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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Biographische Litteratur

Arme in die Luft und schrie zornrvt: Es ist einer zu viel da! griff hinter den
Stamm der Buche und zog einen schreckensbleichen jungen Murr hervor, der einen
seiner Schuhe in der Hund hielt. Es war ein Eisenbnhningeuieur, der in der
dortigen Gegend seit einigen Wochen Vermessungen ausführte und auf dem Nach¬
hausewege von Schmiedefeld in der Nacht zufällig an diesen Hexenort gekommen
war. Er war an einem goldnen Sonntag geboren und konnte deshalb mehr sehen
als andre Leute; so war er denn Zeuge aller dieser Vorgänge geworden, und
außerdem war ihm beim Umherirren im Walde etwas Fahrsame in den Schuh
gefallen, ohne daß er es wußte. Nun aber hatte ihn etwas am Fuße gedrückt,
und er hatte deu Schuh ausgezogen und ausgeklopft; da war der Fnhrsame
herausgefallen und der Zauber geschwunden, und er war den Geistern sichtbar ge¬
worden.

Ein grauenhaftes Getöse brach los. Der wilde Jäger sprang fluchend in den
Sattel, die Hunde heulten, Eulen schrieen, Spukgänse schnatterten, Hvlzweibel quiekten,
der Protokollführer trommelte rin seinem Bein wie verrückt, der Bieresel von Ruhla
brüllte. Im Nu hatten sich zehn, zwanzig Zwerge an Arme und Beine des un¬
glücklichen jungen Mannes gehängt und zerrten ihn zu Boden. Da stieß der Uhu
einen langgezognen Ruf aus, ein schwefelgelber Blitz zuckte auf,- gefolgt von einem
prasselnden Donnerschlag -- dann lag das Göpfersbacher Thal in tiefer Finsternis
da. Die Geisterstunde war zu Ende. Von fernher klang noch einmal schauerlich,
wie aus Lachen und Heulen gemischt, der Ruf eines Waldkauzes; dann war alles
totenstill.

Holzmacher, die im Morgengrauen zur Arbeit gingen, haben den Ingenieur
unter der Buche gefunden. Er lebte noch, lag aber in todähnlichen Schlaf und
war nur schwer zu ermuntern. Verstört sah er um sich und erzählte in abgerissenen
Sätzen, er habe am Tage vorher das Sommerfest des Thüringer Waldvereins,
Sektion Schmiedefeld, mitgemacht, dabei ziemlich lange gefrühstückt, sei dann auf
dem Nachhauseweg in der Nacht irre gegangen und hier eingeschlafen. Es sei irgend
etwas mit ihm geschehn, er wisse aber nicht mehr was, weil ihm der Kopf so sehr
brumme. Nach einer halben Stunde hatte sich der Unglückliche soweit erholt, daß
er imstande war, nach Stützerbach hinuuterzugehn, den Oberingenieur für diesen
Tag wegen nervöser Dyspepsie um Urlaub zu bitten und im Wirtshaus zur wilden
Katz einen Frühschoppen einzunehmen. Dort kam ihm allmählich das Gedächtnis
wieder, und dort hat er mir, dem Schreiber dieser Zeilen, so ungefähr gegen sechs
Uhr abends, seine Erlebnisse erzählt, und da er ein Goldensonntagskind ist, so
habe ich nicht den geringsten Grund, an der Wahrheit der Geschichte zu zweifeln.




Biographische Litteratur
(Schluß)
11. Zur Erinnerung an Julius Jolly von Adolf Hausrath. Leipzig,
S. Hirzel, 1899. VI u. 326 Seiten.

Als langjähriger Freund I. Jollhs hat der Heidelberger Theolog seine eignen
Erinnerungen an den bedeutendsten nationalen Staatsmann, den Süddentschland in


Biographische Litteratur

Arme in die Luft und schrie zornrvt: Es ist einer zu viel da! griff hinter den
Stamm der Buche und zog einen schreckensbleichen jungen Murr hervor, der einen
seiner Schuhe in der Hund hielt. Es war ein Eisenbnhningeuieur, der in der
dortigen Gegend seit einigen Wochen Vermessungen ausführte und auf dem Nach¬
hausewege von Schmiedefeld in der Nacht zufällig an diesen Hexenort gekommen
war. Er war an einem goldnen Sonntag geboren und konnte deshalb mehr sehen
als andre Leute; so war er denn Zeuge aller dieser Vorgänge geworden, und
außerdem war ihm beim Umherirren im Walde etwas Fahrsame in den Schuh
gefallen, ohne daß er es wußte. Nun aber hatte ihn etwas am Fuße gedrückt,
und er hatte deu Schuh ausgezogen und ausgeklopft; da war der Fnhrsame
herausgefallen und der Zauber geschwunden, und er war den Geistern sichtbar ge¬
worden.

Ein grauenhaftes Getöse brach los. Der wilde Jäger sprang fluchend in den
Sattel, die Hunde heulten, Eulen schrieen, Spukgänse schnatterten, Hvlzweibel quiekten,
der Protokollführer trommelte rin seinem Bein wie verrückt, der Bieresel von Ruhla
brüllte. Im Nu hatten sich zehn, zwanzig Zwerge an Arme und Beine des un¬
glücklichen jungen Mannes gehängt und zerrten ihn zu Boden. Da stieß der Uhu
einen langgezognen Ruf aus, ein schwefelgelber Blitz zuckte auf,- gefolgt von einem
prasselnden Donnerschlag — dann lag das Göpfersbacher Thal in tiefer Finsternis
da. Die Geisterstunde war zu Ende. Von fernher klang noch einmal schauerlich,
wie aus Lachen und Heulen gemischt, der Ruf eines Waldkauzes; dann war alles
totenstill.

