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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Aonfusiusse

Straße, 5, Kleinpaul, Rudolf. Das halte ich, wie gesagt, nicht nur nicht
für verkehrt, sondern im Gegenteil für zweckmäßig, weil es der Post, die zu¬
nächst nur wissen will, wo der Brief überhaupt hin soll, die Übersicht er¬
leichtert. Das Wichtige ist dabei nicht, daß das Bestimmungsland an der
Spitze, der Name des Empfängers unten steht -- die Reihenfolge könnte
ebensogut die umgekehrte sein. Darauf kommt es an, daß überhaupt Ordnung
und Logik in der Sache ist. Wir haben in dieser Beziehung keine Logik;
auf unsern Adressen, sogar ans den amtlich vorgezeichneten, steht der Name
des Empfängers an der Spitze, dann folgt die Stadt, in der er wohnt, und
nnter der Stadt kommt wieder die Straße und die Hausnummer zu stehn, eine
ganz verfehlte und unpraktische Einrichtung, die das Sortieren und die Be¬
förderung der Briefe wesentlich erschwert.

Dagegen finde ich es nicht hübsch, daß nun in China keine Engrospreise
kennt. Wenn man bei uns von einer Ware viel, zum Beispiel tausend Stück
Cigarren uns einmal kauft, bekommt mau sie etwas billiger. In China ist es
gerade umgekehrt; mau muß dann mehr bezahlen. Ganz unlogisch ist auch
das nicht.

Die sogenannte verkehrte Welt hat etwas Relatives: nach unsrer Mei¬
nung wird ein Ding beim verkehrten Ende angefangen, aber wir müssen uns
nicht einbilden, daß wir alles besser machen. Wie der Chinese anders liest
und schreibt, so besteigt er auch sein Pferd nicht von der linken, sondern von
der rechten Seite, was man bei uns vom Schinder sagt; dem entsprechend hält
er die Zügel nicht mit der linken, sondern mit der rechten Hand. Dasselbe
thun die Japaner. Gerade solche kleinen Handgriffe sind kennzeichnend: durch
die Jahrtausende fortgeerbt, beweisen sie, daß sich die Rasse mit ihren Merk¬
malen rein erhalten und niemals eine Vermischung stattgefunden hat. Aber
für eine Verkehrtheit sprechen sie so wenig wie etwa die abweichenden Triebe
einer verschiednen Tierart. Wenn der Chinese nicht mit seinem Hunde, sondern
mit einem Vogelbauer in der Hand spazieren geht, wenn er keinen Stock,
sondern einen Fächer braucht, und der Kaiser um sieben Uhr morgens ins
Theater geht; wenn er keinen Bart, sondern einen Zopf trägt, wenn er in
Weiß trauert, darum auch keine weiße Wäsche und kein weißes Tischtuch
liebt, nud was man alles für Seltsamkeiten von ihm erzählt, so dürfen
wir ihm doch keinen Vorwurf daraus machen: ein jedes Tierchen hat sein
Pläsierchen.

Es giebt in China ein Prinzip, das bis zu den äußersten Konsequenzen
durchgeführt wird, das Prinzip der Verantwortlichkeit. Der Kaiser von China
klagt sich mi, die Leiden, die über sein Volk hereingebrochen seien, verschuldet
z" haben, weil er verantwortlich für sein Volk ist. Der Hausarzt wird nicht
bezahlt, wenn man krank ist, sondern nur wenn man gesund ist; der Adel ist
nicht erblich, sondern rückwirkend, indem er sich auf die Vorfahren erstreckt,
sodaß wenn einer geadelt wird, zugleich alle seine in Gott ruhenden Ahnen
und Urahnen geadelt werden; und umgekehrt wenn einer etwas verbricht, so


Die Aonfusiusse

Straße, 5, Kleinpaul, Rudolf. Das halte ich, wie gesagt, nicht nur nicht
für verkehrt, sondern im Gegenteil für zweckmäßig, weil es der Post, die zu¬
nächst nur wissen will, wo der Brief überhaupt hin soll, die Übersicht er¬
leichtert. Das Wichtige ist dabei nicht, daß das Bestimmungsland an der
Spitze, der Name des Empfängers unten steht — die Reihenfolge könnte
ebensogut die umgekehrte sein. Darauf kommt es an, daß überhaupt Ordnung
und Logik in der Sache ist. Wir haben in dieser Beziehung keine Logik;
auf unsern Adressen, sogar ans den amtlich vorgezeichneten, steht der Name
des Empfängers an der Spitze, dann folgt die Stadt, in der er wohnt, und
nnter der Stadt kommt wieder die Straße und die Hausnummer zu stehn, eine
ganz verfehlte und unpraktische Einrichtung, die das Sortieren und die Be¬
förderung der Briefe wesentlich erschwert.

Dagegen finde ich es nicht hübsch, daß nun in China keine Engrospreise
kennt. Wenn man bei uns von einer Ware viel, zum Beispiel tausend Stück
Cigarren uns einmal kauft, bekommt mau sie etwas billiger. In China ist es
gerade umgekehrt; mau muß dann mehr bezahlen. Ganz unlogisch ist auch
das nicht.

