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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Line Denkschrift des Ministers Witte

n Stuttgart ist von der Redaktion einer russischen Zeitschrift,
die sich "Morgenröte" meint, eben eine höchst merkwürdige
Schrift herausgegeben worden, Sie ist russisch gedruckt, betitelt
sich "Selbstherrschaft und Landschaft" und enthält eine Denk¬
schrift des russischen Finanzministers Witte über die russischen
Landschaftsinstitutionen. Sie erscheint als Streitschrift gegen eine Denkschrift
des ehemaligen Ministers des Innern Goreiuykin, die ihrerseits durch eine
Denkschrift Wildes hervorgerufen worden war, und in der Goreiuykin seinen
Plan verteidigte, die Landschaftsinstitutionen in dem sogenannte!, Westgebiet
einzuführen.

Wenn es sich bloß darum handelte, nachzuweisen, daß der Plan Goremykins
gänzlich verfehlt sei, so wäre dazu, besonders in einer deutschen Zeitschrift,
nichts weiter zu sagen. Witte hätte vollkommen Recht, und Goremykin, weil
er vollkommen Unrecht hatte, mußte seiner Wege gehn. Aber hier ist sehr
viel mehr als ein Streit um die Einführung der Landschaft im Westen; hier
ist ein Prinzipienstreit ersten Ranges, geführt von einem Minister ersten Ranges
nicht nur gegen einen Kollegen, sondern gegen das halbe Rußland oder drei
Viertel von Rußland. Es handelt sich darum, ob Nußland bureaukmtisch-
absvlut bleiben oder in konstitutionelle Bahnen geleitet werden soll.

Was die Meinung Goremhkins sei, kann uns gleichgiltig sei", um so mehr,
als man aus dieser Streitschrift diese Meinung nicht deutlich zu erkennen ver¬
mag. Die Meinung eines so gewaltigen Mannes wie Witte aber interessiert
uns sehr, lind er sagt sie uns am Schlüsse der Schrift mit klaren Worten.
^ hält die modernen Konstitutionen für die große Lüge unsrer Zeit und ihre
Anwendung auf Rußland für das sichere Mittel der Auflösung dieses Reichs.
Darin mag er wohl nicht Unrecht haben. Nun aber erklärt er selbst, daß es
so wie jetzt mit der Verwaltung des Reichs nicht weiter gehn könne, weil
Zwei feindliche Prinzipien einander in der Verwaltung bekämpften: die staat¬
liche Bureaukratie und die Organe der landschaftliche" Selbstverwaltung, jene


Grmzbowi III 1901 31


Line Denkschrift des Ministers Witte

n Stuttgart ist von der Redaktion einer russischen Zeitschrift,
die sich „Morgenröte" meint, eben eine höchst merkwürdige
Schrift herausgegeben worden, Sie ist russisch gedruckt, betitelt
sich „Selbstherrschaft und Landschaft" und enthält eine Denk¬
schrift des russischen Finanzministers Witte über die russischen
Landschaftsinstitutionen. Sie erscheint als Streitschrift gegen eine Denkschrift
des ehemaligen Ministers des Innern Goreiuykin, die ihrerseits durch eine
Denkschrift Wildes hervorgerufen worden war, und in der Goreiuykin seinen
Plan verteidigte, die Landschaftsinstitutionen in dem sogenannte!, Westgebiet
einzuführen.

Wenn es sich bloß darum handelte, nachzuweisen, daß der Plan Goremykins
gänzlich verfehlt sei, so wäre dazu, besonders in einer deutschen Zeitschrift,
nichts weiter zu sagen. Witte hätte vollkommen Recht, und Goremykin, weil
er vollkommen Unrecht hatte, mußte seiner Wege gehn. Aber hier ist sehr
viel mehr als ein Streit um die Einführung der Landschaft im Westen; hier
ist ein Prinzipienstreit ersten Ranges, geführt von einem Minister ersten Ranges
nicht nur gegen einen Kollegen, sondern gegen das halbe Rußland oder drei
Viertel von Rußland. Es handelt sich darum, ob Nußland bureaukmtisch-
absvlut bleiben oder in konstitutionelle Bahnen geleitet werden soll.

Was die Meinung Goremhkins sei, kann uns gleichgiltig sei», um so mehr,
als man aus dieser Streitschrift diese Meinung nicht deutlich zu erkennen ver¬
mag. Die Meinung eines so gewaltigen Mannes wie Witte aber interessiert
uns sehr, lind er sagt sie uns am Schlüsse der Schrift mit klaren Worten.
^ hält die modernen Konstitutionen für die große Lüge unsrer Zeit und ihre
Anwendung auf Rußland für das sichere Mittel der Auflösung dieses Reichs.
Darin mag er wohl nicht Unrecht haben. Nun aber erklärt er selbst, daß es
so wie jetzt mit der Verwaltung des Reichs nicht weiter gehn könne, weil
Zwei feindliche Prinzipien einander in der Verwaltung bekämpften: die staat¬
liche Bureaukratie und die Organe der landschaftliche» Selbstverwaltung, jene


Grmzbowi III 1901 31
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[0249] [Abbildung] Line Denkschrift des Ministers Witte n Stuttgart ist von der Redaktion einer russischen Zeitschrift, die sich „Morgenröte" meint, eben eine höchst merkwürdige Schrift herausgegeben worden, Sie ist russisch gedruckt, betitelt sich „Selbstherrschaft und Landschaft" und enthält eine Denk¬ schrift des russischen Finanzministers Witte über die russischen Landschaftsinstitutionen. Sie erscheint als Streitschrift gegen eine Denkschrift des ehemaligen Ministers des Innern Goreiuykin, die ihrerseits durch eine Denkschrift Wildes hervorgerufen worden war, und in der Goreiuykin seinen Plan verteidigte, die Landschaftsinstitutionen in dem sogenannte!, Westgebiet einzuführen. Wenn es sich bloß darum handelte, nachzuweisen, daß der Plan Goremykins gänzlich verfehlt sei, so wäre dazu, besonders in einer deutschen Zeitschrift, nichts weiter zu sagen. Witte hätte vollkommen Recht, und Goremykin, weil er vollkommen Unrecht hatte, mußte seiner Wege gehn. Aber hier ist sehr viel mehr als ein Streit um die Einführung der Landschaft im Westen; hier ist ein Prinzipienstreit ersten Ranges, geführt von einem Minister ersten Ranges nicht nur gegen einen Kollegen, sondern gegen das halbe Rußland oder drei Viertel von Rußland. Es handelt sich darum, ob Nußland bureaukmtisch- absvlut bleiben oder in konstitutionelle Bahnen geleitet werden soll. Was die Meinung Goremhkins sei, kann uns gleichgiltig sei», um so mehr, als man aus dieser Streitschrift diese Meinung nicht deutlich zu erkennen ver¬ mag. Die Meinung eines so gewaltigen Mannes wie Witte aber interessiert uns sehr, lind er sagt sie uns am Schlüsse der Schrift mit klaren Worten. ^ hält die modernen Konstitutionen für die große Lüge unsrer Zeit und ihre Anwendung auf Rußland für das sichere Mittel der Auflösung dieses Reichs. Darin mag er wohl nicht Unrecht haben. Nun aber erklärt er selbst, daß es so wie jetzt mit der Verwaltung des Reichs nicht weiter gehn könne, weil Zwei feindliche Prinzipien einander in der Verwaltung bekämpften: die staat¬ liche Bureaukratie und die Organe der landschaftliche» Selbstverwaltung, jene Grmzbowi III 1901 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/249>, abgerufen am 28.04.2024.