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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Dreimal gefunden
Magdalene Thoresen Novelle von(Schluß)

P^ß5! s folgten schwere Tage und Nächte für Ragna, denn die Kräfte des
Kindes nahmen ab. Und schon meldete sich der Herbst mit seinen
Regenschauern und unwirscher Seewinden, und danach kam noch
der lange, dunkle Winter; und wenn dieser den Tod mit sich brachte,
wie sollte sie dann jemals wieder glücklich werden?

Darüber nachzugrübeln, das war Ragncis trauriger Zeitvertreib
in der Einsamkeit. Aber sie verstand auch recht wohl, daß ihr größtes Unglück
in demi Mißverhältnis zum Vater lag. Das war es, was Asmuuds Herz ver¬
bitterte, und das war es auch, was Gottes Strafgericht auf sie und ihre Kinder
herabrief.

So verlor sie sich tief in die Wüste, wo der Trübsinn nach und nach das
Licht der Hoffnung verschlingt, wo die dunkeln Wolken die Sterne am Himmel
verdecken.

Aber endlich brach nach vielen Regentagen doch wieder ein Heller Morgen
an. Die Sonne warf flimmernde Strahlen schräg in die Kajüte herein und über
das magere Gesichtchen des Kindes. Da erhob sich Ragua, um ihm Schatten zu
geben, aber was bekam sie zu sehen -- das Kind lächelte! Lächelte das spielende
Sonnenlicht an, das durch den Widerschein des Meeres wie ein Irrlicht hin und
her tauzte, und die kleinen Kinderaugen leuchteten mit. Das kleine bleiche Kinder-
gesichtchen hatte zum erstenmal ein Zeichen der Freude kundgegeben.

Ergriffen blieb Ragna stehn und schallte zu. Wollte Gott ihr damit einen
Wink geben? Und hell wurde es plötzlich in ihren Gedanken, und der Mut kam
zurück. Sie war immer schnell entschlossen gewesen, jetzt faßte sie sich langsamer --
sie hatte ja jetzt auch viel mehr zu überlegen als sonst. Aber allmählich wurde
sie sich doch klar, sie richtete ihr Gesicht nach oben im Gedanken an Gott und rief
ihn zum Zeugen für ihren Entschluß an. Ja, sie wollte ihr Kind nehmen und zu
Asmnnds Vater gehn, sie wollte ihm sagen, was er wissen mußte -- für alles
andre wollte sie dann Gott sorgen lassen.

Sie war fest entschlossen. Keine Angst drückte sie, keine Sorge deswegen,
daß das, was geschehn mußte, auch auf die rechte Weise geschehn werde. Um
zwölf Uhr legte ein südwärts gehender Dampfer an einer anderthalb Meilen
entfernten Haltestelle an. Wenn sie selbst mitruderte, konnte sie mit des Schiffs¬
jungen treuer Hilfe zur rechten Zeit dort sein. Mit ihm besprach sie dann das
Nötigste wegen der Beaufsichtigung des Schiffs, nur das Ziel ihrer Reise teilte sie
ihm nicht mit. Niemand sollte es wissen, ehe es sich gezeigt hatte, wie ihr Unter¬
nehmen ausfiel.

Als sie zur rechten Zeit an der Haltestelle ankam und mit ihrem Kinde im
Arm auf dem Schiffsdeck stand, wo ihr nach dem langen Aufenthalt in den kleinen
Räumen der Jacht alles so unnatürlich groß vorkam, da ergriff sie wohl einen




Dreimal gefunden
Magdalene Thoresen Novelle von(Schluß)

P^ß5! s folgten schwere Tage und Nächte für Ragna, denn die Kräfte des
Kindes nahmen ab. Und schon meldete sich der Herbst mit seinen
Regenschauern und unwirscher Seewinden, und danach kam noch
der lange, dunkle Winter; und wenn dieser den Tod mit sich brachte,
wie sollte sie dann jemals wieder glücklich werden?

Darüber nachzugrübeln, das war Ragncis trauriger Zeitvertreib
in der Einsamkeit. Aber sie verstand auch recht wohl, daß ihr größtes Unglück
in demi Mißverhältnis zum Vater lag. Das war es, was Asmuuds Herz ver¬
bitterte, und das war es auch, was Gottes Strafgericht auf sie und ihre Kinder
herabrief.

So verlor sie sich tief in die Wüste, wo der Trübsinn nach und nach das
Licht der Hoffnung verschlingt, wo die dunkeln Wolken die Sterne am Himmel
verdecken.

Aber endlich brach nach vielen Regentagen doch wieder ein Heller Morgen
an. Die Sonne warf flimmernde Strahlen schräg in die Kajüte herein und über
das magere Gesichtchen des Kindes. Da erhob sich Ragua, um ihm Schatten zu
geben, aber was bekam sie zu sehen — das Kind lächelte! Lächelte das spielende
Sonnenlicht an, das durch den Widerschein des Meeres wie ein Irrlicht hin und
her tauzte, und die kleinen Kinderaugen leuchteten mit. Das kleine bleiche Kinder-
gesichtchen hatte zum erstenmal ein Zeichen der Freude kundgegeben.

