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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gleiche nur unsre Kriegs- und Handelsflotte mit der der übrigen Großmächte.
Das schließt aber nicht aus, daß wir in gutem Einvernehmen mit den andern, be¬
sonders mit England, von Jahr zu Jahr an Fahrwasser gewinnen können. Nicht
im Kurs, Wohl aber mit dem Kurs Englands müssen wir segeln, wenn wir Er¬
folg haben wollen!

Vieles fehlt uns Deutschen als Neulingen noch im Weltverkehr. Zunächst
reden und schreiben wir zu viel über unsre eignen Schwächen. Wenn man die
Artikel verfolgt, die über unsre Kriegführung in China jetzt schon in die Presse
gelangt sind, dann sollte man glauben, wir wären mit knapper Not einem "Jena"
entgangen. Vou den "Hunnenbriefen" will ich gar nicht sprechen, denn wer
"renommierende und sanguinische Briefe" Halbgebildeter, die zum erstenmal die
heimatliche Scholle verlassen haben, und denen der Kamm infolge der "patriotischen"
Abschiedsfeiern geschwollen war, für ernst nimmt, der richtet sich. Jede Maßnahme
der Regierung, ob sie in ihrer Tragweite schon übersehen werden kann oder nicht,
wird ohne weiteres in den öffentlichen Blättern kritisiert. Man müßte lernen,
hier die rechte Mitte zu finden, das, was dem Ansehen des Staates schädlich sein
könnte, für sich behalten. Deswegen braucht man noch nicht in einen Optimismus
zu verfallen, wie ihn England dem Burenkriege gegenüber in der Mehrzahl seiner
Zeitungen zur Schau trägt.

Im Zusammenhang hiermit steht unser unzureichendes Selbstbewußtsein. Noch
immer neigen wir dazu, uns allem Fremden und darum Neuem ohne weiteres zu¬
zuwenden. Der Ausländer nützt diese deutsche Schwäche aus. In deutscher
Liebenswürdigkeit lassen wir uns zu viel bieten, besonders von den uns an National¬
gefühl überlegnen Engländer". Hoffentlich streifen wir, je mehr von uns die weite
Welt kennen lernen, dieses "Micheltum" ab. Und wenn wir uns von England
nicht als "Gefolgschaft" behandeln lassen -- und hierzu bietet unsre jüngste Reichs¬
politik nicht den leisesten Anlaß --, können wir von ihm Zugeständnisse verlangen.
Eine gute Lehre ist dem englischen Selbstbewußtsein kürzlich auf dem ostasiatischen
Kriegsschauplatz zu teil geworden. Reibereien zwischen französischen und englischen
Soldaten in den Straßen Tientsins, wobei die einen ebenso den Anlaß geboten
hatten wie die andern, führten dahin, daß durch Befehl des englischen Garnison-
ältesten den französischen Soldaten der Zutritt zur englischen Niederlassung in
schroffster Weise verboten wurde. Ein ähnliches Ansinnen wurde an den Kom¬
mandeur des deutschen Expeditionskorps gerichtet. Während sich die Franzosen auf
Unterhandlungen einließen, antwortete dieser, er lehne ein Eingehn ans die Forde¬
rung ab, er würde für jeden seiner Untergebnen persönlich einstehn! Das war
eine deutsche Antwort!









Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Mcirquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

gleiche nur unsre Kriegs- und Handelsflotte mit der der übrigen Großmächte.
Das schließt aber nicht aus, daß wir in gutem Einvernehmen mit den andern, be¬
sonders mit England, von Jahr zu Jahr an Fahrwasser gewinnen können. Nicht
im Kurs, Wohl aber mit dem Kurs Englands müssen wir segeln, wenn wir Er¬
folg haben wollen!

Vieles fehlt uns Deutschen als Neulingen noch im Weltverkehr. Zunächst
reden und schreiben wir zu viel über unsre eignen Schwächen. Wenn man die
Artikel verfolgt, die über unsre Kriegführung in China jetzt schon in die Presse
gelangt sind, dann sollte man glauben, wir wären mit knapper Not einem „Jena"
entgangen. Vou den „Hunnenbriefen" will ich gar nicht sprechen, denn wer
„renommierende und sanguinische Briefe" Halbgebildeter, die zum erstenmal die
heimatliche Scholle verlassen haben, und denen der Kamm infolge der „patriotischen"
Abschiedsfeiern geschwollen war, für ernst nimmt, der richtet sich. Jede Maßnahme
der Regierung, ob sie in ihrer Tragweite schon übersehen werden kann oder nicht,
wird ohne weiteres in den öffentlichen Blättern kritisiert. Man müßte lernen,
hier die rechte Mitte zu finden, das, was dem Ansehen des Staates schädlich sein
könnte, für sich behalten. Deswegen braucht man noch nicht in einen Optimismus
zu verfallen, wie ihn England dem Burenkriege gegenüber in der Mehrzahl seiner
Zeitungen zur Schau trägt.

Im Zusammenhang hiermit steht unser unzureichendes Selbstbewußtsein. Noch
immer neigen wir dazu, uns allem Fremden und darum Neuem ohne weiteres zu¬
zuwenden. Der Ausländer nützt diese deutsche Schwäche aus. In deutscher
Liebenswürdigkeit lassen wir uns zu viel bieten, besonders von den uns an National¬
gefühl überlegnen Engländer». Hoffentlich streifen wir, je mehr von uns die weite
Welt kennen lernen, dieses „Micheltum" ab. Und wenn wir uns von England
nicht als „Gefolgschaft" behandeln lassen — und hierzu bietet unsre jüngste Reichs¬
politik nicht den leisesten Anlaß —, können wir von ihm Zugeständnisse verlangen.
Eine gute Lehre ist dem englischen Selbstbewußtsein kürzlich auf dem ostasiatischen
Kriegsschauplatz zu teil geworden. Reibereien zwischen französischen und englischen
Soldaten in den Straßen Tientsins, wobei die einen ebenso den Anlaß geboten
hatten wie die andern, führten dahin, daß durch Befehl des englischen Garnison-
ältesten den französischen Soldaten der Zutritt zur englischen Niederlassung in
schroffster Weise verboten wurde. Ein ähnliches Ansinnen wurde an den Kom¬
mandeur des deutschen Expeditionskorps gerichtet. Während sich die Franzosen auf
Unterhandlungen einließen, antwortete dieser, er lehne ein Eingehn ans die Forde¬
rung ab, er würde für jeden seiner Untergebnen persönlich einstehn! Das war
eine deutsche Antwort!









Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Mcirquart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/152>, abgerufen am 28.04.2024.