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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Giglio

nur nützlich, an der Seite des marmvrspendenden Carraras, Giglio gehört zu
den kleinsten und unbekanntesten unter dem Halden Dutzend Inseln, die um
das von Fremden gleichfalls wenig besuchte Elba liegen. Und doch ist Giglio
durch einen täglich verkehrenden Dampfer über Porto Sau Stefano mit der fest¬
ländischen Hauptbahn verbunden, und drei Telegraphenstationen verbinden sie mit
dem Weltverkehr, Bekannter geworden als Giglio ist durch Dumas die 43 Kilo¬
meter davon entfernte, von Romanerinnerungen umwvbne Insel Monte Christo,
die jetzt dem Prinzen von Neapel gehört und jedes Jahr auf einige Wochen
von seiner Familie bewohnt wird; aber wer kennt Giannutri, Piauosa, Cnpraja,
Grosseto? Unzählige sind schon durch diese kleine Inselwelt gefahren, aber
selten hat sich ein Deutscher auf einen der Granitfelsen verirrt, die hier aus
dem Meere steigen. Trotzdem giebts kaum etwas Anmutigeres als die Ma¬
nischen Inseln, und die lieblichste unter ihnen ist das rebennmrankte, meer-
umrauschte, windumfächelte Giglio,

"Warum darüber schreiben? Fürwahr, ich habe keine triftige Antwort
darauf, nur daß ich das Felseneiland lieb gewann, und daß ich, ohne es zu
merken und zu beabsichtigen, sein Porträt entwarf, etwa so, wie der in Ge¬
danken vertiefte Künstler die Züge des Wesens, das er liebt, ohne es zu
wissen, skizziert." So schreibt in der Einleitung zu dem prächtig ausgestatteten
Buche: Giglio der Erzherzog Ludwig Salvator von Österreich-Toskana, der
schon mehr als eine verschollne Mittelmeerinsel gewissermaßen wiederentdeckt
hat und nun auch Giglio aus seiner Verborgenheit zieht, Giglio, "das die
Aussicht hat, in nicht gnr zu ferner Zeit ein beliebter Badeort zu werden.
Thatsächlich besitzt die ganze Westküste Italiens keinen geeignetem Platz, wo
man im Sommer die Nachmittagsstunden angenehmer im Schatten verbringen
könnte als an den sandigen, von Bergen beschützten Ufern der Ostküste von
Giglio, und dieser Umstand sichert mit Recht dem Felseneiland eine bessere
Zukunft."

Die Insel hat nnr 21 Quadratkilometer Oberfläche und 25 Kilometer
Umkreis und liegt 14 Kilometer von dem nächsten Punkt des Festlands, vom
Monte Argentario entfernt. In der Mitte erhebt sich die Pagana bis zu
498 Metern über dem Meere, verschiedne andre Felsen ragen bis 400 Meter
und höher empor. Heiß wirds freilich in dieser kleinen Bergwelt vom Juni
an, und heiß bleibts bis Mitte September; dn aber die durchschnittliche
Temperatur niemals über 25 Grad steigt, so ist die Hitze leicht zu ertragen.
Was die Kälte betrifft, so geht das Thermometer sogar bei starkem Nordwind
sast nie unter Null, sodaß der Schnee ein äußerst seltner Gast ist. An Wind
und Sturm fehlt es besonders im Winter der Insel nicht: die Tramontana.
der Levante und der Ponente herrschen vor; der Ponente kommt und geht
plötzlich, sodaß man auf Giglio zu wetterwendischen Menschen sprichwörtlich zu
sagen pflegt: I'u sei oomo it xononts!

Felsige, oft unersteigbare Ufer umgürten die Insel, und nur wo die paar
Torrenten (Wildbäche) aus tiefen Schluchten hervorbrechen, finden sich kleine


Giglio

nur nützlich, an der Seite des marmvrspendenden Carraras, Giglio gehört zu
den kleinsten und unbekanntesten unter dem Halden Dutzend Inseln, die um
das von Fremden gleichfalls wenig besuchte Elba liegen. Und doch ist Giglio
durch einen täglich verkehrenden Dampfer über Porto Sau Stefano mit der fest¬
ländischen Hauptbahn verbunden, und drei Telegraphenstationen verbinden sie mit
dem Weltverkehr, Bekannter geworden als Giglio ist durch Dumas die 43 Kilo¬
meter davon entfernte, von Romanerinnerungen umwvbne Insel Monte Christo,
die jetzt dem Prinzen von Neapel gehört und jedes Jahr auf einige Wochen
von seiner Familie bewohnt wird; aber wer kennt Giannutri, Piauosa, Cnpraja,
Grosseto? Unzählige sind schon durch diese kleine Inselwelt gefahren, aber
selten hat sich ein Deutscher auf einen der Granitfelsen verirrt, die hier aus
dem Meere steigen. Trotzdem giebts kaum etwas Anmutigeres als die Ma¬
nischen Inseln, und die lieblichste unter ihnen ist das rebennmrankte, meer-
umrauschte, windumfächelte Giglio,

„Warum darüber schreiben? Fürwahr, ich habe keine triftige Antwort
darauf, nur daß ich das Felseneiland lieb gewann, und daß ich, ohne es zu
merken und zu beabsichtigen, sein Porträt entwarf, etwa so, wie der in Ge¬
danken vertiefte Künstler die Züge des Wesens, das er liebt, ohne es zu
wissen, skizziert." So schreibt in der Einleitung zu dem prächtig ausgestatteten
Buche: Giglio der Erzherzog Ludwig Salvator von Österreich-Toskana, der
schon mehr als eine verschollne Mittelmeerinsel gewissermaßen wiederentdeckt
hat und nun auch Giglio aus seiner Verborgenheit zieht, Giglio, „das die
Aussicht hat, in nicht gnr zu ferner Zeit ein beliebter Badeort zu werden.
Thatsächlich besitzt die ganze Westküste Italiens keinen geeignetem Platz, wo
man im Sommer die Nachmittagsstunden angenehmer im Schatten verbringen
könnte als an den sandigen, von Bergen beschützten Ufern der Ostküste von
Giglio, und dieser Umstand sichert mit Recht dem Felseneiland eine bessere
Zukunft."

Die Insel hat nnr 21 Quadratkilometer Oberfläche und 25 Kilometer
Umkreis und liegt 14 Kilometer von dem nächsten Punkt des Festlands, vom
Monte Argentario entfernt. In der Mitte erhebt sich die Pagana bis zu
498 Metern über dem Meere, verschiedne andre Felsen ragen bis 400 Meter
und höher empor. Heiß wirds freilich in dieser kleinen Bergwelt vom Juni
an, und heiß bleibts bis Mitte September; dn aber die durchschnittliche
Temperatur niemals über 25 Grad steigt, so ist die Hitze leicht zu ertragen.
Was die Kälte betrifft, so geht das Thermometer sogar bei starkem Nordwind
sast nie unter Null, sodaß der Schnee ein äußerst seltner Gast ist. An Wind
und Sturm fehlt es besonders im Winter der Insel nicht: die Tramontana.
der Levante und der Ponente herrschen vor; der Ponente kommt und geht
plötzlich, sodaß man auf Giglio zu wetterwendischen Menschen sprichwörtlich zu
sagen pflegt: I'u sei oomo it xononts!

Felsige, oft unersteigbare Ufer umgürten die Insel, und nur wo die paar
Torrenten (Wildbäche) aus tiefen Schluchten hervorbrechen, finden sich kleine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/90>, abgerufen am 16.05.2024.