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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volksmärchen in Afrika
von Robert potsch (Schlich)

in interessanteste" aber ist das Iutrigueuspiel zweier Frauen
gegeneinander, Haremsgeschichten, wie sie ja nnr im Lande der
Vielweiberei vorkommen und im deutschen Märchen ihresgleichen
nicht haben. Da führt eine Erzählung den bezeichnenden Titel:
"Die Selbsterniedrigerin"; man muß aber hier nicht an Ge¬
stalten wie Kleists Käthchen von Heilbronn oder an das liebe Aschenbrödel
senken, die an Rache nicht denken, oder sie doch einem höher" Richter über¬
essen. Das orientalische Weib dient, duldet, erniedrigt sich nur solange, bis
^ Zeit gekommen ist, wo die langverhaltne Glut ihrer Erbitterung sich in
raffiniertesten Rache abkühlen kaun. Das Märchen, das Nur im Sinne
haben, erinnert von fern um die Geschichte vom "Allerleirauh" u. a. Es sei
hier kurz wiedergegeben.

Eil, Jüngling wächst mit einem Mädchen zusammen ans, und beide glauben,
°aß sie Geschwister seien. Eines Tages belehrt den Retter ein unerwartet ge-
sundner Ehekontrakt, den ihre beiden frühverstorbnen Väter für sie aufgesetzt
haben, daß sie Vetter und Base sind, und er beschließt, sie zu heiraten. Vor-
""fig verrät er ihr nichts von seiner Entdeckung -- diese Szenen sind wunder¬
hübsch geschildert, und mau fühlt sich einerseits an Goethes "Geschwister."
andrerseits an den Schluß des "Käthchen von Heilbronn" erinnert --; sie
^ "se muß alle Vorbereitungen zur Hochzeit treffen und ist nnr darum besorgt,
ihr Bruder auch eine würdige Frau bekomme. Um so mehr erfreut ist sie
'Wtilrlich, als ihr Bruder sie selbst ins Brautgemach führt. Täglich geht er
l^sng in sein Geschäft und kommt mittags regelmäßig heim, wo er die leckern
, ^ihm, breiten kann, in Frieden genießt. Eines Tages aber
^ sie selbst so unvorsichtig, ihm von der großen Schönheit der Tochter eines
michers Achmed zu erzählen, und er hat nichts eiligeres zu thun, als zu deren
"ter zu geh" und das Mädchen unter der Bedingung zu heiraten, daß er
^ "ur bei Tage besuche" werde. Sein alltägliches Ausbleiben entschuldigt
dann seiner Base gegenüber mit dem lebhaften Gange seines Geschäfts,
^ruber sie natürlich hoch erfreut ist. Mit der Zeit aber schöpft sie doch Ber¬
uht, folgt ihrem Manne "ach und hat bald sein Geheimnis entdeckt. Ihm
lebe verkleidet sie sich nun als Magd und entstellt ihr Gesicht durch Ruß,




Unsre Volksmärchen in Afrika
von Robert potsch (Schlich)

in interessanteste» aber ist das Iutrigueuspiel zweier Frauen
gegeneinander, Haremsgeschichten, wie sie ja nnr im Lande der
Vielweiberei vorkommen und im deutschen Märchen ihresgleichen
nicht haben. Da führt eine Erzählung den bezeichnenden Titel:
„Die Selbsterniedrigerin"; man muß aber hier nicht an Ge¬
stalten wie Kleists Käthchen von Heilbronn oder an das liebe Aschenbrödel
senken, die an Rache nicht denken, oder sie doch einem höher» Richter über¬
essen. Das orientalische Weib dient, duldet, erniedrigt sich nur solange, bis
^ Zeit gekommen ist, wo die langverhaltne Glut ihrer Erbitterung sich in
raffiniertesten Rache abkühlen kaun. Das Märchen, das Nur im Sinne
haben, erinnert von fern um die Geschichte vom „Allerleirauh" u. a. Es sei
hier kurz wiedergegeben.