Holzmacher, die im Morgengrauen zur Arbeit gingen, haben den Ingenieur
unter der Buche gefunden. Er lebte noch, lag aber in todähnlichen Schlaf und
war nur schwer zu ermuntern. Verstört sah er um sich und erzählte in abgerissenen
Sätzen, er habe am Tage vorher das Sommerfest des Thüringer Waldvereins,
Sektion Schmiedefeld, mitgemacht, dabei ziemlich lange gefrühstückt, sei dann auf
dem Nachhauseweg in der Nacht irre gegangen und hier eingeschlafen. Es sei irgend
etwas mit ihm geschehn, er wisse aber nicht mehr was, weil ihm der Kopf so sehr
brumme. Nach einer halben Stunde hatte sich der Unglückliche soweit erholt, daß
er imstande war, nach Stützerbach hinuuterzugehn, den Oberingenieur für diesen
Tag wegen nervöser Dyspepsie um Urlaub zu bitten und im Wirtshaus zur wilden
Katz einen Frühschoppen einzunehmen. Dort kam ihm allmählich das Gedächtnis
wieder, und dort hat er mir, dem Schreiber dieser Zeilen, so ungefähr gegen sechs
Uhr abends, seine Erlebnisse erzählt, und da er ein Goldensonntagskind ist, so
habe ich nicht den geringsten Grund, an der Wahrheit der Geschichte zu zweifeln.




Biographische Litteratur
(Schluß)
11. Zur Erinnerung an Julius Jolly von Adolf Hausrath. Leipzig,
S. Hirzel, 1899. VI u. 326 Seiten.

Als langjähriger Freund I. Jollhs hat der Heidelberger Theolog seine eignen
Erinnerungen an den bedeutendsten nationalen Staatsmann, den Süddentschland in


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[0208] Biographische Litteratur Arme in die Luft und schrie zornrvt: Es ist einer zu viel da! griff hinter den Stamm der Buche und zog einen schreckensbleichen jungen Murr hervor, der einen seiner Schuhe in der Hund hielt. Es war ein Eisenbnhningeuieur, der in der dortigen Gegend seit einigen Wochen Vermessungen ausführte und auf dem Nach¬ hausewege von Schmiedefeld in der Nacht zufällig an diesen Hexenort gekommen war. Er war an einem goldnen Sonntag geboren und konnte deshalb mehr sehen als andre Leute; so war er denn Zeuge aller dieser Vorgänge geworden, und außerdem war ihm beim Umherirren im Walde etwas Fahrsame in den Schuh gefallen, ohne daß er es wußte. Nun aber hatte ihn etwas am Fuße gedrückt, und er hatte deu Schuh ausgezogen und ausgeklopft; da war der Fnhrsame herausgefallen und der Zauber geschwunden, und er war den Geistern sichtbar ge¬ worden. Ein grauenhaftes Getöse brach los. Der wilde Jäger sprang fluchend in den Sattel, die Hunde heulten, Eulen schrieen, Spukgänse schnatterten, Hvlzweibel quiekten, der Protokollführer trommelte rin seinem Bein wie verrückt, der Bieresel von Ruhla brüllte. Im Nu hatten sich zehn, zwanzig Zwerge an Arme und Beine des un¬ glücklichen jungen Mannes gehängt und zerrten ihn zu Boden. Da stieß der Uhu einen langgezognen Ruf aus, ein schwefelgelber Blitz zuckte auf,- gefolgt von einem prasselnden Donnerschlag — dann lag das Göpfersbacher Thal in tiefer Finsternis da. Die Geisterstunde war zu Ende. Von fernher klang noch einmal schauerlich, wie aus Lachen und Heulen gemischt, der Ruf eines Waldkauzes; dann war alles totenstill. Holzmacher, die im Morgengrauen zur Arbeit gingen, haben den Ingenieur unter der Buche gefunden. Er lebte noch, lag aber in todähnlichen Schlaf und war nur schwer zu ermuntern. Verstört sah er um sich und erzählte in abgerissenen Sätzen, er habe am Tage vorher das Sommerfest des Thüringer Waldvereins, Sektion Schmiedefeld, mitgemacht, dabei ziemlich lange gefrühstückt, sei dann auf dem Nachhauseweg in der Nacht irre gegangen und hier eingeschlafen. Es sei irgend etwas mit ihm geschehn, er wisse aber nicht mehr was, weil ihm der Kopf so sehr brumme. Nach einer halben Stunde hatte sich der Unglückliche soweit erholt, daß er imstande war, nach Stützerbach hinuuterzugehn, den Oberingenieur für diesen Tag wegen nervöser Dyspepsie um Urlaub zu bitten und im Wirtshaus zur wilden Katz einen Frühschoppen einzunehmen. Dort kam ihm allmählich das Gedächtnis wieder, und dort hat er mir, dem Schreiber dieser Zeilen, so ungefähr gegen sechs Uhr abends, seine Erlebnisse erzählt, und da er ein Goldensonntagskind ist, so habe ich nicht den geringsten Grund, an der Wahrheit der Geschichte zu zweifeln. Biographische Litteratur (Schluß) 11. Zur Erinnerung an Julius Jolly von Adolf Hausrath. Leipzig, S. Hirzel, 1899. VI u. 326 Seiten. Als langjähriger Freund I. Jollhs hat der Heidelberger Theolog seine eignen Erinnerungen an den bedeutendsten nationalen Staatsmann, den Süddentschland in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/208>, abgerufen am 24.05.2024.