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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Kapitalisten und Arbeiter haben zum Teil entgegengesetzte Interessen.
Industrie und Landwirtschaft auch. Sie sind wie zwei Schisse, die nur mit
Mühe nebeneinander auf dem engen Strome treiben können. Zwischen diesen
Parteien entscheiden, darin liegt die Gefahr. Aber diese Klassengegensätze sind
einmal da. Man respektiere sie als Wirklichkeiten. Sie gehören auf die
politische Bühne, Es ist besser, sie dort aufgeführt zu sehen, statt wesenloser
Schattenspiele auf der parlamentarischen Wand. Freilich sollen sie sich nicht
bis zur Abfuhr bekämpfen, sondern sie sollen nur einen Prozeß gegen einander
führen vor dem Richterstuhl der höhern staatlichen Interessen. Richter ist in
letzter Instanz der Träger der Hohenzollcrnkrone. Er wird die Seite wählen,
die für die Zukunft unsers Volkes ficht. Es giebt ein hochpolitisches Motiv,
sich zur Zeit für die Landwirtschaft zu entscheiden. Wenn sich der Verdienst
des Landbaus wieder bessert, wird die Landflucht zum Stehn kommen. Dann
ist die Polengefahr abgewandt, und dann erst haben wir die Hände ganz frei
fü sah. r die Weltpolitik auf dem Meere.




Der Römerstaat
3. Vom Stadtstaat zum Weltreich
(Schluß)

u dem ersten Verfasfungsfehler, daß der gesamte dritte Stand,
die Masse der freien Bevölkerung, vom politischen Leben aus¬
geschlossen blieb, kam der zweite, daß es keine Erbdynastie gab.
Freilich war dieser Fehler mehr durch die geschichtliche Ent¬
wicklung als durch die ungeschriebne cäsarische Verfassung ver¬
schuldet. Augustus hat ja darauf hingearbeitet, eine Dynastie zu begründen.
Der Plan scheiterte an seinen elenden Familienverhältnissen, aber auch wenn
er geglückt wäre, hätte es nicht viel genützt, denn was das Reich brauchte,
war eine schon befestigte und eingelebte Erbdhnastie, und die ließ sich doch
nicht plötzlich herbeizaubern. In einer befestigten Erbdhnastie helfen die Tra¬
ditionen des Hauses, die Anhänglichkeit des Volkes und der Stamm treuer,
tüchtiger und verständnisvoller Diener, ,den sich frühere gute Regenten heran¬
gebildet haben, über die Verlegenheiten und Schwierigkeiten hinweg, die ein
schlechter oder unfähiger Sprößling des Hauses oder eine Reihenfolge von
solchen erzeugt, und daran fehlte es nun, als dieses Unglück schon kurze Zeit
nach des Augustus Tode eintrat. Verwundrung konnte der ausbrechende


Der Römerstaat

Kapitalisten und Arbeiter haben zum Teil entgegengesetzte Interessen.
Industrie und Landwirtschaft auch. Sie sind wie zwei Schisse, die nur mit
Mühe nebeneinander auf dem engen Strome treiben können. Zwischen diesen
Parteien entscheiden, darin liegt die Gefahr. Aber diese Klassengegensätze sind
einmal da. Man respektiere sie als Wirklichkeiten. Sie gehören auf die
politische Bühne, Es ist besser, sie dort aufgeführt zu sehen, statt wesenloser
Schattenspiele auf der parlamentarischen Wand. Freilich sollen sie sich nicht
bis zur Abfuhr bekämpfen, sondern sie sollen nur einen Prozeß gegen einander
führen vor dem Richterstuhl der höhern staatlichen Interessen. Richter ist in
letzter Instanz der Träger der Hohenzollcrnkrone. Er wird die Seite wählen,
die für die Zukunft unsers Volkes ficht. Es giebt ein hochpolitisches Motiv,
sich zur Zeit für die Landwirtschaft zu entscheiden. Wenn sich der Verdienst
des Landbaus wieder bessert, wird die Landflucht zum Stehn kommen. Dann
ist die Polengefahr abgewandt, und dann erst haben wir die Hände ganz frei
fü sah. r die Weltpolitik auf dem Meere.