Die sogenannte verkehrte Welt hat etwas Relatives: nach unsrer Mei¬
nung wird ein Ding beim verkehrten Ende angefangen, aber wir müssen uns
nicht einbilden, daß wir alles besser machen. Wie der Chinese anders liest
und schreibt, so besteigt er auch sein Pferd nicht von der linken, sondern von
der rechten Seite, was man bei uns vom Schinder sagt; dem entsprechend hält
er die Zügel nicht mit der linken, sondern mit der rechten Hand. Dasselbe
thun die Japaner. Gerade solche kleinen Handgriffe sind kennzeichnend: durch
die Jahrtausende fortgeerbt, beweisen sie, daß sich die Rasse mit ihren Merk¬
malen rein erhalten und niemals eine Vermischung stattgefunden hat. Aber
für eine Verkehrtheit sprechen sie so wenig wie etwa die abweichenden Triebe
einer verschiednen Tierart. Wenn der Chinese nicht mit seinem Hunde, sondern
mit einem Vogelbauer in der Hand spazieren geht, wenn er keinen Stock,
sondern einen Fächer braucht, und der Kaiser um sieben Uhr morgens ins
Theater geht; wenn er keinen Bart, sondern einen Zopf trägt, wenn er in
Weiß trauert, darum auch keine weiße Wäsche und kein weißes Tischtuch
liebt, nud was man alles für Seltsamkeiten von ihm erzählt, so dürfen
wir ihm doch keinen Vorwurf daraus machen: ein jedes Tierchen hat sein
Pläsierchen.

Es giebt in China ein Prinzip, das bis zu den äußersten Konsequenzen
durchgeführt wird, das Prinzip der Verantwortlichkeit. Der Kaiser von China
klagt sich mi, die Leiden, die über sein Volk hereingebrochen seien, verschuldet
z» haben, weil er verantwortlich für sein Volk ist. Der Hausarzt wird nicht
bezahlt, wenn man krank ist, sondern nur wenn man gesund ist; der Adel ist
nicht erblich, sondern rückwirkend, indem er sich auf die Vorfahren erstreckt,
sodaß wenn einer geadelt wird, zugleich alle seine in Gott ruhenden Ahnen
und Urahnen geadelt werden; und umgekehrt wenn einer etwas verbricht, so


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[0149] Die Aonfusiusse Straße, 5, Kleinpaul, Rudolf. Das halte ich, wie gesagt, nicht nur nicht für verkehrt, sondern im Gegenteil für zweckmäßig, weil es der Post, die zu¬ nächst nur wissen will, wo der Brief überhaupt hin soll, die Übersicht er¬ leichtert. Das Wichtige ist dabei nicht, daß das Bestimmungsland an der Spitze, der Name des Empfängers unten steht — die Reihenfolge könnte ebensogut die umgekehrte sein. Darauf kommt es an, daß überhaupt Ordnung und Logik in der Sache ist. Wir haben in dieser Beziehung keine Logik; auf unsern Adressen, sogar ans den amtlich vorgezeichneten, steht der Name des Empfängers an der Spitze, dann folgt die Stadt, in der er wohnt, und nnter der Stadt kommt wieder die Straße und die Hausnummer zu stehn, eine ganz verfehlte und unpraktische Einrichtung, die das Sortieren und die Be¬ förderung der Briefe wesentlich erschwert. Dagegen finde ich es nicht hübsch, daß nun in China keine Engrospreise kennt. Wenn man bei uns von einer Ware viel, zum Beispiel tausend Stück Cigarren uns einmal kauft, bekommt mau sie etwas billiger. In China ist es gerade umgekehrt; mau muß dann mehr bezahlen. Ganz unlogisch ist auch das nicht. Die sogenannte verkehrte Welt hat etwas Relatives: nach unsrer Mei¬ nung wird ein Ding beim verkehrten Ende angefangen, aber wir müssen uns nicht einbilden, daß wir alles besser machen. Wie der Chinese anders liest und schreibt, so besteigt er auch sein Pferd nicht von der linken, sondern von der rechten Seite, was man bei uns vom Schinder sagt; dem entsprechend hält er die Zügel nicht mit der linken, sondern mit der rechten Hand. Dasselbe thun die Japaner. Gerade solche kleinen Handgriffe sind kennzeichnend: durch die Jahrtausende fortgeerbt, beweisen sie, daß sich die Rasse mit ihren Merk¬ malen rein erhalten und niemals eine Vermischung stattgefunden hat. Aber für eine Verkehrtheit sprechen sie so wenig wie etwa die abweichenden Triebe einer verschiednen Tierart. Wenn der Chinese nicht mit seinem Hunde, sondern mit einem Vogelbauer in der Hand spazieren geht, wenn er keinen Stock, sondern einen Fächer braucht, und der Kaiser um sieben Uhr morgens ins Theater geht; wenn er keinen Bart, sondern einen Zopf trägt, wenn er in Weiß trauert, darum auch keine weiße Wäsche und kein weißes Tischtuch liebt, nud was man alles für Seltsamkeiten von ihm erzählt, so dürfen wir ihm doch keinen Vorwurf daraus machen: ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen. Es giebt in China ein Prinzip, das bis zu den äußersten Konsequenzen durchgeführt wird, das Prinzip der Verantwortlichkeit. Der Kaiser von China klagt sich mi, die Leiden, die über sein Volk hereingebrochen seien, verschuldet z» haben, weil er verantwortlich für sein Volk ist. Der Hausarzt wird nicht bezahlt, wenn man krank ist, sondern nur wenn man gesund ist; der Adel ist nicht erblich, sondern rückwirkend, indem er sich auf die Vorfahren erstreckt, sodaß wenn einer geadelt wird, zugleich alle seine in Gott ruhenden Ahnen und Urahnen geadelt werden; und umgekehrt wenn einer etwas verbricht, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/149>, abgerufen am 16.06.2024.