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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Beziehung als begründet erscheinen ließ. Der Beklagte, dem der gegnerische
Anspruch bisher vielleicht an sich, aber nicht in seinen Einzelheiten und nach
seiner Begründung bekannt war, kam hierdurch in die Lage, nochmals zu
prüfen, ob der Anspruch begründet sei, und ob es lohne, wegen geringfügiger
Streitigkeiten die Kosten eines Prozesses zu wagen. Das Mnhnverfahren
mußte also notwendigerweise bei geringfügigen Streitigkeiten dem eigentlichen
Rechtsstreit vorausgehn. Die Reichszivilprozeßordnung hat auch diese Ein¬
richtung beseitigt; sie läßt das Mahnverfahreu zwar bei allen Ansprüchen, also
ohne Rücksicht auf die Höhe des Betrags zu, aber ganz nach Willkür und
Ermessen des Klägers. Dieser kann auch wegen des geringsten Anspruchs
vom Mahnverfahren absehen und sofort klagen, also auch wenn er voraussieht,
daß der Gegner den Anspruch anerkennen wird, nach seinein Ermessen dem
Gegner größere oder geringere Kosten verursachen.

Dabei ist dieses Mahnverfahren so unpraktisch wie möglich; während das
Zahlungsmcmdat des altpreußischen Prozesses nur erlassen wurde auf Grund
einer in rechtlicher und thatsächlicher Beziehung vollständigen Klageschrift, die
dem Beklagten mitgeteilt wurde und ihn zur erneuten Prüfung des geltend
gemachten Anspruchs in stand setzte, wird gegenwärtig als Grundlage des
Mahnverfahrens jedes noch so unvollständige Schriftstück zugelassen, und der
Beklagte erhält dann vom Gericht einen Zahlungsbefehl, durch den er auf¬
gefordert wird, an den Kläger einen Betrag zu zahlen als "Rest für gelieferte
Waren aus den Jahren 1900/1901," "Arbeitslohn für geleistete Dienste aus
dem vorigen Jahre," "Mietrückstand vom vorigen November," sodaß der Be¬
klagte, der mit dem Klüger vielleicht in umfangreicher Geschäftsverbindung ge¬
standen hat, viele Dienste geleistet erhalten, aber auch seinerseits mehrere Zah¬
lungen geleistet hat, gar nicht in der Lage ist, prüfen und sich entschließen zu
können, ob dein Gegner uoch ein Anspruch zusteht, und ob es lohnt, deswegen
den Kampf ums Recht zu wagen.

Auch auf eine andre Seite dieses unpraktischen Mahnverfahrens mag
noch hingewiesen werden. Nach altpreußischen Recht erhielt, wenn der Be¬
klagte nicht binnen der Frist Widerspruch erhoben hatte, der Kläger vom Ge¬
richt ohne jedes weitere Zuthun die Nachricht hiervon; diese Benachrichtigung
stellte sich dar als das, was wir heute einen Vollstreckungsbcfehl nennen. Bei
dieser Benachrichtigung wurde dem Kläger der geringe Kostenbetrag für das
Zahlungsmandat abgefordert. Anders heute: der Kläger erhält den mit Zu¬
stellungsurkunde versehenen Zahlungsbefehl vom Gerichtsvollzieher unter Nach¬
nahme der bisher entstandnen Kosten; dann mag der Kläger nach Ablauf der
Widerspmchsfrist diesen Zahlungsbefehl dem Gerichte einreichen und hübsch
einen neuen Antrag stelle" auf Erlaß des Vollstreckungsbefehls. Den letzten
erhält er sodann wiederum mit einer Zustellungsurkunde unter nochmaliger
Nachnahme der entstandnen Kosten vom Gerichtsvollzieher zurück, also zwei
Anträge, zwei Beschlüsse und doppelte Kostenfordemug, wo doch ein Antrag,
ein Beschluß und einmalige Kostenzahluug vollständig genügen würden.


