser alten Römer — zugleich
aber auch, schon infolge der Erinnerung an das Zwölfuhrkolleg, eine wohl¬
thuende Müdigkeit. Da weckt uns aber unser Lehrer plötzlich durch das rollende
Zitat der Paragraphen, die in unsern: vereinfachten neuen Rechte die öffentlichen
Formen regeln: Vgl. §§ 128, 129 des Bürgerliches Gesetzbuch, Artikel 141 ff.
des Einführungsgesetzes; Z§ 167 ff., 183 des Gesetzes über die freiwillige Ge¬
richtsbarkeit; Artikel Zi ff., 40 ff. des Entwurfs des preußischen Gesetzes über
die freiwillige Gerichtsbarkeit, mit den Modifikationen, die sich aus M 13 ff.
Grundbuchordnung, 8s 925, 1434, 1750, 2231 ff., 2276 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, Artikel 11 des Einführungsgesetzes und Artikel 12 des preußischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232174"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_231811/figures/grenzboten_341869_231811_232174_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Richter auf der Schulbank</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1245"> n welcher Weise das Bürgerliche Gesetzbuch auf den Studiengang<lb/>
der Studenten einwirken wird, das ist eine schwierige Frage, deren<lb/>
Beurteilung ich Fachleuten überlassen muß. Eine andre Seite<lb/>
der Sache, die mir nicht minder wichtig scheint, ist aber bisher<lb/>
noch wenig gewürdigt worden. Es ist das der außerordentlich<lb/>
segensreiche Einfluß, den das neue Recht auf die praktischen Juristen ausübt;<lb/>
uicht nur auf die Referendare, sondern auch und erst recht auf die ältern<lb/>
Juristen, vor allem auf Richter und Rechtsanwälte. Sie alle fangen nun<lb/>
wieder einmal an zu lernen. Durch den starken Lockruf vou Kommissionen<lb/>
und den noch stärkern ihres eignen Gewissens werden sie zu Vorträgen eines<lb/>
akademischen Präzeptors zusammengetrommelt, damit sie dort gemeinschaftlich<lb/>
die Weisheit des kommenden Jahrhunderts erschnappen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246" next="#ID_1247"> Schon seit meiner Studentenzeit passierte es mir öfters &#x2014; besonders auf<lb/>
Veranlassung eines schwer verdaulichen Abendessens &#x2014;, daß ich im Traum<lb/>
noch einmal zur Schulbank zurückkehren mußte. Nun ist der Traum einge¬<lb/>
troffen. Wir hocken da wie die Lümmlein zu den Füßen des Präzeptors, der<lb/>
uns mit der überlegneu Sicherheit eines Fachmanns auf die offenbare» Mängel<lb/>
des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufmerksam macht. Schlechte Anordnung, un¬<lb/>
deutsche Wendungen, veraltete Auffassungen &#x2014; es wird uns dabei angst und<lb/>
bange. Gelegentlich verfällt er dann wieder in ein ruhigeres Fahrwasser. Alt¬<lb/>
bekannte Jugeudklänge von N^noixg.dio, Qsxum, sponässus? umrauschen unser<lb/>
bcsäuftigtes Ohr. Ein leises Lächeln des Mitleids überkommt uns ob der<lb/>
schwerfälligen, umständlichen Bestimmungen dieser alten Römer &#x2014; zugleich<lb/>
aber auch, schon infolge der Erinnerung an das Zwölfuhrkolleg, eine wohl¬<lb/>
thuende Müdigkeit. Da weckt uns aber unser Lehrer plötzlich durch das rollende<lb/>
Zitat der Paragraphen, die in unsern: vereinfachten neuen Rechte die öffentlichen<lb/>
Formen regeln: Vgl. §§ 128, 129 des Bürgerliches Gesetzbuch, Artikel 141 ff.<lb/>
des Einführungsgesetzes; Z§ 167 ff., 183 des Gesetzes über die freiwillige Ge¬<lb/>
richtsbarkeit; Artikel Zi ff., 40 ff. des Entwurfs des preußischen Gesetzes über<lb/>
die freiwillige Gerichtsbarkeit, mit den Modifikationen, die sich aus M 13 ff.<lb/>
Grundbuchordnung, 8s 925, 1434, 1750, 2231 ff., 2276 des Bürgerlichen<lb/>
Gesetzbuchs, Artikel 11 des Einführungsgesetzes und Artikel 12 des preußischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] [Abbildung] Der Richter auf der Schulbank n welcher Weise das Bürgerliche Gesetzbuch auf den Studiengang der Studenten einwirken wird, das ist eine schwierige Frage, deren Beurteilung ich Fachleuten überlassen muß. Eine andre Seite der Sache, die mir nicht minder wichtig scheint, ist aber bisher noch wenig gewürdigt worden. Es ist das der außerordentlich segensreiche Einfluß, den das neue Recht auf die praktischen Juristen ausübt; uicht nur auf die Referendare, sondern auch und erst recht auf die ältern Juristen, vor allem auf Richter und Rechtsanwälte. Sie alle fangen nun wieder einmal an zu lernen. Durch den starken Lockruf vou Kommissionen und den noch stärkern ihres eignen Gewissens werden sie zu Vorträgen eines akademischen Präzeptors zusammengetrommelt, damit sie dort gemeinschaftlich die Weisheit des kommenden Jahrhunderts erschnappen. Schon seit meiner Studentenzeit passierte es mir öfters — besonders auf Veranlassung eines schwer verdaulichen Abendessens —, daß ich im Traum noch einmal zur Schulbank zurückkehren mußte. Nun ist der Traum einge¬ troffen. Wir hocken da wie die Lümmlein zu den Füßen des Präzeptors, der uns mit der überlegneu Sicherheit eines Fachmanns auf die offenbare» Mängel des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufmerksam macht. Schlechte Anordnung, un¬ deutsche Wendungen, veraltete Auffassungen — es wird uns dabei angst und bange. Gelegentlich verfällt er dann wieder in ein ruhigeres Fahrwasser. Alt¬ bekannte Jugeudklänge von N^noixg.dio, Qsxum, sponässus? umrauschen unser bcsäuftigtes Ohr. Ein leises Lächeln des Mitleids überkommt uns ob der schwerfälligen, umständlichen Bestimmungen dieser alten Römer — zugleich aber auch, schon infolge der Erinnerung an das Zwölfuhrkolleg, eine wohl¬ thuende Müdigkeit. Da weckt uns aber unser Lehrer plötzlich durch das rollende Zitat der Paragraphen, die in unsern: vereinfachten neuen Rechte die öffentlichen Formen regeln: Vgl. §§ 128, 129 des Bürgerliches Gesetzbuch, Artikel 141 ff. des Einführungsgesetzes; Z§ 167 ff., 183 des Gesetzes über die freiwillige Ge¬ richtsbarkeit; Artikel Zi ff., 40 ff. des Entwurfs des preußischen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit, mit den Modifikationen, die sich aus M 13 ff. Grundbuchordnung, 8s 925, 1434, 1750, 2231 ff., 2276 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Artikel 11 des Einführungsgesetzes und Artikel 12 des preußischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/362>, abgerufen am 07.05.2024.