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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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mit der ausreichende" Kraft, dort hervorspringe, wo die realen Voraussetzungen
eines ersprießlichen Wciterlebens verborgen liegen.

In der holländischen Geschichte ist der Gegensatz, der in dein Beginn
ihrer Selbständigkeit zwischen dein ersten Oranier und der mächtigen Geld¬
aristokratie des Landes hervortritt, während ihres ganzen Verlaufs thpisch
geblieben. Typisch in der Weise, daß sich die Wertschätzung des Geldes überall
der Notwendigkeit eines organischen Wachstums in den Weg gelegt hat, und
daß dieser Widerstand stellenweise nur durch den elementaren, gewaltsamen
Ausbruch des entgegenstehenden Willens hat gebrochen werden können. Der
Kampf, den die Exekutive des nassnuischen Fürstenhauses mit den vollen, aber
festzngehaltnen Geldbeuteln der niederländischen Plutokrntie geführt hat, zieht
sich wie ein roter Faden durch deu Wirrwarr und den Tumult politischer Er¬
eignisse, wozu die plötzliche, noch immer ungewohnte Autonomie der Nieder¬
lande Veranlassung gab. Aber wie anziehend es auch für den in der Geschichte
bewanderten Mann sein mag, in diesem harten Gegeneinander den Zickzackzug
von Stoß und Gegenstoß, von Vorgehn und Ausweichen zu verfolgen, so ist
doch dieselbe Auseinandersetzung zwischen dem Egoismus des Geldes und der
llneigennützigkeit der reinsten Vaterlandsliebe fast von noch größerm Interesse.

Von allen den bedeutenden Männern, die das kleine Holland vom Beginn
seines Abfalls von Spanien an bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts
hervorgebracht hat, steht keiner großer da als der Admiral Michael Adrians¬
sohn de Rüster. Mag man diesen Mann von einer Seite betrachten, von
der man Null, überall erfüllt uns der Abglanz seines Bildes mit derselbe"
menschlichen Genugthuung. Ein Meister des Seekrieges, der das Kleine und
das Große mit derselben Sorgfalt umfaßte, der den Gang der wilden Schlacht
mit derselben Sicherheit leitete, wie er den Dienst eines Piloten versah, hatte
er anch den richtigen Blick für die Notwendigkeiten der Politik. Im diplo¬
matischen Dienste ist zwar de Rüster niemals thätig gewesen, aber da ihm
die Wohlfahrt und die Größe des Vaterlands über alles andre, im besondern
über die persönlichen Wünsche gingen, so ergab sich ihm daraus, was in der
innern und der äußern Politik zu thun war, ganz von selbst. Es war die
Einheit der innern Anschauung, die ihm unfehlbar wie der Kompaß dnrch das
Gedränge der Wogen den Weg durch die Wirrungen des Staatslebens zeigte.
De Rüster hatte zwei Prinzipien, die Furcht vor Gott und die vorbehaltlose
Hingebung an den Dienst des Vaterlands; die Folge war, daß er niemals
ein Parteimann wurde. Trvmp, die Evertzens waren erklärte und leiden¬
schaftliche Anhänger der oranischen Partei, die de Wies und andre standen
mit derselben Entschiedenheit auf der republikanischen Seite, de Rüster allein
diente dem Führer der einen mit derselben rückhaltlosen Aufopferung wie dem
der andern. Deshalb ist es ihm auch wie kaum einem andern Sterbliche"
vergönnt gewesen, dieselbe Reinheit des Charakters, die ihn im Privatleben
auszeichnete, auch in seinen öffentlichen Stellnnge" zu bewähre" und ohne deu
Zwiespalt der Seele, der so häusig das Erbteil des Staatsdienstes ist, aus
dein Getümmel der Welt i" de" Friede" seines Hauses zmmckzukehreu.


mit der ausreichende» Kraft, dort hervorspringe, wo die realen Voraussetzungen
eines ersprießlichen Wciterlebens verborgen liegen.

In der holländischen Geschichte ist der Gegensatz, der in dein Beginn
ihrer Selbständigkeit zwischen dein ersten Oranier und der mächtigen Geld¬
aristokratie des Landes hervortritt, während ihres ganzen Verlaufs thpisch
geblieben. Typisch in der Weise, daß sich die Wertschätzung des Geldes überall
der Notwendigkeit eines organischen Wachstums in den Weg gelegt hat, und
daß dieser Widerstand stellenweise nur durch den elementaren, gewaltsamen
Ausbruch des entgegenstehenden Willens hat gebrochen werden können. Der
Kampf, den die Exekutive des nassnuischen Fürstenhauses mit den vollen, aber
festzngehaltnen Geldbeuteln der niederländischen Plutokrntie geführt hat, zieht
sich wie ein roter Faden durch deu Wirrwarr und den Tumult politischer Er¬
eignisse, wozu die plötzliche, noch immer ungewohnte Autonomie der Nieder¬
lande Veranlassung gab. Aber wie anziehend es auch für den in der Geschichte
bewanderten Mann sein mag, in diesem harten Gegeneinander den Zickzackzug
von Stoß und Gegenstoß, von Vorgehn und Ausweichen zu verfolgen, so ist
doch dieselbe Auseinandersetzung zwischen dem Egoismus des Geldes und der
llneigennützigkeit der reinsten Vaterlandsliebe fast von noch größerm Interesse.