Beziehung als begründet erscheinen ließ. Der Beklagte, dem der gegnerische
Anspruch bisher vielleicht an sich, aber nicht in seinen Einzelheiten und nach
seiner Begründung bekannt war, kam hierdurch in die Lage, nochmals zu
prüfen, ob der Anspruch begründet sei, und ob es lohne, wegen geringfügiger
Streitigkeiten die Kosten eines Prozesses zu wagen. Das Mnhnverfahren
mußte also notwendigerweise bei geringfügigen Streitigkeiten dem eigentlichen
Rechtsstreit vorausgehn. Die Reichszivilprozeßordnung hat auch diese Ein¬
richtung beseitigt; sie läßt das Mahnverfahreu zwar bei allen Ansprüchen, also
ohne Rücksicht auf die Höhe des Betrags zu, aber ganz nach Willkür und
Ermessen des Klägers. Dieser kann auch wegen des geringsten Anspruchs
vom Mahnverfahren absehen und sofort klagen, also auch wenn er voraussieht,
daß der Gegner den Anspruch anerkennen wird, nach seinein Ermessen dem
Gegner größere oder geringere Kosten verursachen.

Dabei ist dieses Mahnverfahren so unpraktisch wie möglich; während das
Zahlungsmcmdat des altpreußischen Prozesses nur erlassen wurde auf Grund
einer in rechtlicher und thatsächlicher Beziehung vollständigen Klageschrift, die
dem Beklagten mitgeteilt wurde und ihn zur erneuten Prüfung des geltend
gemachten Anspruchs in stand setzte, wird gegenwärtig als Grundlage des
Mahnverfahrens jedes noch so unvollständige Schriftstück zugelassen, und der
Beklagte erhält dann vom Gericht einen Zahlungsbefehl, durch den er auf¬
gefordert wird, an den Kläger einen Betrag zu zahlen als „Rest für gelieferte
Waren aus den Jahren 1900/1901," „Arbeitslohn für geleistete Dienste aus
dem vorigen Jahre," „Mietrückstand vom vorigen November," sodaß der Be¬
klagte, der mit dem Klüger vielleicht in umfangreicher Geschäftsverbindung ge¬
standen hat, viele Dienste geleistet erhalten, aber auch seinerseits mehrere Zah¬
lungen geleistet hat, gar nicht in der Lage ist, prüfen und sich entschließen zu
können, ob dein Gegner uoch ein Anspruch zusteht, und ob es lohnt, deswegen
den Kampf ums Recht zu wagen.

Auch auf eine andre Seite dieses unpraktischen Mahnverfahrens mag
noch hingewiesen werden. Nach altpreußischen Recht erhielt, wenn der Be¬
klagte nicht binnen der Frist Widerspruch erhoben hatte, der Kläger vom Ge¬
richt ohne jedes weitere Zuthun die Nachricht hiervon; diese Benachrichtigung
stellte sich dar als das, was wir heute einen Vollstreckungsbcfehl nennen. Bei
dieser Benachrichtigung wurde dem Kläger der geringe Kostenbetrag für das
Zahlungsmandat abgefordert. Anders heute: der Kläger erhält den mit Zu¬
stellungsurkunde versehenen Zahlungsbefehl vom Gerichtsvollzieher unter Nach¬
nahme der bisher entstandnen Kosten; dann mag der Kläger nach Ablauf der
Widerspmchsfrist diesen Zahlungsbefehl dem Gerichte einreichen und hübsch
einen neuen Antrag stelle« auf Erlaß des Vollstreckungsbefehls. Den letzten
erhält er sodann wiederum mit einer Zustellungsurkunde unter nochmaliger
Nachnahme der entstandnen Kosten vom Gerichtsvollzieher zurück, also zwei
Anträge, zwei Beschlüsse und doppelte Kostenfordemug, wo doch ein Antrag,
ein Beschluß und einmalige Kostenzahluug vollständig genügen würden.