Ergriffen blieb Ragna stehn und schallte zu. Wollte Gott ihr damit einen
Wink geben? Und hell wurde es plötzlich in ihren Gedanken, und der Mut kam
zurück. Sie war immer schnell entschlossen gewesen, jetzt faßte sie sich langsamer —
sie hatte ja jetzt auch viel mehr zu überlegen als sonst. Aber allmählich wurde
sie sich doch klar, sie richtete ihr Gesicht nach oben im Gedanken an Gott und rief
ihn zum Zeugen für ihren Entschluß an. Ja, sie wollte ihr Kind nehmen und zu
Asmnnds Vater gehn, sie wollte ihm sagen, was er wissen mußte — für alles
andre wollte sie dann Gott sorgen lassen.

Sie war fest entschlossen. Keine Angst drückte sie, keine Sorge deswegen,
daß das, was geschehn mußte, auch auf die rechte Weise geschehn werde. Um
zwölf Uhr legte ein südwärts gehender Dampfer an einer anderthalb Meilen
entfernten Haltestelle an. Wenn sie selbst mitruderte, konnte sie mit des Schiffs¬
jungen treuer Hilfe zur rechten Zeit dort sein. Mit ihm besprach sie dann das
Nötigste wegen der Beaufsichtigung des Schiffs, nur das Ziel ihrer Reise teilte sie
ihm nicht mit. Niemand sollte es wissen, ehe es sich gezeigt hatte, wie ihr Unter¬
nehmen ausfiel.

Als sie zur rechten Zeit an der Haltestelle ankam und mit ihrem Kinde im
Arm auf dem Schiffsdeck stand, wo ihr nach dem langen Aufenthalt in den kleinen
Räumen der Jacht alles so unnatürlich groß vorkam, da ergriff sie wohl einen


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[0156] [Abbildung] Dreimal gefunden Magdalene Thoresen Novelle von(Schluß) P^ß5! s folgten schwere Tage und Nächte für Ragna, denn die Kräfte des Kindes nahmen ab. Und schon meldete sich der Herbst mit seinen Regenschauern und unwirscher Seewinden, und danach kam noch der lange, dunkle Winter; und wenn dieser den Tod mit sich brachte, wie sollte sie dann jemals wieder glücklich werden? Darüber nachzugrübeln, das war Ragncis trauriger Zeitvertreib in der Einsamkeit. Aber sie verstand auch recht wohl, daß ihr größtes Unglück in demi Mißverhältnis zum Vater lag. Das war es, was Asmuuds Herz ver¬ bitterte, und das war es auch, was Gottes Strafgericht auf sie und ihre Kinder herabrief. So verlor sie sich tief in die Wüste, wo der Trübsinn nach und nach das Licht der Hoffnung verschlingt, wo die dunkeln Wolken die Sterne am Himmel verdecken. Aber endlich brach nach vielen Regentagen doch wieder ein Heller Morgen an. Die Sonne warf flimmernde Strahlen schräg in die Kajüte herein und über das magere Gesichtchen des Kindes. Da erhob sich Ragua, um ihm Schatten zu geben, aber was bekam sie zu sehen — das Kind lächelte! Lächelte das spielende Sonnenlicht an, das durch den Widerschein des Meeres wie ein Irrlicht hin und her tauzte, und die kleinen Kinderaugen leuchteten mit. Das kleine bleiche Kinder- gesichtchen hatte zum erstenmal ein Zeichen der Freude kundgegeben. Ergriffen blieb Ragna stehn und schallte zu. Wollte Gott ihr damit einen Wink geben? Und hell wurde es plötzlich in ihren Gedanken, und der Mut kam zurück. Sie war immer schnell entschlossen gewesen, jetzt faßte sie sich langsamer — sie hatte ja jetzt auch viel mehr zu überlegen als sonst. Aber allmählich wurde sie sich doch klar, sie richtete ihr Gesicht nach oben im Gedanken an Gott und rief ihn zum Zeugen für ihren Entschluß an. Ja, sie wollte ihr Kind nehmen und zu Asmnnds Vater gehn, sie wollte ihm sagen, was er wissen mußte — für alles andre wollte sie dann Gott sorgen lassen. Sie war fest entschlossen. Keine Angst drückte sie, keine Sorge deswegen, daß das, was geschehn mußte, auch auf die rechte Weise geschehn werde. Um zwölf Uhr legte ein südwärts gehender Dampfer an einer anderthalb Meilen entfernten Haltestelle an. Wenn sie selbst mitruderte, konnte sie mit des Schiffs¬ jungen treuer Hilfe zur rechten Zeit dort sein. Mit ihm besprach sie dann das Nötigste wegen der Beaufsichtigung des Schiffs, nur das Ziel ihrer Reise teilte sie ihm nicht mit. Niemand sollte es wissen, ehe es sich gezeigt hatte, wie ihr Unter¬ nehmen ausfiel. Als sie zur rechten Zeit an der Haltestelle ankam und mit ihrem Kinde im Arm auf dem Schiffsdeck stand, wo ihr nach dem langen Aufenthalt in den kleinen Räumen der Jacht alles so unnatürlich groß vorkam, da ergriff sie wohl einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/156>, abgerufen am 23.05.2024.