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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der wildfang

Neapel zurück, für die wir auf der Hinreise zu Lande achtundvierzig Stunden
gebraucht haben. Um vier Uhr morgens sind wir im Bereich Cnpris und
des Vesuvs; eine lebhafte Westbrise drückt seiue Rauchwolke landeinwärts, und
auf Capri zusteuernd und gegen die Wellen ankämpfend erinnert unser wackres
Fahrzeug an das berühmteste Wort des berühmten Mannes, dessen Namen
es trägt: Es bewegt sich doch und zwar recht bedenklich. Hinaus aus der
Kabine fürchterlicher Enge! Herrlich und erfrischend für Magen und Nerven ist
nächst der Tasse Kaffee im Salon die Luft oben auf dem Deck, herrlicher und
erfrischender noch für Auge und Geist die Einfahrt in den Golf von Neapel
an Capri vorbei, und der Blick ans den Kegel des Vesuvs und auf die wei߬
schimmernde Stadt.




Der Wildfang
Adolf Schmitthenner von

ildfang! Wildfang! klang es durch die kurze Gasse. Das Heidel¬
berger Bürschlein, das so gerufen hatte, wartete eine Weile, ob der
Kesselflicker, der eben in der kurfürstlichen Kanzlei verschwunden war,
wieder herauskomme.

Der Platz war günstig: das Rnferlein stand im Schatte" der
hohen Mauer des Barfüßerklofters, und man konnte von seinem
Standort nach verschiednen Seiten hin ausreisten. Aber Wartenkönnen war noch
nie eine besondre Tugend der Heidelberger Jungen gewesen.

Wildfnng! rief das Bübchen uoch einmal aus Leibeskräften die Kanzleigasse
hinauf, dann ging es pfeifend von dannen.

Um dieselbe Zeit begegneten sich zwanzig Schritte davon zwei Männer, der
eine ging würdevoll, der andre hatte es eilig.

In den Rat? fragte den Schwertfegermeister Johannes der kurfürstliche Apo¬
theker. Johannes, der auf das Wildfang! gelauscht hatte, sah den Fragenden ge¬
dankenvoll an und nickte. Gleich darauf blieb er stehn und schaute zurück. Es
war ihm eingefallen, daß er hätte antworten sollen: Nein, zur Glockenschnu! Aber
der Nachbar bog eben hurtig in die Kanzleigasse ein; dem war es Wohl nicht so
wichtig gewesen mit seiner Frage.

Johannes nahm die schwarze Mappe, die er in der rechten Hand getragen
hatte, unter den linken Arm und zupfte den breiten Weißen Kragen über seinem
Mantel zurecht. Dann ging er langsam seines Wegs weiter, den Burgweg vollends
hinab, um Kloster vorbei, am Marktplatze hin, auf die Heiliggeistkirche zu.

Als er vor dem schmalen, niederm Turmvförtlein stand, schob er einen Scheine!
zur Seite, der den Zugang versperrte. Der Schemel gehörte dem Geschirrhändler,
der zwischen den beiden nächsten Strebepfeilern zur rechten Hand seine Bude hatte.
Guten Morgen, Meister! grüßte der Mann aus seinem Leibchen heraus. Johannes
winkte dankend mit der Hand, dann holte er einen breiten Schlüsselbund aus seinem
Mantel hervor und hielt ihn vor sich in die Sonne. Die Sonne kam von hinter-
her; unter ihrem Glitzern leuchtete das weiße Haar milden Scheines auf dem


Der wildfang

Neapel zurück, für die wir auf der Hinreise zu Lande achtundvierzig Stunden
gebraucht haben. Um vier Uhr morgens sind wir im Bereich Cnpris und
des Vesuvs; eine lebhafte Westbrise drückt seiue Rauchwolke landeinwärts, und
auf Capri zusteuernd und gegen die Wellen ankämpfend erinnert unser wackres
Fahrzeug an das berühmteste Wort des berühmten Mannes, dessen Namen
es trägt: Es bewegt sich doch und zwar recht bedenklich. Hinaus aus der
Kabine fürchterlicher Enge! Herrlich und erfrischend für Magen und Nerven ist
nächst der Tasse Kaffee im Salon die Luft oben auf dem Deck, herrlicher und
erfrischender noch für Auge und Geist die Einfahrt in den Golf von Neapel
an Capri vorbei, und der Blick ans den Kegel des Vesuvs und auf die wei߬
schimmernde Stadt.




Der Wildfang
Adolf Schmitthenner von

ildfang! Wildfang! klang es durch die kurze Gasse. Das Heidel¬
berger Bürschlein, das so gerufen hatte, wartete eine Weile, ob der
Kesselflicker, der eben in der kurfürstlichen Kanzlei verschwunden war,
wieder herauskomme.

Der Platz war günstig: das Rnferlein stand im Schatte« der
hohen Mauer des Barfüßerklofters, und man konnte von seinem
Standort nach verschiednen Seiten hin ausreisten. Aber Wartenkönnen war noch
nie eine besondre Tugend der Heidelberger Jungen gewesen.

Wildfnng! rief das Bübchen uoch einmal aus Leibeskräften die Kanzleigasse
hinauf, dann ging es pfeifend von dannen.

Um dieselbe Zeit begegneten sich zwanzig Schritte davon zwei Männer, der
eine ging würdevoll, der andre hatte es eilig.

In den Rat? fragte den Schwertfegermeister Johannes der kurfürstliche Apo¬
theker. Johannes, der auf das Wildfang! gelauscht hatte, sah den Fragenden ge¬
dankenvoll an und nickte. Gleich darauf blieb er stehn und schaute zurück. Es
war ihm eingefallen, daß er hätte antworten sollen: Nein, zur Glockenschnu! Aber
der Nachbar bog eben hurtig in die Kanzleigasse ein; dem war es Wohl nicht so
wichtig gewesen mit seiner Frage.

Johannes nahm die schwarze Mappe, die er in der rechten Hand getragen
hatte, unter den linken Arm und zupfte den breiten Weißen Kragen über seinem
Mantel zurecht. Dann ging er langsam seines Wegs weiter, den Burgweg vollends
hinab, um Kloster vorbei, am Marktplatze hin, auf die Heiliggeistkirche zu.

Als er vor dem schmalen, niederm Turmvförtlein stand, schob er einen Scheine!
zur Seite, der den Zugang versperrte. Der Schemel gehörte dem Geschirrhändler,
der zwischen den beiden nächsten Strebepfeilern zur rechten Hand seine Bude hatte.
Guten Morgen, Meister! grüßte der Mann aus seinem Leibchen heraus. Johannes
winkte dankend mit der Hand, dann holte er einen breiten Schlüsselbund aus seinem
Mantel hervor und hielt ihn vor sich in die Sonne. Die Sonne kam von hinter-
her; unter ihrem Glitzern leuchtete das weiße Haar milden Scheines auf dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/40>, abgerufen am 28.04.2024.