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[0127] Beziehung als begründet erscheinen ließ. Der Beklagte, dem der gegnerische Anspruch bisher vielleicht an sich, aber nicht in seinen Einzelheiten und nach seiner Begründung bekannt war, kam hierdurch in die Lage, nochmals zu prüfen, ob der Anspruch begründet sei, und ob es lohne, wegen geringfügiger Streitigkeiten die Kosten eines Prozesses zu wagen. Das Mnhnverfahren mußte also notwendigerweise bei geringfügigen Streitigkeiten dem eigentlichen Rechtsstreit vorausgehn. Die Reichszivilprozeßordnung hat auch diese Ein¬ richtung beseitigt; sie läßt das Mahnverfahreu zwar bei allen Ansprüchen, also ohne Rücksicht auf die Höhe des Betrags zu, aber ganz nach Willkür und Ermessen des Klägers. Dieser kann auch wegen des geringsten Anspruchs vom Mahnverfahren absehen und sofort klagen, also auch wenn er voraussieht, daß der Gegner den Anspruch anerkennen wird, nach seinein Ermessen dem Gegner größere oder geringere Kosten verursachen. Dabei ist dieses Mahnverfahren so unpraktisch wie möglich; während das Zahlungsmcmdat des altpreußischen Prozesses nur erlassen wurde auf Grund einer in rechtlicher und thatsächlicher Beziehung vollständigen Klageschrift, die dem Beklagten mitgeteilt wurde und ihn zur erneuten Prüfung des geltend gemachten Anspruchs in stand setzte, wird gegenwärtig als Grundlage des Mahnverfahrens jedes noch so unvollständige Schriftstück zugelassen, und der Beklagte erhält dann vom Gericht einen Zahlungsbefehl, durch den er auf¬ gefordert wird, an den Kläger einen Betrag zu zahlen als „Rest für gelieferte Waren aus den Jahren 1900/1901," „Arbeitslohn für geleistete Dienste aus dem vorigen Jahre," „Mietrückstand vom vorigen November," sodaß der Be¬ klagte, der mit dem Klüger vielleicht in umfangreicher Geschäftsverbindung ge¬ standen hat, viele Dienste geleistet erhalten, aber auch seinerseits mehrere Zah¬ lungen geleistet hat, gar nicht in der Lage ist, prüfen und sich entschließen zu können, ob dein Gegner uoch ein Anspruch zusteht, und ob es lohnt, deswegen den Kampf ums Recht zu wagen. Auch auf eine andre Seite dieses unpraktischen Mahnverfahrens mag noch hingewiesen werden. Nach altpreußischen Recht erhielt, wenn der Be¬ klagte nicht binnen der Frist Widerspruch erhoben hatte, der Kläger vom Ge¬ richt ohne jedes weitere Zuthun die Nachricht hiervon; diese Benachrichtigung stellte sich dar als das, was wir heute einen Vollstreckungsbcfehl nennen. Bei dieser Benachrichtigung wurde dem Kläger der geringe Kostenbetrag für das Zahlungsmandat abgefordert. Anders heute: der Kläger erhält den mit Zu¬ stellungsurkunde versehenen Zahlungsbefehl vom Gerichtsvollzieher unter Nach¬ nahme der bisher entstandnen Kosten; dann mag der Kläger nach Ablauf der Widerspmchsfrist diesen Zahlungsbefehl dem Gerichte einreichen und hübsch einen neuen Antrag stelle« auf Erlaß des Vollstreckungsbefehls. Den letzten erhält er sodann wiederum mit einer Zustellungsurkunde unter nochmaliger Nachnahme der entstandnen Kosten vom Gerichtsvollzieher zurück, also zwei Anträge, zwei Beschlüsse und doppelte Kostenfordemug, wo doch ein Antrag, ein Beschluß und einmalige Kostenzahluug vollständig genügen würden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/127>, abgerufen am 13.05.2024.