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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Tisch. Als wir auf unsern Gasthof zu kamen, begann Schiefrich: So, nun werde
ich die Sache ernsthaft in die Hand nehmen.

Du lieber Himmel, seufzte ich, jetzt geht das Hangen und Bangen und dieser
unglückseligen Ceeile Berner wieder an.

Sie sind im Irrtum, mit der bin ich endgiltig fertig. Aber ich werde in
den kommenden Ferien nach Hause reisen, dort finde ich ganz gewiß eine geeignete
Frau. Ich weiß mehrere.

Ich möchte Ihnen anheim geben, Ihre Bemühungen lieber hier fortzusetzen.
Ohne unsern Rat und unsre thatkräftige Hilfe bringen Sie das doch nie zustande.

O, ich habe jetzt niemand mehr nötig. Seit ich gesehen habe, daß meine
Bewerbung um Fräulein Johanna fast Erfolg gehabt hätte, ist die Sache für mich
in ein neues Stadium getreten. Ich habe jetzt Mut bekommen. Das ist das
einzige, was mir bis jetzt gefehlt hat, und daran hängt alles.

Ich wandte mich lachend an unsern noch immer stummen Begleiter: Sollten
wir nicht heute bei Tisch eine Extraflasche trinken, um die nunmehr glücklich ge¬
sicherte Verehelichung des Herrn Kollegen zu feiern?

Dr. Stürmer schien in ganz andern Gedanken gewesen zu sein; er blickte
auf n"d sagte etwas ungnädig: Wie schnell so junge Leute doch wieder im Ge¬
leise sind!

Oho, erwiderte ich kampflustig, wir werden jetzt nicht den Kopf mit Ihnen
hängen lassen, weil Fräulein Johanna Stork weg ist.

Er ging nicht auf die Neckerei ein und sagte gelassen: Ich habe überhaupt
mir noch das Allgemeine im Sinn, wie es mein Landsmann Hegel versteht. Was
wir soeben mit erlebt haben, war ja die Schlußszene eines ^bedeutsamen sozialen
Trauerspiels, und daran hätten wir eigentlich sehr ernsthafte Betrachtungen zu
knüpfen, die das Ganze eingehn.

Unsre deutsche Sache hier im Lande? Mir kann der Glaube daran durch
solche Zwischenfälle nicht getrübt werden.

Ich bleibe ja schließlich auch dabei. Ich habe mirs nur wieder zurecht legen
müssen. Jawohl, trotz alledem: Die Saat ist gut, die das deutsche Volk hier aus¬
gestreut hat. Etliches freilich fiel unter die Dornen und ward erstickt. Das übrige
wird Frucht tragen in Kraft und Tüchtigkeit. Aber wissen Sie, was der Haupt¬
grund meiner Zuversicht ist?

Er blieb stehn und sah mir mit den brillenbewehrten klugen Augen fest ins
Gesicht: Ihr Bericht neulich, von der Unterredung mit Fräulein Johanna enthielt
für mich das Beste an der ganzen Geschichte. Ich habe da wieder die unversieg-
lichen Quellen rauschen hören, aus denen unsre Stärke fließt.

Und mit einem plötzlichen Übergang, wie er ihn liebte, schlug er dem ziemlich
verständnislos dabei stehenden Kollegen auf die Schulter: Kommen Sie, eine Flasche
Haut-MÄoc also! Sie sind natürlich der Festgeber.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nietzscheana. Wer in den letzten beiden Jahren ab und zu in Litteratur¬
zeitungen einen Blick geworfen hat, der hat erfahren, daß im Nietzschelager ein
Kampf tobte zwischen dem Anhange des Bearbeiters der Gesamtausgabe, or. Kögel,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Tisch. Als wir auf unsern Gasthof zu kamen, begann Schiefrich: So, nun werde
ich die Sache ernsthaft in die Hand nehmen.

Du lieber Himmel, seufzte ich, jetzt geht das Hangen und Bangen und dieser
unglückseligen Ceeile Berner wieder an.

Sie sind im Irrtum, mit der bin ich endgiltig fertig. Aber ich werde in
den kommenden Ferien nach Hause reisen, dort finde ich ganz gewiß eine geeignete
Frau. Ich weiß mehrere.

Ich möchte Ihnen anheim geben, Ihre Bemühungen lieber hier fortzusetzen.
Ohne unsern Rat und unsre thatkräftige Hilfe bringen Sie das doch nie zustande.

O, ich habe jetzt niemand mehr nötig. Seit ich gesehen habe, daß meine
Bewerbung um Fräulein Johanna fast Erfolg gehabt hätte, ist die Sache für mich
in ein neues Stadium getreten. Ich habe jetzt Mut bekommen. Das ist das
einzige, was mir bis jetzt gefehlt hat, und daran hängt alles.

Ich wandte mich lachend an unsern noch immer stummen Begleiter: Sollten
wir nicht heute bei Tisch eine Extraflasche trinken, um die nunmehr glücklich ge¬
sicherte Verehelichung des Herrn Kollegen zu feiern?

Dr. Stürmer schien in ganz andern Gedanken gewesen zu sein; er blickte
auf n»d sagte etwas ungnädig: Wie schnell so junge Leute doch wieder im Ge¬
leise sind!

Oho, erwiderte ich kampflustig, wir werden jetzt nicht den Kopf mit Ihnen
hängen lassen, weil Fräulein Johanna Stork weg ist.