Eil, Jüngling wächst mit einem Mädchen zusammen ans, und beide glauben,
°aß sie Geschwister seien. Eines Tages belehrt den Retter ein unerwartet ge-
sundner Ehekontrakt, den ihre beiden frühverstorbnen Väter für sie aufgesetzt
haben, daß sie Vetter und Base sind, und er beschließt, sie zu heiraten. Vor-
""fig verrät er ihr nichts von seiner Entdeckung — diese Szenen sind wunder¬
hübsch geschildert, und mau fühlt sich einerseits an Goethes „Geschwister."
andrerseits an den Schluß des „Käthchen von Heilbronn" erinnert —; sie
^ "se muß alle Vorbereitungen zur Hochzeit treffen und ist nnr darum besorgt,
ihr Bruder auch eine würdige Frau bekomme. Um so mehr erfreut ist sie
'Wtilrlich, als ihr Bruder sie selbst ins Brautgemach führt. Täglich geht er
l^sng in sein Geschäft und kommt mittags regelmäßig heim, wo er die leckern
, ^ihm, breiten kann, in Frieden genießt. Eines Tages aber
^ sie selbst so unvorsichtig, ihm von der großen Schönheit der Tochter eines
michers Achmed zu erzählen, und er hat nichts eiligeres zu thun, als zu deren
"ter zu geh» und das Mädchen unter der Bedingung zu heiraten, daß er
^ "ur bei Tage besuche» werde. Sein alltägliches Ausbleiben entschuldigt
dann seiner Base gegenüber mit dem lebhaften Gange seines Geschäfts,
^ruber sie natürlich hoch erfreut ist. Mit der Zeit aber schöpft sie doch Ber¬
uht, folgt ihrem Manne »ach und hat bald sein Geheimnis entdeckt. Ihm
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[0175] [Abbildung] Unsre Volksmärchen in Afrika von Robert potsch (Schlich) in interessanteste» aber ist das Iutrigueuspiel zweier Frauen gegeneinander, Haremsgeschichten, wie sie ja nnr im Lande der Vielweiberei vorkommen und im deutschen Märchen ihresgleichen nicht haben. Da führt eine Erzählung den bezeichnenden Titel: „Die Selbsterniedrigerin"; man muß aber hier nicht an Ge¬ stalten wie Kleists Käthchen von Heilbronn oder an das liebe Aschenbrödel senken, die an Rache nicht denken, oder sie doch einem höher» Richter über¬ essen. Das orientalische Weib dient, duldet, erniedrigt sich nur solange, bis ^ Zeit gekommen ist, wo die langverhaltne Glut ihrer Erbitterung sich in raffiniertesten Rache abkühlen kaun. Das Märchen, das Nur im Sinne haben, erinnert von fern um die Geschichte vom „Allerleirauh" u. a. Es sei hier kurz wiedergegeben. Eil, Jüngling wächst mit einem Mädchen zusammen ans, und beide glauben, °aß sie Geschwister seien. Eines Tages belehrt den Retter ein unerwartet ge- sundner Ehekontrakt, den ihre beiden frühverstorbnen Väter für sie aufgesetzt haben, daß sie Vetter und Base sind, und er beschließt, sie zu heiraten. Vor- ""fig verrät er ihr nichts von seiner Entdeckung — diese Szenen sind wunder¬ hübsch geschildert, und mau fühlt sich einerseits an Goethes „Geschwister." andrerseits an den Schluß des „Käthchen von Heilbronn" erinnert —; sie ^ "se muß alle Vorbereitungen zur Hochzeit treffen und ist nnr darum besorgt, ihr Bruder auch eine würdige Frau bekomme. Um so mehr erfreut ist sie 'Wtilrlich, als ihr Bruder sie selbst ins Brautgemach führt. Täglich geht er l^sng in sein Geschäft und kommt mittags regelmäßig heim, wo er die leckern , ^ihm, breiten kann, in Frieden genießt. Eines Tages aber ^ sie selbst so unvorsichtig, ihm von der großen Schönheit der Tochter eines michers Achmed zu erzählen, und er hat nichts eiligeres zu thun, als zu deren "ter zu geh» und das Mädchen unter der Bedingung zu heiraten, daß er ^ "ur bei Tage besuche» werde. Sein alltägliches Ausbleiben entschuldigt dann seiner Base gegenüber mit dem lebhaften Gange seines Geschäfts, ^ruber sie natürlich hoch erfreut ist. Mit der Zeit aber schöpft sie doch Ber¬ uht, folgt ihrem Manne »ach und hat bald sein Geheimnis entdeckt. Ihm lebe verkleidet sie sich nun als Magd und entstellt ihr Gesicht durch Ruß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/175>, abgerufen am 02.05.2024.