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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Italien und der Dreibund

des Sieges einige seiner alte" Provinzen zurücknehmen wolle, dagegen Wider¬
spruch erheben werde, nach kurzem Besinnen geantwortet: "Nein, Italien ge¬
hört nicht zu unsern Freunden," wie Marchese Raffciele Cappelli, der damals
bei der italienischen Botschaft unter Graf Robilcmt in Wien war, in der ^uovu.
^ntoloAm (vom 1. November 1897) erzählt, und er hat noch im Januar 1880
durch deu Botschafter Prinzen Neuß in Wien geraten, man möge von dort
aus durch eine gewisse Begünstigung reaktionärer Bestrebungen in Italien die
italienische Politik in eine Verteidiguugsstelluug drängen. Ja mau traut ihm
heute in Italien zu, er habe Frankreich zur Besetzung Tunesiens im Mai 1881
ermutigt, um Italien von Frankreich zu trennen.

Gewiß war das wirklich die Folge dieser Maßregel, die den Italienern
ein seit langer Zeit begehrtes, von ihnen wirtschaftlich größtenteils beherrschtes
Gebiet entzog und ans ihm sogar eine bedrohliche Stellung machte. Völlig
isoliert, mit Frankreich bitter verfeindet, mit Österreich gespannt, von Rußland
nicht unterstützt, suchte Italien nach dem Sturze Cairolis den Anschluß an
die mitteleuropäischen Mächte und trat am 2. Januar 1883 ihrem Bündnis
bei. Das sicherte es zwar gegen einen französischen Angriff, bedeutete aber
auch den Verzicht ans die populären Bestrebungen der Jrredenta, auf Welsch¬
tirol, Jstrien und Dalniatie". Es war doch schließlich mehr, sozusagen, eine
Verstandesehc, als ein Herzensbund, und Italien hat, so wenig wie die beiden
andern Mächte, das Bertragsverhältnis niemals in dem Sinne aufgefaßt, als
ob es neben seiner Verpflichtung, in gewissen Fällen zu Verleidigiiugszweckeu
mit den beiden Kaiserreichen zusauuueuzustehn, nicht seine eignen Interessen
selbständig verfolgen könne; es hat darum vor allem eugere Fühlung mit
England gesucht, das doch eben die Herrin des Mittelmeers ist.

Daß es jetzt wenigstens ein besseres Einvernehmen mit Frankreich erstrebt,
ist offenkundig. Die erste Etappe dazu war der Handelsvertrag von 1898,
die zweite die Pariser Weltausstellung von 1900, die Tausende von gebildeten
Italienern nach der Seine führte und alte Sympathien wieder erweckte, die dritte
die Flottenbegegttung in Toulon. Daß diese Annäherung den Empfindungen
der Italiener entspricht, ist gar leine Frage. Sie wissen recht wohl, daß sie
zwar nicht ihre Einheit -- die haben sie selbst gemacht --, wohl aber deren
Voraussetzung, deu Sturz der österreichischen Herrschaft in der Lombardei, deu
Franzosen verdanke"; sie fühlen sich als deren "Schwesternation," sie sehen,
wie alle romanischen Völker, in Frankreich die stärkste "lateinische" Macht, in
Paris ihr größtes geistiges Zentrum, sie stehn in Empfindungsweise, in ihren
politischen Anschauungen, in Litteratur, Kunst und aller Kultur den Franzosen
unzweifelhaft am nächsten und kennen von allen freiudeu Sprache" am besten
die französische; sie senden alljährlich Tausende fleißiger Arbeiter "ach Süd-
frankreich hinüber, die die französische Industrie lind Landwirtschaft kaum ent¬
behren könnten, und sind mit ihrer Ausfuhr zu einem nicht geringe" Teile
ans Frankreich angewiesen. "Jeder Italiener muß sich darum, so sagt ein
Artikel in der Unavu. /Vnlalo^la vom 10, April d. I,, lebhaft über die glück-