Er ging nicht auf die Neckerei ein und sagte gelassen: Ich habe überhaupt
mir noch das Allgemeine im Sinn, wie es mein Landsmann Hegel versteht. Was
wir soeben mit erlebt haben, war ja die Schlußszene eines ^bedeutsamen sozialen
Trauerspiels, und daran hätten wir eigentlich sehr ernsthafte Betrachtungen zu
knüpfen, die das Ganze eingehn.

Unsre deutsche Sache hier im Lande? Mir kann der Glaube daran durch
solche Zwischenfälle nicht getrübt werden.

Ich bleibe ja schließlich auch dabei. Ich habe mirs nur wieder zurecht legen
müssen. Jawohl, trotz alledem: Die Saat ist gut, die das deutsche Volk hier aus¬
gestreut hat. Etliches freilich fiel unter die Dornen und ward erstickt. Das übrige
wird Frucht tragen in Kraft und Tüchtigkeit. Aber wissen Sie, was der Haupt¬
grund meiner Zuversicht ist?

Er blieb stehn und sah mir mit den brillenbewehrten klugen Augen fest ins
Gesicht: Ihr Bericht neulich, von der Unterredung mit Fräulein Johanna enthielt
für mich das Beste an der ganzen Geschichte. Ich habe da wieder die unversieg-
lichen Quellen rauschen hören, aus denen unsre Stärke fließt.

Und mit einem plötzlichen Übergang, wie er ihn liebte, schlug er dem ziemlich
verständnislos dabei stehenden Kollegen auf die Schulter: Kommen Sie, eine Flasche
Haut-MÄoc also! Sie sind natürlich der Festgeber.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nietzscheana. Wer in den letzten beiden Jahren ab und zu in Litteratur¬
zeitungen einen Blick geworfen hat, der hat erfahren, daß im Nietzschelager ein
Kampf tobte zwischen dem Anhange des Bearbeiters der Gesamtausgabe, or. Kögel,


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[0642] Maßgebliches und Unmaßgebliches Tisch. Als wir auf unsern Gasthof zu kamen, begann Schiefrich: So, nun werde ich die Sache ernsthaft in die Hand nehmen. Du lieber Himmel, seufzte ich, jetzt geht das Hangen und Bangen und dieser unglückseligen Ceeile Berner wieder an. Sie sind im Irrtum, mit der bin ich endgiltig fertig. Aber ich werde in den kommenden Ferien nach Hause reisen, dort finde ich ganz gewiß eine geeignete Frau. Ich weiß mehrere. Ich möchte Ihnen anheim geben, Ihre Bemühungen lieber hier fortzusetzen. Ohne unsern Rat und unsre thatkräftige Hilfe bringen Sie das doch nie zustande. O, ich habe jetzt niemand mehr nötig. Seit ich gesehen habe, daß meine Bewerbung um Fräulein Johanna fast Erfolg gehabt hätte, ist die Sache für mich in ein neues Stadium getreten. Ich habe jetzt Mut bekommen. Das ist das einzige, was mir bis jetzt gefehlt hat, und daran hängt alles. Ich wandte mich lachend an unsern noch immer stummen Begleiter: Sollten wir nicht heute bei Tisch eine Extraflasche trinken, um die nunmehr glücklich ge¬ sicherte Verehelichung des Herrn Kollegen zu feiern? Dr. Stürmer schien in ganz andern Gedanken gewesen zu sein; er blickte auf n»d sagte etwas ungnädig: Wie schnell so junge Leute doch wieder im Ge¬ leise sind! Oho, erwiderte ich kampflustig, wir werden jetzt nicht den Kopf mit Ihnen hängen lassen, weil Fräulein Johanna Stork weg ist. Er ging nicht auf die Neckerei ein und sagte gelassen: Ich habe überhaupt mir noch das Allgemeine im Sinn, wie es mein Landsmann Hegel versteht. Was wir soeben mit erlebt haben, war ja die Schlußszene eines ^bedeutsamen sozialen Trauerspiels, und daran hätten wir eigentlich sehr ernsthafte Betrachtungen zu knüpfen, die das Ganze eingehn. Unsre deutsche Sache hier im Lande? Mir kann der Glaube daran durch solche Zwischenfälle nicht getrübt werden. Ich bleibe ja schließlich auch dabei. Ich habe mirs nur wieder zurecht legen müssen. Jawohl, trotz alledem: Die Saat ist gut, die das deutsche Volk hier aus¬ gestreut hat. Etliches freilich fiel unter die Dornen und ward erstickt. Das übrige wird Frucht tragen in Kraft und Tüchtigkeit. Aber wissen Sie, was der Haupt¬ grund meiner Zuversicht ist? Er blieb stehn und sah mir mit den brillenbewehrten klugen Augen fest ins Gesicht: Ihr Bericht neulich, von der Unterredung mit Fräulein Johanna enthielt für mich das Beste an der ganzen Geschichte. Ich habe da wieder die unversieg- lichen Quellen rauschen hören, aus denen unsre Stärke fließt. Und mit einem plötzlichen Übergang, wie er ihn liebte, schlug er dem ziemlich verständnislos dabei stehenden Kollegen auf die Schulter: Kommen Sie, eine Flasche Haut-MÄoc also! Sie sind natürlich der Festgeber. Maßgebliches und Unmaßgebliches Nietzscheana. Wer in den letzten beiden Jahren ab und zu in Litteratur¬ zeitungen einen Blick geworfen hat, der hat erfahren, daß im Nietzschelager ein Kampf tobte zwischen dem Anhange des Bearbeiters der Gesamtausgabe, or. Kögel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/642>, abgerufen am 28.04.2024.