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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Cüsarenwahusinn*) kaum erregen. Wenn man bedenkt, wie verrohend die un¬
aufhörlichen Kriege und das Verkaufen von ganzen Einwvhnerschaften auf dem
Sklavcnmarkte gewirkt haben müssen, und daß in den Bürgerkriegen, bei den
Proskriptionen, auch das Bürgerblnt in Strömen geflossen war, daß der An¬
blick von Schlächtereien im Zirkus dem Volke als höchstes Vergnügen galt,
und daß sich die rohern nnter den Vornehmen denselben schlechten Geschmack
angewöhnt hatten, daß der Reiche über eine Schar von Sklaven frei verfügte,
die seiner Grausamkeit und Wollust schutzlos preisgegeben waren, denn nach
Cato hat kein Zensor mehr etwas gegen den Strom der Zeit vermocht; daß
die Griechen und die Asiaten an unvernünftige Despotenherrschaft gewöhnt
waren und eine leidlich vernünftige als ein Geschenk der Götter begrüßten,
daß der römische Stadtpöbel von Sklavensinn beseelt, der Bestand der edeln
Geschlechter durch Kriege und Proskriptionen stark vermindert und der Rest
durch ein üppiges Genußleben sittlich geschwächt war, wenn man das alles
znsammenhült, so findet man nichts natürlicher, als daß ein Mann, dem unter
solchen Umständen die absolute Gewalt über etwa sechzig Millionen solcher
Menschen zufällt, das seelische Gleichgewicht verliert und überschnappt.

Man muß es dem Tiberius sogar hoch anrechne", daß er das seelische
Gleichgewicht noch so lange zu wahren imstande gewesen ist. Er war von
väterlicher wie von mütterlicher Seite ein Claudier, hatte also heißes, wildes
Blut und einen hochfahrenden Sinn geerbt. Nachdem er sich in Kriegen große
Verdienste erworben hatte, hatte er kränkende Zurücksetzung erfahren, und es
wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn er sich schon gleich nach dem Antritt
der Herrschaft -- von Thronbesteigung kann man in dieser Zeit noch nicht
reden -- für den Zwang schadlos gehalten hätte, den er sich zu des Augustus
Lebzeiten hatte auflegen müssen. Aber er beherrschte sich weiter und bot alle
seine Kräfte ans, im Sinne des Augustus fortzurcgiereu. Leider fehlte es ihm
an jeder Hilfe. Statt von weise" Ratgebern und pflichteifrigen Beamten sah
er sich von hündischen Schmeichlern und ekelhaften Denunzianten umgeben, den
Senat konnte er nicht dazu bringen, seinen Anteil an der Staatsverwaltung
und Verantwortung auf sich zu nehmen und ihm gegenüber unabhängige Über¬
zeugungen zu vertreten, und nachdem er das inne geworden war, verwünschte er
jedesmal beim Verlassen des Senats in griechischer Sprache diese "knechtselige"
Gesellschaft. Man lese nur -- um von vielen Zeugnissen wenigstens eins an¬
zuführen -- die schöne Rede Tibers im Senat (Annalen IV, 37 bis 38), mit
der er das Gesuch der Spanier, ihm einen Tempel errichten zu dürfen, und
überhaupt alle göttlichen Ehren zurückweist, und die Bemerkung des Tacitus,
einige hätten zwar seine Bescheidenheit gelobt, viele aber diese Verachtung des



*) Die wenigsten werden heute noch wissen, daß es Gustau Freutag ist, der in der Ver^
orne" Handschrist die Krankheit aus diesen Ruinen getauft hin.

Cüsarenwahusinn*) kaum erregen. Wenn man bedenkt, wie verrohend die un¬
aufhörlichen Kriege und das Verkaufen von ganzen Einwvhnerschaften auf dem
Sklavcnmarkte gewirkt haben müssen, und daß in den Bürgerkriegen, bei den
Proskriptionen, auch das Bürgerblnt in Strömen geflossen war, daß der An¬
blick von Schlächtereien im Zirkus dem Volke als höchstes Vergnügen galt,
und daß sich die rohern nnter den Vornehmen denselben schlechten Geschmack
angewöhnt hatten, daß der Reiche über eine Schar von Sklaven frei verfügte,
die seiner Grausamkeit und Wollust schutzlos preisgegeben waren, denn nach
Cato hat kein Zensor mehr etwas gegen den Strom der Zeit vermocht; daß
die Griechen und die Asiaten an unvernünftige Despotenherrschaft gewöhnt
waren und eine leidlich vernünftige als ein Geschenk der Götter begrüßten,
daß der römische Stadtpöbel von Sklavensinn beseelt, der Bestand der edeln
Geschlechter durch Kriege und Proskriptionen stark vermindert und der Rest
durch ein üppiges Genußleben sittlich geschwächt war, wenn man das alles
znsammenhült, so findet man nichts natürlicher, als daß ein Mann, dem unter
solchen Umständen die absolute Gewalt über etwa sechzig Millionen solcher
Menschen zufällt, das seelische Gleichgewicht verliert und überschnappt.

Man muß es dem Tiberius sogar hoch anrechne», daß er das seelische
Gleichgewicht noch so lange zu wahren imstande gewesen ist. Er war von
väterlicher wie von mütterlicher Seite ein Claudier, hatte also heißes, wildes
Blut und einen hochfahrenden Sinn geerbt. Nachdem er sich in Kriegen große
Verdienste erworben hatte, hatte er kränkende Zurücksetzung erfahren, und es
wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn er sich schon gleich nach dem Antritt
der Herrschaft — von Thronbesteigung kann man in dieser Zeit noch nicht
reden — für den Zwang schadlos gehalten hätte, den er sich zu des Augustus
Lebzeiten hatte auflegen müssen. Aber er beherrschte sich weiter und bot alle
seine Kräfte ans, im Sinne des Augustus fortzurcgiereu. Leider fehlte es ihm
an jeder Hilfe. Statt von weise» Ratgebern und pflichteifrigen Beamten sah
er sich von hündischen Schmeichlern und ekelhaften Denunzianten umgeben, den
Senat konnte er nicht dazu bringen, seinen Anteil an der Staatsverwaltung
und Verantwortung auf sich zu nehmen und ihm gegenüber unabhängige Über¬
zeugungen zu vertreten, und nachdem er das inne geworden war, verwünschte er
jedesmal beim Verlassen des Senats in griechischer Sprache diese „knechtselige"
Gesellschaft. Man lese nur — um von vielen Zeugnissen wenigstens eins an¬
zuführen — die schöne Rede Tibers im Senat (Annalen IV, 37 bis 38), mit
der er das Gesuch der Spanier, ihm einen Tempel errichten zu dürfen, und
überhaupt alle göttlichen Ehren zurückweist, und die Bemerkung des Tacitus,
einige hätten zwar seine Bescheidenheit gelobt, viele aber diese Verachtung des



*) Die wenigsten werden heute noch wissen, daß es Gustau Freutag ist, der in der Ver^
orne» Handschrist die Krankheit aus diesen Ruinen getauft hin.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/589>, abgerufen am 19.05.2024.