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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Admiral de Ruyter und die holländischen
Großkausleute

rundsätze? sogenannte Prinzipien? In es ist gut, wenn einer
im privaten Leben sie hat und sich auch danach hält, aber sei
vorsichtig, daß du sie nicht durchlöchert zu Boden fallen lassen
mußt, oder dir gar deu Kopf damit ciurennst! Im Gedränge
der Politik taugen nur die allgemeinsten Grundsätze, sonst heißt
es, günz besonders hier: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Es kann gar
nicht ausgedacht werden, wie es in der Welt aussehen würde, wenn sich auch
nur die klügsten Gedanken so ohne weiteres in die Wirklichkeit umsetzen lassen
könnten. Als einem großen Staatsmann unsrer Zeit mit gewissen Grundsätzen
hart zugesetzt wurde, brach er, in die Enge getrieben, schließlich in die Worte
aus, daß er lieber das, was er haben müsse, nehmen wolle, wo er es kriegen
könne, als daß er sich von dem Prinzip an die Wand nageln lasse. Gmür
dasselbe, wenn anch in milderer Form, lag in der Antwort, die einmal vor
mehr als dreihundert Jahren ein ebenso großer Staatsmann den Leuten gab,
an die er eine Geldforderung gestellt hatte, und die ihm dafür eine zudring¬
liche Frage vorlegten. Als sie ihm das Prinzip nur von fern zeigten, erwiderte
er in nicht mißzuverstehender Worten, daß er unter der angedeuteten Bedingung
lieber auf das Geld verzichte.

Es ist ohne allen Zweifel eine Forderung von der höchsten Berechtigung,
daß die Finanzwirtschaft eines Staats unter der allersvrglichstcn Kontrolle ge¬
halten werde, aber trotzdem darf deren Handhabung nicht an der Starrheit
leiden, daß sie die Bewegung des Wachstums hindert, von der das Gedeihen
des Gemeinwesens abhängt. An der Stelle, wo sich die beiden Gegensätze des
Beharrens und des Fortschreitens berühren, hat von jeher das Geheimnis ge¬
deihlicher Staatsführung gelegen: wer hat darüber, wann die eine Notwendig¬
keit der andern zu weichen habe, die ausreichende Kenntnis? Von vornherein
niemand, und es wird sich wohl auch hier die überall geltende Wahrheit be¬
thätigen, daß unter fortgesetzter Reibung der Funke des Weistmns, gepaart


Grenzboten III 1901 74


Der Admiral de Ruyter und die holländischen
Großkausleute

rundsätze? sogenannte Prinzipien? In es ist gut, wenn einer
im privaten Leben sie hat und sich auch danach hält, aber sei
vorsichtig, daß du sie nicht durchlöchert zu Boden fallen lassen
mußt, oder dir gar deu Kopf damit ciurennst! Im Gedränge
der Politik taugen nur die allgemeinsten Grundsätze, sonst heißt
es, günz besonders hier: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Es kann gar
nicht ausgedacht werden, wie es in der Welt aussehen würde, wenn sich auch
nur die klügsten Gedanken so ohne weiteres in die Wirklichkeit umsetzen lassen
könnten. Als einem großen Staatsmann unsrer Zeit mit gewissen Grundsätzen
hart zugesetzt wurde, brach er, in die Enge getrieben, schließlich in die Worte
aus, daß er lieber das, was er haben müsse, nehmen wolle, wo er es kriegen
könne, als daß er sich von dem Prinzip an die Wand nageln lasse. Gmür
dasselbe, wenn anch in milderer Form, lag in der Antwort, die einmal vor
mehr als dreihundert Jahren ein ebenso großer Staatsmann den Leuten gab,
an die er eine Geldforderung gestellt hatte, und die ihm dafür eine zudring¬
liche Frage vorlegten. Als sie ihm das Prinzip nur von fern zeigten, erwiderte
er in nicht mißzuverstehender Worten, daß er unter der angedeuteten Bedingung
lieber auf das Geld verzichte.

Es ist ohne allen Zweifel eine Forderung von der höchsten Berechtigung,
daß die Finanzwirtschaft eines Staats unter der allersvrglichstcn Kontrolle ge¬
halten werde, aber trotzdem darf deren Handhabung nicht an der Starrheit
leiden, daß sie die Bewegung des Wachstums hindert, von der das Gedeihen
des Gemeinwesens abhängt. An der Stelle, wo sich die beiden Gegensätze des
Beharrens und des Fortschreitens berühren, hat von jeher das Geheimnis ge¬
deihlicher Staatsführung gelegen: wer hat darüber, wann die eine Notwendig¬
keit der andern zu weichen habe, die ausreichende Kenntnis? Von vornherein
niemand, und es wird sich wohl auch hier die überall geltende Wahrheit be¬
thätigen, daß unter fortgesetzter Reibung der Funke des Weistmns, gepaart


Grenzboten III 1901 74
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[0593] [Abbildung] Der Admiral de Ruyter und die holländischen Großkausleute rundsätze? sogenannte Prinzipien? In es ist gut, wenn einer im privaten Leben sie hat und sich auch danach hält, aber sei vorsichtig, daß du sie nicht durchlöchert zu Boden fallen lassen mußt, oder dir gar deu Kopf damit ciurennst! Im Gedränge der Politik taugen nur die allgemeinsten Grundsätze, sonst heißt es, günz besonders hier: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Es kann gar nicht ausgedacht werden, wie es in der Welt aussehen würde, wenn sich auch nur die klügsten Gedanken so ohne weiteres in die Wirklichkeit umsetzen lassen könnten. Als einem großen Staatsmann unsrer Zeit mit gewissen Grundsätzen hart zugesetzt wurde, brach er, in die Enge getrieben, schließlich in die Worte aus, daß er lieber das, was er haben müsse, nehmen wolle, wo er es kriegen könne, als daß er sich von dem Prinzip an die Wand nageln lasse. Gmür dasselbe, wenn anch in milderer Form, lag in der Antwort, die einmal vor mehr als dreihundert Jahren ein ebenso großer Staatsmann den Leuten gab, an die er eine Geldforderung gestellt hatte, und die ihm dafür eine zudring¬ liche Frage vorlegten. Als sie ihm das Prinzip nur von fern zeigten, erwiderte er in nicht mißzuverstehender Worten, daß er unter der angedeuteten Bedingung lieber auf das Geld verzichte. Es ist ohne allen Zweifel eine Forderung von der höchsten Berechtigung, daß die Finanzwirtschaft eines Staats unter der allersvrglichstcn Kontrolle ge¬ halten werde, aber trotzdem darf deren Handhabung nicht an der Starrheit leiden, daß sie die Bewegung des Wachstums hindert, von der das Gedeihen des Gemeinwesens abhängt. An der Stelle, wo sich die beiden Gegensätze des Beharrens und des Fortschreitens berühren, hat von jeher das Geheimnis ge¬ deihlicher Staatsführung gelegen: wer hat darüber, wann die eine Notwendig¬ keit der andern zu weichen habe, die ausreichende Kenntnis? Von vornherein niemand, und es wird sich wohl auch hier die überall geltende Wahrheit be¬ thätigen, daß unter fortgesetzter Reibung der Funke des Weistmns, gepaart Grenzboten III 1901 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/593>, abgerufen am 28.04.2024.