Von allen den bedeutenden Männern, die das kleine Holland vom Beginn
seines Abfalls von Spanien an bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts
hervorgebracht hat, steht keiner großer da als der Admiral Michael Adrians¬
sohn de Rüster. Mag man diesen Mann von einer Seite betrachten, von
der man Null, überall erfüllt uns der Abglanz seines Bildes mit derselbe»
menschlichen Genugthuung. Ein Meister des Seekrieges, der das Kleine und
das Große mit derselben Sorgfalt umfaßte, der den Gang der wilden Schlacht
mit derselben Sicherheit leitete, wie er den Dienst eines Piloten versah, hatte
er anch den richtigen Blick für die Notwendigkeiten der Politik. Im diplo¬
matischen Dienste ist zwar de Rüster niemals thätig gewesen, aber da ihm
die Wohlfahrt und die Größe des Vaterlands über alles andre, im besondern
über die persönlichen Wünsche gingen, so ergab sich ihm daraus, was in der
innern und der äußern Politik zu thun war, ganz von selbst. Es war die
Einheit der innern Anschauung, die ihm unfehlbar wie der Kompaß dnrch das
Gedränge der Wogen den Weg durch die Wirrungen des Staatslebens zeigte.
De Rüster hatte zwei Prinzipien, die Furcht vor Gott und die vorbehaltlose
Hingebung an den Dienst des Vaterlands; die Folge war, daß er niemals
ein Parteimann wurde. Trvmp, die Evertzens waren erklärte und leiden¬
schaftliche Anhänger der oranischen Partei, die de Wies und andre standen
mit derselben Entschiedenheit auf der republikanischen Seite, de Rüster allein
diente dem Führer der einen mit derselben rückhaltlosen Aufopferung wie dem
der andern. Deshalb ist es ihm auch wie kaum einem andern Sterbliche»
vergönnt gewesen, dieselbe Reinheit des Charakters, die ihn im Privatleben
auszeichnete, auch in seinen öffentlichen Stellnnge» zu bewähre» und ohne deu
Zwiespalt der Seele, der so häusig das Erbteil des Staatsdienstes ist, aus
dein Getümmel der Welt i» de» Friede» seines Hauses zmmckzukehreu.


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[0594] mit der ausreichende» Kraft, dort hervorspringe, wo die realen Voraussetzungen eines ersprießlichen Wciterlebens verborgen liegen. In der holländischen Geschichte ist der Gegensatz, der in dein Beginn ihrer Selbständigkeit zwischen dein ersten Oranier und der mächtigen Geld¬ aristokratie des Landes hervortritt, während ihres ganzen Verlaufs thpisch geblieben. Typisch in der Weise, daß sich die Wertschätzung des Geldes überall der Notwendigkeit eines organischen Wachstums in den Weg gelegt hat, und daß dieser Widerstand stellenweise nur durch den elementaren, gewaltsamen Ausbruch des entgegenstehenden Willens hat gebrochen werden können. Der Kampf, den die Exekutive des nassnuischen Fürstenhauses mit den vollen, aber festzngehaltnen Geldbeuteln der niederländischen Plutokrntie geführt hat, zieht sich wie ein roter Faden durch deu Wirrwarr und den Tumult politischer Er¬ eignisse, wozu die plötzliche, noch immer ungewohnte Autonomie der Nieder¬ lande Veranlassung gab. Aber wie anziehend es auch für den in der Geschichte bewanderten Mann sein mag, in diesem harten Gegeneinander den Zickzackzug von Stoß und Gegenstoß, von Vorgehn und Ausweichen zu verfolgen, so ist doch dieselbe Auseinandersetzung zwischen dem Egoismus des Geldes und der llneigennützigkeit der reinsten Vaterlandsliebe fast von noch größerm Interesse. Von allen den bedeutenden Männern, die das kleine Holland vom Beginn seines Abfalls von Spanien an bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts hervorgebracht hat, steht keiner großer da als der Admiral Michael Adrians¬ sohn de Rüster. Mag man diesen Mann von einer Seite betrachten, von der man Null, überall erfüllt uns der Abglanz seines Bildes mit derselbe» menschlichen Genugthuung. Ein Meister des Seekrieges, der das Kleine und das Große mit derselben Sorgfalt umfaßte, der den Gang der wilden Schlacht mit derselben Sicherheit leitete, wie er den Dienst eines Piloten versah, hatte er anch den richtigen Blick für die Notwendigkeiten der Politik. Im diplo¬ matischen Dienste ist zwar de Rüster niemals thätig gewesen, aber da ihm die Wohlfahrt und die Größe des Vaterlands über alles andre, im besondern über die persönlichen Wünsche gingen, so ergab sich ihm daraus, was in der innern und der äußern Politik zu thun war, ganz von selbst. Es war die Einheit der innern Anschauung, die ihm unfehlbar wie der Kompaß dnrch das Gedränge der Wogen den Weg durch die Wirrungen des Staatslebens zeigte. De Rüster hatte zwei Prinzipien, die Furcht vor Gott und die vorbehaltlose Hingebung an den Dienst des Vaterlands; die Folge war, daß er niemals ein Parteimann wurde. Trvmp, die Evertzens waren erklärte und leiden¬ schaftliche Anhänger der oranischen Partei, die de Wies und andre standen mit derselben Entschiedenheit auf der republikanischen Seite, de Rüster allein diente dem Führer der einen mit derselben rückhaltlosen Aufopferung wie dem der andern. Deshalb ist es ihm auch wie kaum einem andern Sterbliche» vergönnt gewesen, dieselbe Reinheit des Charakters, die ihn im Privatleben auszeichnete, auch in seinen öffentlichen Stellnnge» zu bewähre» und ohne deu Zwiespalt der Seele, der so häusig das Erbteil des Staatsdienstes ist, aus dein Getümmel der Welt i» de» Friede» seines Hauses zmmckzukehreu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/594>, abgerufen am 13.05.2024.