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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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vermindenmg und vcrbilligung der Prozesse

Weise geordnet hätte, etwa unter der Zulassung der Beschwerde an Stelle der
Berufung oder in der Weise, daß das höhere Gericht einen Termin auf die
Beschwerde uur dann anberaume, wenn der Beschwerdeführer zugleich Anfüh-
rungen thatsächlicher Art mache, also nur wo sich die Notwendigkeit einer
nochmaligen thatsächlichen Erörterung des Streitstoffs ergäbe. Das ist aber
nicht geschehn, und jetzt ist das Rechtsmittel gegen ein wegen zwei Mark ge¬
fälltes Urteil des Einzelrichters genan ebenso gestaltet wie gegen das um den
höchsten. Betrag gefällte. Und wenn auch nnr die Frage zu entscheiden ist,
ob eine Forderung von fünf Mark der zweijährigen Verjährung unterliegt
oder nicht, so muß die Partei zur Erlangung einer Entscheidung des höhern
Gerichts einen völlig neuen Rechtszug wagen, der die Zuziehung zweier An¬
wälte erfordert und im günstigsten Falle zehn Mark kostet. Und was das
allerschlimmste ist: die Entscheidung über die Berufung gegen Urteile des Einzel¬
richters ist den Landgerichten übertragen, obwohl doch die Richter dieses Ge¬
richts durchaus nicht die Sicherheit einer bessern Entscheidung bieten als die
des Amtsgerichts, Deun während an die Obcrlandcsgerichte nur die Richter
befördert werden, die sich während einer lungern Dienstzeit durch tüchtige Leistungen
als besonders befähigt bewiesen haben, und ein Wechsel der Richter bei den
Oberlandesgcrichten nnr selten ist, sind die Richter der Landgerichte nicht be¬
fähigter als die der Amtsgerichte, Es findet auch ein häufiger Wechsel der
Landrichter, oft auch eine Vertretung durch Amtsrichter und Gerichtsasscssoren
statt, sodaß sich eine feste Rechtsprechung der Landgerichte als Berufungsgerichte
schwer bilde" kaun. Und es liegt auch in der Nntnr der Sache, daß das
Präsidium des Landgerichts nicht gerade die tüchtigsten Richter in die Bc-
rnfungskammern beruft, denn die Urteile dieser sind -- unanfechtbar, kommen
also dem höhern Gericht gar nicht zu Gesicht, Die tüchtigsten Richter werden
vielmehr verwandt zur Aburteilung der Zivilsachen, die das Landgericht in
erster Instanz entscheidet, die also -- einer Prüfung durch das Oberlandes¬
gericht und durch das Reichsgericht im Rechtsmittelznge unterliegen. Daher
kommt der bedauerliche Zustand, daß die Berufungsentscheidungen der Zivil¬
kammern kein Ansehen genießen, weder bei den Amtsgerichten noch bei den
Parteien. So gilt denn für das Rechtsmittel in Prozessen von geringerm
Streitwert, also für den Prozeß des armen Mannes der Grundsatz: "Teuer
und schlecht."


3.

Die altpreußische Gesetzgebung kannte noch ein andres Mittel, den
Prozeß des armen Mannes möglichst zu vermeiden oder zu verbilligen. Bei
Prozessen bis 150 Mark wurde nämlich nach preußischem Recht auf die Klage
nicht sofort ein Termin anberaumt; sie wurde vielmehr dem Beklagten als
sogenanntes "Zahlungsmandat" mit der Aufforderung mitgeteilt, innerhalb
kurzer Frist den Kläger zu befriedigen oder Widerspruch zu erheben. Aber
auch dieses Zahluugsmandat erging nur, wenn die Klageschrift vollständig und
schlüssig war, wenn also der in ihr vorgetragne Sachverhalt den geltend ge¬
machten Anspruch in thatsächlicher Beziehung klar machte und in rechtlicher


vermindenmg und vcrbilligung der Prozesse

Weise geordnet hätte, etwa unter der Zulassung der Beschwerde an Stelle der
Berufung oder in der Weise, daß das höhere Gericht einen Termin auf die
Beschwerde uur dann anberaume, wenn der Beschwerdeführer zugleich Anfüh-
rungen thatsächlicher Art mache, also nur wo sich die Notwendigkeit einer
nochmaligen thatsächlichen Erörterung des Streitstoffs ergäbe. Das ist aber
nicht geschehn, und jetzt ist das Rechtsmittel gegen ein wegen zwei Mark ge¬
fälltes Urteil des Einzelrichters genan ebenso gestaltet wie gegen das um den
höchsten. Betrag gefällte. Und wenn auch nnr die Frage zu entscheiden ist,
ob eine Forderung von fünf Mark der zweijährigen Verjährung unterliegt
oder nicht, so muß die Partei zur Erlangung einer Entscheidung des höhern
Gerichts einen völlig neuen Rechtszug wagen, der die Zuziehung zweier An¬
wälte erfordert und im günstigsten Falle zehn Mark kostet. Und was das
allerschlimmste ist: die Entscheidung über die Berufung gegen Urteile des Einzel¬
richters ist den Landgerichten übertragen, obwohl doch die Richter dieses Ge¬
richts durchaus nicht die Sicherheit einer bessern Entscheidung bieten als die
des Amtsgerichts, Deun während an die Obcrlandcsgerichte nur die Richter
befördert werden, die sich während einer lungern Dienstzeit durch tüchtige Leistungen
als besonders befähigt bewiesen haben, und ein Wechsel der Richter bei den
Oberlandesgcrichten nnr selten ist, sind die Richter der Landgerichte nicht be¬
fähigter als die der Amtsgerichte, Es findet auch ein häufiger Wechsel der
Landrichter, oft auch eine Vertretung durch Amtsrichter und Gerichtsasscssoren
statt, sodaß sich eine feste Rechtsprechung der Landgerichte als Berufungsgerichte
schwer bilde» kaun. Und es liegt auch in der Nntnr der Sache, daß das
Präsidium des Landgerichts nicht gerade die tüchtigsten Richter in die Bc-
rnfungskammern beruft, denn die Urteile dieser sind — unanfechtbar, kommen
also dem höhern Gericht gar nicht zu Gesicht, Die tüchtigsten Richter werden
vielmehr verwandt zur Aburteilung der Zivilsachen, die das Landgericht in
erster Instanz entscheidet, die also — einer Prüfung durch das Oberlandes¬
gericht und durch das Reichsgericht im Rechtsmittelznge unterliegen. Daher
kommt der bedauerliche Zustand, daß die Berufungsentscheidungen der Zivil¬
kammern kein Ansehen genießen, weder bei den Amtsgerichten noch bei den
Parteien. So gilt denn für das Rechtsmittel in Prozessen von geringerm
Streitwert, also für den Prozeß des armen Mannes der Grundsatz: „Teuer
und schlecht."


