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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Giglio

Im Jahre 1892 wurde der sonst mit unverwüstlicher Arbeitskraft aus¬
gestattete Man" vom grauen Star befallen, von dein Professor Pagenstecher
in Wiesbaden aber glücklich operiert. Auch Lungenemphysem stellte sich all¬
mählich ein, und er konnte sich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß seine
Arbeitskraft nachließ. Der Feier seines siebzigsten Geburtstags entzog er sich
durch eine Reise. Ans Anlaß des fünsundzwnuzigjährigen Gedenktags der
Allgemeinen Bestimmungen wurde ihm aus den Kreisen der Lehrer und Schul-
aufsichtsbemuteu im Jahre 1897 ein Kapital von 11000 Mark zu einer Karl
Schneidcrstiftnng übergeben, die er zur Beschaffung von Prämien für Zöglinge
der evangelischen Seminare in Berlin, Bromberg und Bunzlau, sowie eines
katholischen Seminars bestimmt hat. Auch sonst wurden ihm bei seinem Über¬
tritt in den Ruhestand zahlreiche Ehren- und Abschiedsgaben zu teil.

Schwer geprüft wurde er nach der Niederlegung seines Amts durch den
Tod einer lieblichen Enkelin und nicht lange nachher durch die Todeskrankheit
und den Heimgang seiner trefflichen, heißgeliebten Frau. Aber bei aller Trauer
und allein Weh, das ihn erfüllte, konnte er doch in der Erinnerung an das,
was ihm Gott in seiner Gattin geschenkt und mehr als vierzig Jahre gelassen
hatte, sein Buch ausklingen lassen in den Dank des 103. Psalms: "Lobe
den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat."

In ein reiches und gesegnetes Menschenleben läßt uns das Schneidersche
Buch hineinblicken. Nur mit wenig Linien konnte der vorstehende Umriß ver¬
suchen, den Inhalt des Buchs anzudeuten. Aber vielleicht reicht dieses Wenige
doch aus, weitern Kreisen Lust zu machen, das Buch selbst zu lesen. Für die
Fachleute ist es ein "Quellenbuch," dessen sie kaum werden entraten können
und wolle". Für die tiefere Würdigung der Allgemeinen Bestimmungen in
ihren Einzelheiten ist es unentbehrlich, und nie ist besseres darüber gesagt worden.
Es ist eine Fundgrube gesunder pädagogischer und methodischer Weisheit.
Aber noch wertvoller erscheint es uns als das naturgetreue Spiegelbild eiuer
ehrlichen, charaktervoller, geschlossenen Persönlichkeit.




Giglio
von Karl Gußmann

aß das "römische Pflaster," bildlich genommen, nicht gerade das
billigste und beste ist, weiß jeder Romfahrer; aber was es, wirk¬
lich genommen, ist, und woher es stammt, das wissen nur wenige
zu sagen. Es stammt von Giglio, einem Felseneiland im tos-
kanischen Archipel. Diese Insel liefert der Hauptstadt das meiste
nötige Straßeugestein, sie steht also damit, allerdings etwas werktäglich und


Grenzboten I 1901 11
Giglio

Im Jahre 1892 wurde der sonst mit unverwüstlicher Arbeitskraft aus¬
gestattete Man» vom grauen Star befallen, von dein Professor Pagenstecher
in Wiesbaden aber glücklich operiert. Auch Lungenemphysem stellte sich all¬
mählich ein, und er konnte sich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß seine
Arbeitskraft nachließ. Der Feier seines siebzigsten Geburtstags entzog er sich
durch eine Reise. Ans Anlaß des fünsundzwnuzigjährigen Gedenktags der
Allgemeinen Bestimmungen wurde ihm aus den Kreisen der Lehrer und Schul-
aufsichtsbemuteu im Jahre 1897 ein Kapital von 11000 Mark zu einer Karl
Schneidcrstiftnng übergeben, die er zur Beschaffung von Prämien für Zöglinge
der evangelischen Seminare in Berlin, Bromberg und Bunzlau, sowie eines
katholischen Seminars bestimmt hat. Auch sonst wurden ihm bei seinem Über¬
tritt in den Ruhestand zahlreiche Ehren- und Abschiedsgaben zu teil.

Schwer geprüft wurde er nach der Niederlegung seines Amts durch den
Tod einer lieblichen Enkelin und nicht lange nachher durch die Todeskrankheit
und den Heimgang seiner trefflichen, heißgeliebten Frau. Aber bei aller Trauer
und allein Weh, das ihn erfüllte, konnte er doch in der Erinnerung an das,
was ihm Gott in seiner Gattin geschenkt und mehr als vierzig Jahre gelassen
hatte, sein Buch ausklingen lassen in den Dank des 103. Psalms: „Lobe
den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat."

In ein reiches und gesegnetes Menschenleben läßt uns das Schneidersche
Buch hineinblicken. Nur mit wenig Linien konnte der vorstehende Umriß ver¬
suchen, den Inhalt des Buchs anzudeuten. Aber vielleicht reicht dieses Wenige
doch aus, weitern Kreisen Lust zu machen, das Buch selbst zu lesen. Für die
Fachleute ist es ein „Quellenbuch," dessen sie kaum werden entraten können
und wolle». Für die tiefere Würdigung der Allgemeinen Bestimmungen in
ihren Einzelheiten ist es unentbehrlich, und nie ist besseres darüber gesagt worden.
Es ist eine Fundgrube gesunder pädagogischer und methodischer Weisheit.
Aber noch wertvoller erscheint es uns als das naturgetreue Spiegelbild eiuer
ehrlichen, charaktervoller, geschlossenen Persönlichkeit.




Giglio
von Karl Gußmann

aß das „römische Pflaster," bildlich genommen, nicht gerade das
billigste und beste ist, weiß jeder Romfahrer; aber was es, wirk¬
lich genommen, ist, und woher es stammt, das wissen nur wenige
zu sagen. Es stammt von Giglio, einem Felseneiland im tos-
kanischen Archipel. Diese Insel liefert der Hauptstadt das meiste
nötige Straßeugestein, sie steht also damit, allerdings etwas werktäglich und


Grenzboten I 1901 11
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/89>, abgerufen am 02.05.2024.