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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Italien und der Dreibund

ßLWMTVjtwas geht vor, man weis, nur nicht recht was, dieses ge¬
flügelte Wort kennzeichnet heute die europäische Loge. Der
französische Minister des Auswärtigen, Delcasse, hat jüngst einen
Ausflug nach Se, Petersburg gemacht und dort, wie versichert
Iwird, eine vollkommne Übereinstimmung mit seinem russischen
Kollegen, dem Grafen Lambsdorff, erzielt, also Frankreich noch fester als
bisher an die Politik Rußlands gebunden, deren asiatisch-treulose Natur
immer deutlicher hervortritt. Kurz vorher hatte die französische Flotte mit
der italienischen unter dein Oberbefehl des Herzogs von Genua in Toulon
eine -- ganz unpolitische -- Begegnung, nachdem der italienische Minister¬
präsident Zanardelli unsern Reichskanzler Grafen Bülow in Verona begrüßt
hatte. Über die Vasallenschaft Frankreichs gegenüber Rußland wundert sich
längst niemand mehr, aber die Vorgänge in Toulon erfordern etwas mehr
Aufmerksamkeit, als die meisten Organe unsrer Tagespreise in ihrem blinden
Hasse gegen England oder in agrarischen Parteiinteresse ihnen zu widmen
geneigt sind.

Der Zutritt Italiens zu dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879
hat sich am 2. Januar 1883 keineswegs ganz freiwillig, sondern unter dem
harten Zwange der Not vollzogen. Denn unter dem radikalen Ministerium
Cairoli galt Italien der deutschen Diplomatie durchaus nicht als eine friedliche
konservative Macht. Die offne Begünstigung der Jrredenta erbitterte in Öster¬
reich tief und erregte bei Fürst Bismarck den Verdacht, Italien werde sich
der russischen Kriegspartei, die seit dem Berliner Kongreß von 1878 mit
der feindseligsten Gesinnung gegen Deutschland erfüllt war, zur Verfügung
stellen, wenn ihm Landgewinu an der Ostküste der Ndria versprochen werde
(Busch, Tagebuchblätter til, 354), Er hat deshalb bei den Wiener Verhand¬
lungen im September 1879 dein Grafen Andrassy auf die Frage, ob Deutsch¬
land, wenn Österreich zum Kriege mit Italien gezwungen würde und im Falle


Grenzboten II 1901 55


Italien und der Dreibund

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flügelte Wort kennzeichnet heute die europäische Loge. Der
französische Minister des Auswärtigen, Delcasse, hat jüngst einen
Ausflug nach Se, Petersburg gemacht und dort, wie versichert
Iwird, eine vollkommne Übereinstimmung mit seinem russischen
Kollegen, dem Grafen Lambsdorff, erzielt, also Frankreich noch fester als
bisher an die Politik Rußlands gebunden, deren asiatisch-treulose Natur
immer deutlicher hervortritt. Kurz vorher hatte die französische Flotte mit
der italienischen unter dein Oberbefehl des Herzogs von Genua in Toulon
eine — ganz unpolitische — Begegnung, nachdem der italienische Minister¬
präsident Zanardelli unsern Reichskanzler Grafen Bülow in Verona begrüßt
hatte. Über die Vasallenschaft Frankreichs gegenüber Rußland wundert sich
längst niemand mehr, aber die Vorgänge in Toulon erfordern etwas mehr
Aufmerksamkeit, als die meisten Organe unsrer Tagespreise in ihrem blinden
Hasse gegen England oder in agrarischen Parteiinteresse ihnen zu widmen
geneigt sind.

Der Zutritt Italiens zu dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879
hat sich am 2. Januar 1883 keineswegs ganz freiwillig, sondern unter dem
harten Zwange der Not vollzogen. Denn unter dem radikalen Ministerium
Cairoli galt Italien der deutschen Diplomatie durchaus nicht als eine friedliche
konservative Macht. Die offne Begünstigung der Jrredenta erbitterte in Öster¬
reich tief und erregte bei Fürst Bismarck den Verdacht, Italien werde sich
der russischen Kriegspartei, die seit dem Berliner Kongreß von 1878 mit
der feindseligsten Gesinnung gegen Deutschland erfüllt war, zur Verfügung
stellen, wenn ihm Landgewinu an der Ostküste der Ndria versprochen werde
(Busch, Tagebuchblätter til, 354), Er hat deshalb bei den Wiener Verhand¬
lungen im September 1879 dein Grafen Andrassy auf die Frage, ob Deutsch¬
land, wenn Österreich zum Kriege mit Italien gezwungen würde und im Falle


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[0441] [Abbildung] Italien und der Dreibund ßLWMTVjtwas geht vor, man weis, nur nicht recht was, dieses ge¬ flügelte Wort kennzeichnet heute die europäische Loge. Der französische Minister des Auswärtigen, Delcasse, hat jüngst einen Ausflug nach Se, Petersburg gemacht und dort, wie versichert Iwird, eine vollkommne Übereinstimmung mit seinem russischen Kollegen, dem Grafen Lambsdorff, erzielt, also Frankreich noch fester als bisher an die Politik Rußlands gebunden, deren asiatisch-treulose Natur immer deutlicher hervortritt. Kurz vorher hatte die französische Flotte mit der italienischen unter dein Oberbefehl des Herzogs von Genua in Toulon eine — ganz unpolitische — Begegnung, nachdem der italienische Minister¬ präsident Zanardelli unsern Reichskanzler Grafen Bülow in Verona begrüßt hatte. Über die Vasallenschaft Frankreichs gegenüber Rußland wundert sich längst niemand mehr, aber die Vorgänge in Toulon erfordern etwas mehr Aufmerksamkeit, als die meisten Organe unsrer Tagespreise in ihrem blinden Hasse gegen England oder in agrarischen Parteiinteresse ihnen zu widmen geneigt sind. Der Zutritt Italiens zu dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879 hat sich am 2. Januar 1883 keineswegs ganz freiwillig, sondern unter dem harten Zwange der Not vollzogen. Denn unter dem radikalen Ministerium Cairoli galt Italien der deutschen Diplomatie durchaus nicht als eine friedliche konservative Macht. Die offne Begünstigung der Jrredenta erbitterte in Öster¬ reich tief und erregte bei Fürst Bismarck den Verdacht, Italien werde sich der russischen Kriegspartei, die seit dem Berliner Kongreß von 1878 mit der feindseligsten Gesinnung gegen Deutschland erfüllt war, zur Verfügung stellen, wenn ihm Landgewinu an der Ostküste der Ndria versprochen werde (Busch, Tagebuchblätter til, 354), Er hat deshalb bei den Wiener Verhand¬ lungen im September 1879 dein Grafen Andrassy auf die Frage, ob Deutsch¬ land, wenn Österreich zum Kriege mit Italien gezwungen würde und im Falle Grenzboten II 1901 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/441>, abgerufen am 05.05.2024.