Der Römerstaat
3. Vom Stadtstaat zum Weltreich
(Schluß)

u dem ersten Verfasfungsfehler, daß der gesamte dritte Stand,
die Masse der freien Bevölkerung, vom politischen Leben aus¬
geschlossen blieb, kam der zweite, daß es keine Erbdynastie gab.
Freilich war dieser Fehler mehr durch die geschichtliche Ent¬
wicklung als durch die ungeschriebne cäsarische Verfassung ver¬
schuldet. Augustus hat ja darauf hingearbeitet, eine Dynastie zu begründen.
Der Plan scheiterte an seinen elenden Familienverhältnissen, aber auch wenn
er geglückt wäre, hätte es nicht viel genützt, denn was das Reich brauchte,
war eine schon befestigte und eingelebte Erbdhnastie, und die ließ sich doch
nicht plötzlich herbeizaubern. In einer befestigten Erbdhnastie helfen die Tra¬
ditionen des Hauses, die Anhänglichkeit des Volkes und der Stamm treuer,
tüchtiger und verständnisvoller Diener, ,den sich frühere gute Regenten heran¬
gebildet haben, über die Verlegenheiten und Schwierigkeiten hinweg, die ein
schlechter oder unfähiger Sprößling des Hauses oder eine Reihenfolge von
solchen erzeugt, und daran fehlte es nun, als dieses Unglück schon kurze Zeit
nach des Augustus Tode eintrat. Verwundrung konnte der ausbrechende


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[0588] Der Römerstaat Kapitalisten und Arbeiter haben zum Teil entgegengesetzte Interessen. Industrie und Landwirtschaft auch. Sie sind wie zwei Schisse, die nur mit Mühe nebeneinander auf dem engen Strome treiben können. Zwischen diesen Parteien entscheiden, darin liegt die Gefahr. Aber diese Klassengegensätze sind einmal da. Man respektiere sie als Wirklichkeiten. Sie gehören auf die politische Bühne, Es ist besser, sie dort aufgeführt zu sehen, statt wesenloser Schattenspiele auf der parlamentarischen Wand. Freilich sollen sie sich nicht bis zur Abfuhr bekämpfen, sondern sie sollen nur einen Prozeß gegen einander führen vor dem Richterstuhl der höhern staatlichen Interessen. Richter ist in letzter Instanz der Träger der Hohenzollcrnkrone. Er wird die Seite wählen, die für die Zukunft unsers Volkes ficht. Es giebt ein hochpolitisches Motiv, sich zur Zeit für die Landwirtschaft zu entscheiden. Wenn sich der Verdienst des Landbaus wieder bessert, wird die Landflucht zum Stehn kommen. Dann ist die Polengefahr abgewandt, und dann erst haben wir die Hände ganz frei fü sah. r die Weltpolitik auf dem Meere. Der Römerstaat 3. Vom Stadtstaat zum Weltreich (Schluß) u dem ersten Verfasfungsfehler, daß der gesamte dritte Stand, die Masse der freien Bevölkerung, vom politischen Leben aus¬ geschlossen blieb, kam der zweite, daß es keine Erbdynastie gab. Freilich war dieser Fehler mehr durch die geschichtliche Ent¬ wicklung als durch die ungeschriebne cäsarische Verfassung ver¬ schuldet. Augustus hat ja darauf hingearbeitet, eine Dynastie zu begründen. Der Plan scheiterte an seinen elenden Familienverhältnissen, aber auch wenn er geglückt wäre, hätte es nicht viel genützt, denn was das Reich brauchte, war eine schon befestigte und eingelebte Erbdhnastie, und die ließ sich doch nicht plötzlich herbeizaubern. In einer befestigten Erbdhnastie helfen die Tra¬ ditionen des Hauses, die Anhänglichkeit des Volkes und der Stamm treuer, tüchtiger und verständnisvoller Diener, ,den sich frühere gute Regenten heran¬ gebildet haben, über die Verlegenheiten und Schwierigkeiten hinweg, die ein schlechter oder unfähiger Sprößling des Hauses oder eine Reihenfolge von solchen erzeugt, und daran fehlte es nun, als dieses Unglück schon kurze Zeit nach des Augustus Tode eintrat. Verwundrung konnte der ausbrechende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/588>, abgerufen am 07.05.2024.