Italien und der Dreibund

des Sieges einige seiner alte» Provinzen zurücknehmen wolle, dagegen Wider¬
spruch erheben werde, nach kurzem Besinnen geantwortet: „Nein, Italien ge¬
hört nicht zu unsern Freunden," wie Marchese Raffciele Cappelli, der damals
bei der italienischen Botschaft unter Graf Robilcmt in Wien war, in der ^uovu.
^ntoloAm (vom 1. November 1897) erzählt, und er hat noch im Januar 1880
durch deu Botschafter Prinzen Neuß in Wien geraten, man möge von dort
aus durch eine gewisse Begünstigung reaktionärer Bestrebungen in Italien die
italienische Politik in eine Verteidiguugsstelluug drängen. Ja mau traut ihm
heute in Italien zu, er habe Frankreich zur Besetzung Tunesiens im Mai 1881
ermutigt, um Italien von Frankreich zu trennen.

Gewiß war das wirklich die Folge dieser Maßregel, die den Italienern
ein seit langer Zeit begehrtes, von ihnen wirtschaftlich größtenteils beherrschtes
Gebiet entzog und ans ihm sogar eine bedrohliche Stellung machte. Völlig
isoliert, mit Frankreich bitter verfeindet, mit Österreich gespannt, von Rußland
nicht unterstützt, suchte Italien nach dem Sturze Cairolis den Anschluß an
die mitteleuropäischen Mächte und trat am 2. Januar 1883 ihrem Bündnis
bei. Das sicherte es zwar gegen einen französischen Angriff, bedeutete aber
auch den Verzicht ans die populären Bestrebungen der Jrredenta, auf Welsch¬
tirol, Jstrien und Dalniatie». Es war doch schließlich mehr, sozusagen, eine
Verstandesehc, als ein Herzensbund, und Italien hat, so wenig wie die beiden
andern Mächte, das Bertragsverhältnis niemals in dem Sinne aufgefaßt, als
ob es neben seiner Verpflichtung, in gewissen Fällen zu Verleidigiiugszweckeu
mit den beiden Kaiserreichen zusauuueuzustehn, nicht seine eignen Interessen
selbständig verfolgen könne; es hat darum vor allem eugere Fühlung mit
England gesucht, das doch eben die Herrin des Mittelmeers ist.

Daß es jetzt wenigstens ein besseres Einvernehmen mit Frankreich erstrebt,
ist offenkundig. Die erste Etappe dazu war der Handelsvertrag von 1898,
die zweite die Pariser Weltausstellung von 1900, die Tausende von gebildeten
Italienern nach der Seine führte und alte Sympathien wieder erweckte, die dritte
die Flottenbegegttung in Toulon. Daß diese Annäherung den Empfindungen
der Italiener entspricht, ist gar leine Frage. Sie wissen recht wohl, daß sie
zwar nicht ihre Einheit — die haben sie selbst gemacht —, wohl aber deren
Voraussetzung, deu Sturz der österreichischen Herrschaft in der Lombardei, deu
Franzosen verdanke»; sie fühlen sich als deren „Schwesternation," sie sehen,
wie alle romanischen Völker, in Frankreich die stärkste „lateinische" Macht, in
Paris ihr größtes geistiges Zentrum, sie stehn in Empfindungsweise, in ihren
politischen Anschauungen, in Litteratur, Kunst und aller Kultur den Franzosen
unzweifelhaft am nächsten und kennen von allen freiudeu Sprache» am besten
die französische; sie senden alljährlich Tausende fleißiger Arbeiter »ach Süd-
frankreich hinüber, die die französische Industrie lind Landwirtschaft kaum ent¬
behren könnten, und sind mit ihrer Ausfuhr zu einem nicht geringe» Teile
ans Frankreich angewiesen. „Jeder Italiener muß sich darum, so sagt ein
Artikel in der Unavu. /Vnlalo^la vom 10, April d. I,, lebhaft über die glück-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/442>, abgerufen am 25.05.2024.