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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Biographische Litteratur

werden die Gemeindevorsteher, in deren Bezirk das Verbrechen begangen worden
ist, wegen mangelhafter Überwachung zur Verantwortung gezogen, namentlich
aber die Eltern des Verbrechers gerichtlich belangt. In Peking hat ein junger
Mensch seinen Großvater ermordet, was bei dem ausgeprägten Familiensinn
im Himmlischen Reiche der allerschlimmste Mord ist, so schlimm wie Vater¬
mord, strafbarer als Hochverrat. Der Mörder wird in einem solchen Falle
langsam in zehntausend Stücke zerhauen, wie der chinesische Ausdruck lautet.
Lebt um der Vater des Grvßvatermörders noch, so geht der Unglückliche auch
nicht straflos aus. Denn die chinesische Auffassung ist: dieser Vater muß
seinen Sohn nicht ordentlich erzogen, nicht genügend in seinen Pflichten unter¬
richtet haben, sonst wäre ein solcher Frevel nicht vorgekommen. Der Vater
ist verantwortlich für seinen Sohn und verdient eine Strafe für seine Nach¬
lässigkeit. Er wird also nicht nnr gezwungen, der Hinrichtung seines Sohnes
beizuwohnen, sondern er bekommt auch nachher noch vierzig Hiebe mit dem
Bambus. Dieselbe Strafe trifft den Mann, dessen Frau ihre" Schwiegervater
oder ihre Schwiegermutter ermordet hat. Auch hier gehn die Behörden von
der Ansicht aus, daß es Pflicht des Mannes gewesen sei, sich seine Frau zu
einer liebenden Tochter zu erziehn, und daß er diese Pflicht gröblich vernach¬
lässigt habe. Es scheint also, daß man in China bei jedem Verbrechen
die Hauptschuld auf eine verkehrte Erziehung schiebt. Werden die Chinesen
erst einmal einsehen, daß sie überhaupt etwas verkehrt erzogen sind, indem sie
mitten unter dem Zeichen des Verkehrs mit niemand verkehren wollen, und
wird sich ihr Kaiser deshalb Vorwürfe mache", so wird sich die gegenwärtige
schwere Krisis des Reichs in eine bessere Zeit verkehren, und man wird fürderhin
Rudolf Rleinpanl nicht mehr spotten: die Konfntsen, die Konfusen!




Biographische Litteratur
1. Jto I^leg ot t?riQos Lismg,roK ^VMiAM .l^elf. KtÄLAcnv, ^g,mes
Ug-olöKoso -um Sons 1899. XVI und 512 Seiten.

Der Verfasser, ein Schotte von Geburt, ist kein Gelehrter von Beruf, sondern
ein Geschäftsmann, der sich, ähnlich wie seiner Zeit George Grote, nach ertrag¬
reicher Arbeit wissenschaftlichen Studien zugewandt und sich als trefflicher Kenner
der deutschen Litteratur und Sprache schon durch eine anerkannte Überhebung von
Lessings Nathan dem Weisen ins Englische bewährt hat. Das vorliegende statt¬
liche Buch zeigt ihn much als guten Kenner der neusten deutschen Geschichte. Es
ist durchaus Biographie; den zeitgeschichtlichen Hintergrund zeichnet er nnr, soweit
es zum Verständnis seines Helden unbedingt notwendig ist; nur ein Kapitel, das
zweite, giebt eine zusammenhängende Schilderung deutscher Zustände lvormimy
betöre 1847). Jacks erzählt frisch, flott und anschaulich, sodaß auch der deutsche


Biographische Litteratur

werden die Gemeindevorsteher, in deren Bezirk das Verbrechen begangen worden
ist, wegen mangelhafter Überwachung zur Verantwortung gezogen, namentlich
aber die Eltern des Verbrechers gerichtlich belangt. In Peking hat ein junger
Mensch seinen Großvater ermordet, was bei dem ausgeprägten Familiensinn
im Himmlischen Reiche der allerschlimmste Mord ist, so schlimm wie Vater¬
mord, strafbarer als Hochverrat. Der Mörder wird in einem solchen Falle
langsam in zehntausend Stücke zerhauen, wie der chinesische Ausdruck lautet.
Lebt um der Vater des Grvßvatermörders noch, so geht der Unglückliche auch
nicht straflos aus. Denn die chinesische Auffassung ist: dieser Vater muß
seinen Sohn nicht ordentlich erzogen, nicht genügend in seinen Pflichten unter¬
richtet haben, sonst wäre ein solcher Frevel nicht vorgekommen. Der Vater
ist verantwortlich für seinen Sohn und verdient eine Strafe für seine Nach¬
lässigkeit. Er wird also nicht nnr gezwungen, der Hinrichtung seines Sohnes
beizuwohnen, sondern er bekommt auch nachher noch vierzig Hiebe mit dem
Bambus. Dieselbe Strafe trifft den Mann, dessen Frau ihre« Schwiegervater
oder ihre Schwiegermutter ermordet hat. Auch hier gehn die Behörden von
der Ansicht aus, daß es Pflicht des Mannes gewesen sei, sich seine Frau zu
einer liebenden Tochter zu erziehn, und daß er diese Pflicht gröblich vernach¬
lässigt habe. Es scheint also, daß man in China bei jedem Verbrechen
die Hauptschuld auf eine verkehrte Erziehung schiebt. Werden die Chinesen
erst einmal einsehen, daß sie überhaupt etwas verkehrt erzogen sind, indem sie
mitten unter dem Zeichen des Verkehrs mit niemand verkehren wollen, und
wird sich ihr Kaiser deshalb Vorwürfe mache», so wird sich die gegenwärtige
schwere Krisis des Reichs in eine bessere Zeit verkehren, und man wird fürderhin
Rudolf Rleinpanl nicht mehr spotten: die Konfntsen, die Konfusen!




