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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik
on>n l^aliis Wagner
1

l e deutsche Kolonialpolitik ist zwar unter der Hand des Fürsten
Vismarck in die Wege geleitet lvorden, aber der erste Reichs¬
kanzler ist selbst immer ein grundsätzlicher Gegner der Expansions¬
politik gewesen. Er hatte für seine Anschauung Gründe, die für
die ersten Jahre des jungen Reichs mich stichhaltig waren. Das
deutsche RcichshanS von 1871 war ein Notbau, auf die dürftigsten Formen
deutschen Lebens eingerichtet, niemand wußte, wie lange es sich gegen die
Stürme der Zeit würde halten können, die von innen und von außen drohten.
Da war es ein Gebot der Klugheit, lieber erst ganz bescheiden anzufangen
und alle die vielen Winkel und Uubeqneiulichkeiten mit in den Kauf zu nehmen,
die das neue Heim des dentschen Volks bot, als von vornherein gleich einen
weitschichtigen prächtigen Palast zu errichten, worin der deutsche Michel, dessen
am meisten hervorstechende Charakterzüge damals nach den Eindrücken seiner
Kinderstube Ängstlichkeit und Bescheidenheit waren, sich doch recht unbehaglich
gefühlt hätte. Stück für Stück wurde der alte Hausrat, den der vielköpfige
Sinn des deutschen Volks aus seineu partiknlaristischen Hütten mit in den Ein¬
heitsbau schleppte, durch ein stilvolleres Meublement ersetzt. Von Erfolg konnte
diese innere Thätigkeit nur sein, wenn jede Störung von außen fernblieb. Es
mußte die Aufgabe der auswärtigen Politik sein, die Zahl der Reibungsflächen
mit den Nachbarn möglichst zu verringern. Gefahr drohte andauernd drüben
hinter den Vogesen infolge der Unsicherheit der französischen Zustände. Diese
Gefahr abzuwenden war die höchste Aufgabe der Politik des ersten Reichs¬
kanzlers. Es ist ihm das gelungen, indem er das bis dahin von den Kabinetten
beliebte Verfahren der Einmischung durch das einer vorsichtigen Zurückhaltung
und Neutralität "ach allen Seiten hin und nach dem Grundsatz "niemand zu


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Die deutsche Weltpolitik
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1

l e deutsche Kolonialpolitik ist zwar unter der Hand des Fürsten
Vismarck in die Wege geleitet lvorden, aber der erste Reichs¬
kanzler ist selbst immer ein grundsätzlicher Gegner der Expansions¬
politik gewesen. Er hatte für seine Anschauung Gründe, die für
die ersten Jahre des jungen Reichs mich stichhaltig waren. Das
deutsche RcichshanS von 1871 war ein Notbau, auf die dürftigsten Formen
deutschen Lebens eingerichtet, niemand wußte, wie lange es sich gegen die
Stürme der Zeit würde halten können, die von innen und von außen drohten.
Da war es ein Gebot der Klugheit, lieber erst ganz bescheiden anzufangen
und alle die vielen Winkel und Uubeqneiulichkeiten mit in den Kauf zu nehmen,
die das neue Heim des dentschen Volks bot, als von vornherein gleich einen
weitschichtigen prächtigen Palast zu errichten, worin der deutsche Michel, dessen
am meisten hervorstechende Charakterzüge damals nach den Eindrücken seiner
Kinderstube Ängstlichkeit und Bescheidenheit waren, sich doch recht unbehaglich
gefühlt hätte. Stück für Stück wurde der alte Hausrat, den der vielköpfige
Sinn des deutschen Volks aus seineu partiknlaristischen Hütten mit in den Ein¬
heitsbau schleppte, durch ein stilvolleres Meublement ersetzt. Von Erfolg konnte
diese innere Thätigkeit nur sein, wenn jede Störung von außen fernblieb. Es
mußte die Aufgabe der auswärtigen Politik sein, die Zahl der Reibungsflächen
mit den Nachbarn möglichst zu verringern. Gefahr drohte andauernd drüben
hinter den Vogesen infolge der Unsicherheit der französischen Zustände. Diese
Gefahr abzuwenden war die höchste Aufgabe der Politik des ersten Reichs¬
kanzlers. Es ist ihm das gelungen, indem er das bis dahin von den Kabinetten
beliebte Verfahren der Einmischung durch das einer vorsichtigen Zurückhaltung
und Neutralität »ach allen Seiten hin und nach dem Grundsatz „niemand zu


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[0169] [Abbildung] Die deutsche Weltpolitik on>n l^aliis Wagner 1 l e deutsche Kolonialpolitik ist zwar unter der Hand des Fürsten Vismarck in die Wege geleitet lvorden, aber der erste Reichs¬ kanzler ist selbst immer ein grundsätzlicher Gegner der Expansions¬ politik gewesen. Er hatte für seine Anschauung Gründe, die für die ersten Jahre des jungen Reichs mich stichhaltig waren. Das deutsche RcichshanS von 1871 war ein Notbau, auf die dürftigsten Formen deutschen Lebens eingerichtet, niemand wußte, wie lange es sich gegen die Stürme der Zeit würde halten können, die von innen und von außen drohten. Da war es ein Gebot der Klugheit, lieber erst ganz bescheiden anzufangen und alle die vielen Winkel und Uubeqneiulichkeiten mit in den Kauf zu nehmen, die das neue Heim des dentschen Volks bot, als von vornherein gleich einen weitschichtigen prächtigen Palast zu errichten, worin der deutsche Michel, dessen am meisten hervorstechende Charakterzüge damals nach den Eindrücken seiner Kinderstube Ängstlichkeit und Bescheidenheit waren, sich doch recht unbehaglich gefühlt hätte. Stück für Stück wurde der alte Hausrat, den der vielköpfige Sinn des deutschen Volks aus seineu partiknlaristischen Hütten mit in den Ein¬ heitsbau schleppte, durch ein stilvolleres Meublement ersetzt. Von Erfolg konnte diese innere Thätigkeit nur sein, wenn jede Störung von außen fernblieb. Es mußte die Aufgabe der auswärtigen Politik sein, die Zahl der Reibungsflächen mit den Nachbarn möglichst zu verringern. Gefahr drohte andauernd drüben hinter den Vogesen infolge der Unsicherheit der französischen Zustände. Diese Gefahr abzuwenden war die höchste Aufgabe der Politik des ersten Reichs¬ kanzlers. Es ist ihm das gelungen, indem er das bis dahin von den Kabinetten beliebte Verfahren der Einmischung durch das einer vorsichtigen Zurückhaltung und Neutralität »ach allen Seiten hin und nach dem Grundsatz „niemand zu GvcnzboK'» I l!10et !..'!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/169>, abgerufen am 04.05.2024.