3.

Die altpreußische Gesetzgebung kannte noch ein andres Mittel, den
Prozeß des armen Mannes möglichst zu vermeiden oder zu verbilligen. Bei
Prozessen bis 150 Mark wurde nämlich nach preußischem Recht auf die Klage
nicht sofort ein Termin anberaumt; sie wurde vielmehr dem Beklagten als
sogenanntes „Zahlungsmandat" mit der Aufforderung mitgeteilt, innerhalb
kurzer Frist den Kläger zu befriedigen oder Widerspruch zu erheben. Aber
auch dieses Zahluugsmandat erging nur, wenn die Klageschrift vollständig und
schlüssig war, wenn also der in ihr vorgetragne Sachverhalt den geltend ge¬
machten Anspruch in thatsächlicher Beziehung klar machte und in rechtlicher


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[0126] vermindenmg und vcrbilligung der Prozesse Weise geordnet hätte, etwa unter der Zulassung der Beschwerde an Stelle der Berufung oder in der Weise, daß das höhere Gericht einen Termin auf die Beschwerde uur dann anberaume, wenn der Beschwerdeführer zugleich Anfüh- rungen thatsächlicher Art mache, also nur wo sich die Notwendigkeit einer nochmaligen thatsächlichen Erörterung des Streitstoffs ergäbe. Das ist aber nicht geschehn, und jetzt ist das Rechtsmittel gegen ein wegen zwei Mark ge¬ fälltes Urteil des Einzelrichters genan ebenso gestaltet wie gegen das um den höchsten. Betrag gefällte. Und wenn auch nnr die Frage zu entscheiden ist, ob eine Forderung von fünf Mark der zweijährigen Verjährung unterliegt oder nicht, so muß die Partei zur Erlangung einer Entscheidung des höhern Gerichts einen völlig neuen Rechtszug wagen, der die Zuziehung zweier An¬ wälte erfordert und im günstigsten Falle zehn Mark kostet. Und was das allerschlimmste ist: die Entscheidung über die Berufung gegen Urteile des Einzel¬ richters ist den Landgerichten übertragen, obwohl doch die Richter dieses Ge¬ richts durchaus nicht die Sicherheit einer bessern Entscheidung bieten als die des Amtsgerichts, Deun während an die Obcrlandcsgerichte nur die Richter befördert werden, die sich während einer lungern Dienstzeit durch tüchtige Leistungen als besonders befähigt bewiesen haben, und ein Wechsel der Richter bei den Oberlandesgcrichten nnr selten ist, sind die Richter der Landgerichte nicht be¬ fähigter als die der Amtsgerichte, Es findet auch ein häufiger Wechsel der Landrichter, oft auch eine Vertretung durch Amtsrichter und Gerichtsasscssoren statt, sodaß sich eine feste Rechtsprechung der Landgerichte als Berufungsgerichte schwer bilde» kaun. Und es liegt auch in der Nntnr der Sache, daß das Präsidium des Landgerichts nicht gerade die tüchtigsten Richter in die Bc- rnfungskammern beruft, denn die Urteile dieser sind — unanfechtbar, kommen also dem höhern Gericht gar nicht zu Gesicht, Die tüchtigsten Richter werden vielmehr verwandt zur Aburteilung der Zivilsachen, die das Landgericht in erster Instanz entscheidet, die also — einer Prüfung durch das Oberlandes¬ gericht und durch das Reichsgericht im Rechtsmittelznge unterliegen. Daher kommt der bedauerliche Zustand, daß die Berufungsentscheidungen der Zivil¬ kammern kein Ansehen genießen, weder bei den Amtsgerichten noch bei den Parteien. So gilt denn für das Rechtsmittel in Prozessen von geringerm Streitwert, also für den Prozeß des armen Mannes der Grundsatz: „Teuer und schlecht." 3. Die altpreußische Gesetzgebung kannte noch ein andres Mittel, den Prozeß des armen Mannes möglichst zu vermeiden oder zu verbilligen. Bei Prozessen bis 150 Mark wurde nämlich nach preußischem Recht auf die Klage nicht sofort ein Termin anberaumt; sie wurde vielmehr dem Beklagten als sogenanntes „Zahlungsmandat" mit der Aufforderung mitgeteilt, innerhalb kurzer Frist den Kläger zu befriedigen oder Widerspruch zu erheben. Aber auch dieses Zahluugsmandat erging nur, wenn die Klageschrift vollständig und schlüssig war, wenn also der in ihr vorgetragne Sachverhalt den geltend ge¬ machten Anspruch in thatsächlicher Beziehung klar machte und in rechtlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/126>, abgerufen am 28.04.2024.