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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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auf, daß die Gewalt zwar lokalisiert werden dürfe, die höhere Einsicht aber
mir zentralisiert den höchsten Nutzen stifte; daß also die Regierung die besten
Kräfte an sich ziehn müsse, um sie zur Beaufsichtigung der Lokalverwaltungen
zu verwenden. Charakteristisch für England ist nach Redlich, wie dieser
Grundsatz zum erstenmale, schon vor Mills Auftreten, zur Anwendung gelangt
ist. ES geschah in dem Schulgesetz von 1839, demzufolge Schulen, die um
den Stnatszuschuß einkamen, sich der Inspektion durch Regierungsbeamte unter¬
werfen mußten. Es gab also eine Schulinspektion, ehe es Staatsschulen gab.
(Im Grunde genommen ist das auch in Preußen, und zwar ganz allgemein
der Fall, denn die Volksschulen sind ja keine Staatsanstalten, ihre Lehrer aber
sind halb Staatsbeamte, halb Gemeinde- und Kirchenbeamte.) Der Fortschritt
der Verwaltnngsrefvrm belohnte sich durch einen glänzenden Aufschwung der
Städte in den sechziger Jahren, und so stießen die dritte Wahlreform von
188ö und die ihr folgende Vcrwaltungsreform von 1888, abgesehen vom
Oberhause, nur noch auf geringen Widerstand. Durch die zweite wurde der
Friedensrichter, von den: vor hundert Jahren Lord Coke gesagt hatte, daß die
christliche Welt seinesgleichen nicht kenne, entthront, wenigstens in der Stadt.
Eine Landgemeindeordnung (Paris!)- und District Councils Bill) krönte dann
1894 das Gebäude.




Die Wohnungs- und Bodenpolitik in Großberlin
(Fortsetzung)

is der in Ur. 33 vom 15. August erschienene erste Teil dieses
Aufsatzes schon im Druck war, wurden die ersten beiden Bünde*)
der von Verein für Sozialpolitik veranstalteten "Neuen Unter¬
suchungen über die Wohnungsfrage in Deutschland und im Aus¬
land" an die Vereinsmitglieder ausgegeben. Ihr Inhalt ist so
wertvoll und greift so unmittelbar in die hier behandelte Frage ein, daß wir
auf ihn eingehn müssen, ja daß es eine Hauptaufgabe der weitern Besprechung
unsers Themas sein wird, sich mit ihm auseinander zu setzen. Die beiden Bände
bringen eine Reihe von Abhandlungen, ans denen der Stand der Wohnungs¬
frage und der Wohnungsreformbewegung, zugleich aber auch recht deutlich her¬
vorgeht, daß bei aller Anerkennung, die der gute Wille und der große Eifer
dieser Wohuungsreformer verdienen, die ganze "Bewegung" in falsche Bahnen
zu geraten droht, ja zum Teil schon tief in sie geraten ist. Sie geben ein



*) Inzwischen sind noch zwei weitere Bände erschienen, von denen einer als zweite
Abteilung von Band I bezeichnet ist. In diesem Artikel konnten also nur berücksichtigt werden:
Band I, erste Abteilung, und Band 1l.

auf, daß die Gewalt zwar lokalisiert werden dürfe, die höhere Einsicht aber
mir zentralisiert den höchsten Nutzen stifte; daß also die Regierung die besten
Kräfte an sich ziehn müsse, um sie zur Beaufsichtigung der Lokalverwaltungen
zu verwenden. Charakteristisch für England ist nach Redlich, wie dieser
Grundsatz zum erstenmale, schon vor Mills Auftreten, zur Anwendung gelangt
ist. ES geschah in dem Schulgesetz von 1839, demzufolge Schulen, die um
den Stnatszuschuß einkamen, sich der Inspektion durch Regierungsbeamte unter¬
werfen mußten. Es gab also eine Schulinspektion, ehe es Staatsschulen gab.
(Im Grunde genommen ist das auch in Preußen, und zwar ganz allgemein
der Fall, denn die Volksschulen sind ja keine Staatsanstalten, ihre Lehrer aber
sind halb Staatsbeamte, halb Gemeinde- und Kirchenbeamte.) Der Fortschritt
der Verwaltnngsrefvrm belohnte sich durch einen glänzenden Aufschwung der
Städte in den sechziger Jahren, und so stießen die dritte Wahlreform von
188ö und die ihr folgende Vcrwaltungsreform von 1888, abgesehen vom
Oberhause, nur noch auf geringen Widerstand. Durch die zweite wurde der
Friedensrichter, von den: vor hundert Jahren Lord Coke gesagt hatte, daß die
christliche Welt seinesgleichen nicht kenne, entthront, wenigstens in der Stadt.
Eine Landgemeindeordnung (Paris!)- und District Councils Bill) krönte dann
1894 das Gebäude.




Die Wohnungs- und Bodenpolitik in Großberlin
(Fortsetzung)

is der in Ur. 33 vom 15. August erschienene erste Teil dieses
Aufsatzes schon im Druck war, wurden die ersten beiden Bünde*)
der von Verein für Sozialpolitik veranstalteten „Neuen Unter¬
suchungen über die Wohnungsfrage in Deutschland und im Aus¬
land" an die Vereinsmitglieder ausgegeben. Ihr Inhalt ist so
wertvoll und greift so unmittelbar in die hier behandelte Frage ein, daß wir
auf ihn eingehn müssen, ja daß es eine Hauptaufgabe der weitern Besprechung
unsers Themas sein wird, sich mit ihm auseinander zu setzen. Die beiden Bände
bringen eine Reihe von Abhandlungen, ans denen der Stand der Wohnungs¬
frage und der Wohnungsreformbewegung, zugleich aber auch recht deutlich her¬
vorgeht, daß bei aller Anerkennung, die der gute Wille und der große Eifer
dieser Wohuungsreformer verdienen, die ganze „Bewegung" in falsche Bahnen
zu geraten droht, ja zum Teil schon tief in sie geraten ist. Sie geben ein



*) Inzwischen sind noch zwei weitere Bände erschienen, von denen einer als zweite
Abteilung von Band I bezeichnet ist. In diesem Artikel konnten also nur berücksichtigt werden:
Band I, erste Abteilung, und Band 1l.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/451>, abgerufen am 28.04.2024.