Biographische Litteratur
1. Jto I^leg ot t?riQos Lismg,roK ^VMiAM .l^elf. KtÄLAcnv, ^g,mes
Ug-olöKoso -um Sons 1899. XVI und 512 Seiten.

Der Verfasser, ein Schotte von Geburt, ist kein Gelehrter von Beruf, sondern
ein Geschäftsmann, der sich, ähnlich wie seiner Zeit George Grote, nach ertrag¬
reicher Arbeit wissenschaftlichen Studien zugewandt und sich als trefflicher Kenner
der deutschen Litteratur und Sprache schon durch eine anerkannte Überhebung von
Lessings Nathan dem Weisen ins Englische bewährt hat. Das vorliegende statt¬
liche Buch zeigt ihn much als guten Kenner der neusten deutschen Geschichte. Es
ist durchaus Biographie; den zeitgeschichtlichen Hintergrund zeichnet er nnr, soweit
es zum Verständnis seines Helden unbedingt notwendig ist; nur ein Kapitel, das
zweite, giebt eine zusammenhängende Schilderung deutscher Zustände lvormimy
betöre 1847). Jacks erzählt frisch, flott und anschaulich, sodaß auch der deutsche


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[0150] Biographische Litteratur werden die Gemeindevorsteher, in deren Bezirk das Verbrechen begangen worden ist, wegen mangelhafter Überwachung zur Verantwortung gezogen, namentlich aber die Eltern des Verbrechers gerichtlich belangt. In Peking hat ein junger Mensch seinen Großvater ermordet, was bei dem ausgeprägten Familiensinn im Himmlischen Reiche der allerschlimmste Mord ist, so schlimm wie Vater¬ mord, strafbarer als Hochverrat. Der Mörder wird in einem solchen Falle langsam in zehntausend Stücke zerhauen, wie der chinesische Ausdruck lautet. Lebt um der Vater des Grvßvatermörders noch, so geht der Unglückliche auch nicht straflos aus. Denn die chinesische Auffassung ist: dieser Vater muß seinen Sohn nicht ordentlich erzogen, nicht genügend in seinen Pflichten unter¬ richtet haben, sonst wäre ein solcher Frevel nicht vorgekommen. Der Vater ist verantwortlich für seinen Sohn und verdient eine Strafe für seine Nach¬ lässigkeit. Er wird also nicht nnr gezwungen, der Hinrichtung seines Sohnes beizuwohnen, sondern er bekommt auch nachher noch vierzig Hiebe mit dem Bambus. Dieselbe Strafe trifft den Mann, dessen Frau ihre« Schwiegervater oder ihre Schwiegermutter ermordet hat. Auch hier gehn die Behörden von der Ansicht aus, daß es Pflicht des Mannes gewesen sei, sich seine Frau zu einer liebenden Tochter zu erziehn, und daß er diese Pflicht gröblich vernach¬ lässigt habe. Es scheint also, daß man in China bei jedem Verbrechen die Hauptschuld auf eine verkehrte Erziehung schiebt. Werden die Chinesen erst einmal einsehen, daß sie überhaupt etwas verkehrt erzogen sind, indem sie mitten unter dem Zeichen des Verkehrs mit niemand verkehren wollen, und wird sich ihr Kaiser deshalb Vorwürfe mache», so wird sich die gegenwärtige schwere Krisis des Reichs in eine bessere Zeit verkehren, und man wird fürderhin Rudolf Rleinpanl nicht mehr spotten: die Konfntsen, die Konfusen! Biographische Litteratur 1. Jto I^leg ot t?riQos Lismg,roK ^VMiAM .l^elf. KtÄLAcnv, ^g,mes Ug-olöKoso -um Sons 1899. XVI und 512 Seiten. Der Verfasser, ein Schotte von Geburt, ist kein Gelehrter von Beruf, sondern ein Geschäftsmann, der sich, ähnlich wie seiner Zeit George Grote, nach ertrag¬ reicher Arbeit wissenschaftlichen Studien zugewandt und sich als trefflicher Kenner der deutschen Litteratur und Sprache schon durch eine anerkannte Überhebung von Lessings Nathan dem Weisen ins Englische bewährt hat. Das vorliegende statt¬ liche Buch zeigt ihn much als guten Kenner der neusten deutschen Geschichte. Es ist durchaus Biographie; den zeitgeschichtlichen Hintergrund zeichnet er nnr, soweit es zum Verständnis seines Helden unbedingt notwendig ist; nur ein Kapitel, das zweite, giebt eine zusammenhängende Schilderung deutscher Zustände lvormimy betöre 1847). Jacks erzählt frisch, flott und anschaulich, sodaß auch der deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/150>, abgerufen am 24.05.2024.